Die Politik kürzt, die Privatwirtschaft zahlt

Weil der Bundesrat der ETH die Gelder kürzen will, erwägt sie, ganze Studiengänge einzustellen – und setzt mehr auf Drittmittel.

Kai Vogt (Text) und Mara Schneider (Illustration)
6. Mai 2024
Bisher hat die ETH vor allem bei Bauprojekten gespart. Nun drohen härtere Massnahmen.

Kein Strauch, kein Blatt, kein Dreck – von aussen lässt sie sich nichts anmerken. Erst kürzlich wurde der neue Vorplatz des ETH-Hauptgebäudes fertiggestellt, nun erscheint der Eingang zur Hochschule noch geschniegelter als bisher. Doch im Inneren der ETH brodelt es. Denn schon bald könnte dem Polytechnikum das Geld ausgehen.

«Die Nachricht des Bundesrats war ein Schock für uns», sagt Joël Mesot, Präsident der ETH Zürich. Mitte April lud er zu einem Jahresmediengespräch ein, dabei ging es vor allem um eines: das angekündigte Sparprogramm des Bundes. Alle vier Jahre legt der Bundesrat seine Schwerpunkte der Bildungs-, Forschungs- und Innovationspolitik (BFI) fest. Gemäss der BFI-Botschaft 2025-28 wird der Hochschule das Budget nun einmalig um 100 Millionen Franken gekürzt, um den Finanzhaushalt des Bundes zu stabilisieren. Zudem stellt der Bundesrat der ETH ein Budgetwachstum von 1,2 Prozent in Aussicht, doch um den aktuellen Leistungsumfang aufrecht­zuerhalten, bräuchte die ETH laut eigenen Angaben 2,5 Prozent. Diese Kürzungen könnten drastische Auswirkungen auf die Lehre und Forschung der ETH haben.

Betreuungsverhältnis leidet

Bereits heute ist die Situation in der Lehre angespannt. Zwar rühmt sich die ETH regelmässig mit ihren Platzierungen in internationalen Hochschulrankings. Doch die Zahl der Studierenden wächst viel schneller als das Budget. Während die Hochschule bei der Jahrtausendwende noch rund 11'000 Studierende zählte, sind es heute bereits über 21'000. Im Vergleich dazu konnten jedoch viel weniger neue Professuren geschaffen werden. Das Resultat: Das Betreuungsverhältnis zwischen Studierenden und Professor*innen hat sich drastisch verschlechtert. Und laut Prognosen der ETH droht sich die Schere noch weiter zu öffnen. «In der Vergangenheit konnten wir diese Entwicklung durch höhere Effizienz, Verschiebung grosser Bauprojekte und ein langsameres Wachstum bei den Professuren kompensieren», sagt Mesot. So verzichtete die ETH Zürich zum Beispiel auf die Neugestaltung der Polyterrasse und des Mensa- und Mehrzweckgebäudes und sanierte stattdessen nur das Nötigste. Auch beim «Centre for Students and Entrepreneurs» auf dem Hönggerberg gab es einen Projektstopp, um Kosten zu sparen. Der Baustart wurde auf 2027 verschoben. Doch nun ginge es nicht mehr ohne Qualitätseinbussen in der Lehre und in der Forschung, sagt Mesot.

Deshalb wagte die ETH nun den Tabubruch. Sie kommunizierte vier mögliche Sparmassnahmen, welche grosse Veränderungen für das Bildungssystem bedeuten würden. Konkret lauten diese: eine
Beschränkung des Studierendenwachstums in Form einer Studienplatzbeschränkung, ein gezielter Anstellungsstopp in der Lehre und der Forschung, die Einstellung ganzer Forschungsbereiche und Studiengänge und die Möglichkeit, künftig Dienstleistungen für den Bund, etwa in Form des Erdbebendienstes, zu reduzieren. Könnte es bei gewissen Fächern tatsächlich bald einen Numerus Clausus geben? Der ETH-Präsident beschwichtigt, eine solche Beschränkung bräuchte eine Änderung des ETH-Gesetzes.

Denkbarer ist es, dass die ETH Zürich dem Anstoss der EPFL folgt. Diese hat Anfang Jahr kommuniziert, dass ab 2025 die Anzahl ausländischer Studierender für das erste Bachelor-Jahr auf 3000 beschränkt wird. Eine solche Änderung lässt das Gesetz schon zu. Einen konkreten Plan in diese Richtung gibt es in Zürich aber noch nicht. Auch bei der möglichen Einstellung ganzer Studiengänge bleibt Mesot vage. Anstatt gewisse Fächer zu nennen, sagt er lediglich: «Das müsste man sorgfältig prüfen.» Einzig bei den Geisteswissenschaften wird er konkreter.

In der Ethik werde geschaut, inwiefern die ETH stärker mit der Uni Bern, der Uni Zürich und der Uni St. Gallen zusammenspannen kann. Doch es seien auch schon andere Massnahmen eingeleitet worden, welche die Lehre oder die Forschung indirekt betreffen. So hat die ETH vergangenes Jahr entschieden, das eigene Druckzentrum auf dem Hönggerberg nur noch bis Ende 2024 zu betreiben.

Neue Partnerschaft mit Google

Ausserdem schreibt die Medienstelle auf Anfrage: «Die ETH Zürich wird ihre Anstrengungen, Drittmittel aus der Wirtschaft zu gewinnen, weiter ausbauen». Dabei pikant: Im März dieses Jahres wurde eine vierjährige Partnerschaft zwischen Google und dem ETH AI Center besiegelt, welche die jährliche Zahlung von 50'000 Franken von Google an die ETH beinhaltet. Das ist vergleichsweise wenig Geld, doch die Partnerschaft sieht auch vor, dass ETH-Startups bei Google-Workshops teilnehmen können, Repräsentant*innen von Google regelmässig an Events des AI Centers kommen oder sich Google regelmässig über die neuste Forschung an der ETH informieren darf.

Die Grenzen zwischen Wissenschaft und Industrie verschwimmen damit immer mehr. Der Verband der ETH-Studierenden wurde über diese Partnerschaft nicht in Kenntnis gesetzt. Doch das störe wenig, da die ETH schon länger mit der Industrie arbeite, sagt die VSETH-Präsidentin Julia Bogdan. Vergangenes Jahr hat die ETH sogar ihre grosszügigste Spende überhaupt erhalten: Der Multimilliardär Dieter Schwarz finanziert der Hochschule die nächsten 30 Jahre lang 20 Professuren zur Digitalisierung, 6 in Zürich und 14 am neuen Standort in Heilbronn. Damit setzt die Industrie an der ETH klare Akzente. «Natürlich wäre es idealer, wenn die ETH nicht auf Partnerschaften angewiesen wäre. Wir sehen aber auch keine andere Möglichkeit, solange die Grundfinanzierung des Bundes nicht den steigenden Studierendenzahlen angepasst wird», sagt Bogdan.

Die Grundstruktur der ETH lässt sich sowieso kaum über Drittmittel finanzieren. Deshalb leuchtet die Drohkulisse ein, die der ETH-Präsident nun mit den möglichen Sparmassnahmen aufgebaut hat. Denn beschlossen ist die Sache noch nicht: Als nächstes beugt sich das Parlament über die BFI-Botschaft. Ob die Politiker*innen bei der ETH Gnade walten lassen, wird sich dann im Sommer zeigen.