Brauen für das gute Gewissen
In Wiedikon haben sich Studierende mit einer Braugenossenschaft verwirklicht. Unsere Autorin hat sie besucht und getestet, ob sich das «Gsöff» trinken lässt.
Ein Sonntagabend, einer der ersten wirklich warmen im Jahr: Ich biege mit dem Velo in die Weststrasse ein, die sich mitten durch den Zürcher Kreis 3 zieht. Hinter einer Häuserreihe versteckt und als Garage getarnt, liegt an der Nummer 166 in einem roten, unscheinbaren Backsteinhaus die Brauerei «Gsöff».
Hier empfangen mich Luis Flühmann und Oliver Helfenstein, zwei der Gründer*innen der Braugenossenschaft. Wir betreten die Brauerei durch ein türkises Garagentor und die beiden führen mich erstmal für eine Zigi-Pause durch den Raum in den Hinterhof. Dabei fällt schon auf, wie lebendig der ganze Ort ist: Drinnen und draussen stapeln sich Harasse, dazwischen andere Dinge, etwa eine Erdnussmaschine, ein Flipperkasten und Kunstprojekte. Beim Rauchen beginnen die beiden zu erzählen. Ausgangspunkt sei Livio Vasella gewesen, ein weiteres Gründungsmitglied, das schon lange das Hobby vom Brauen im kleinen Rahmen verfolgt hatte.
Drei Wochen für das eigene Bier
«Die Idee für eine eigene Brauerei entstand dann spontan, als sich die Möglichkeit ergab, eine Brauerei aus der Verwandtschaft zu übernehmen. Diese kam aber nicht in Frage, weil sie zu weit weg war», sagt Oliver. Das war der Startschuss für Gsöff: Auf die Idee folgte die Gründung der Braugenossenschaft und das erste Brauen im Juni 2023. Im Sommer zügelte Gsöff dann an den heutigen Standort an der Weststrasse in Wiedikon, mittlerweile zählt das Team sechs Personen.
«Wötsch es Bier?», fragt Luis. Wir begeben uns nach drinnen zur Brauanlage. Mein Blick wandert durch den Raum. Rundherum wirkt vieles etwas improvisiert. «Der Boden reisst immer wieder auf und muss neu gedeckt werden», sagt Oliver. In weisses Licht getaucht, stehen unterschiedlich grosse Tanks mit Thermo- und Barometern, die die Temperatur und den Druck im Tank anzeigen. Es folgt eine heruntergebrochene Erklärung des ganzen Brauprozesses.
Das Brauen beginnt bei Gsöff mit der Filtration und Enthärtung des Wassers. Dieser Schritt dauert etwa 10 bis 12 Stunden und dient dazu, unerwünschte Geschmäcker zu entfernen. Anschliessend wird das Wasser in zwei Töpfe aufgeteilt. In einem Topf, dem Maischetopf, wird das Wasser auf 69 Grad erhitzt und Malz hinzugefügt. Nach einer Stunde Maischen wird die klare Flüssigkeit, die «Würze» genannt wird und die gelösten Zucker aus dem Malz enthält, in einen weiteren Topf geleitet. Im «Würze»-Topf wird die Flüssigkeit schnell zum Kochen gebracht, während aus dem anderen, dem Nachgusstopf filtriertes Wasser erneut durch den Maischetopf geleitet wird. So kann das restliche Malz, welches im Filter hängengeblieben ist, nochmals gespült werden. Über eine Stunde hinweg wird dem «Würze»-Topf schrittweise Hopfen hinzugefügt, um Bitterstoffe und Aromen zu extrahieren.
Sobald die Würze fertiggekocht ist, wird sie schnell abgekühlt und in den Gärtank geleitet, wo die Gärung durch Hefe stattfindet. Während der circa einwöchigen Gärung muss der Zuckergehalt und die Temperatur regelmässig überwacht werden. Vor dem Abfüllen wird das Bier «cold-gecrasht», indem es auf 3 Grad heruntergekühlt wird. «Der ganze Prozess dauert zweieinhalb bis drei Wochen», erklärt Oliver.
«Mir nehmeds chli wies chunnt»
Auf die Frage, wie sich Gsöff als Brauerei noch einen Namen machen kann im bereits ziemlich gesättigten Biermarkt, antwortet Luis: «Die Idee besteht darin, dass das Bier irgendwo zwischen experimentell und traditionell steht.» Im Betrieb wird zwei Mal pro Monat gebraut, wobei verschiedene Sorten kreiert werden. Das ganze Jahr ist das Session-IPA zu haben, bei dem sich sehr fruchtige Noten rausschmecken lassen, weshalb es als eher leichtes Bier eingestuft wird. Der zweite monatliche Braugang ist jeweils experimenteller: Die Geschmäcker variieren beispielsweise zwischen Basilikum, Verveine-Zitrone oder einem klassisches Pils. Auch das Föhrenbier, das ich in der Hand halte, gehört dazu. Ziemlich gut! Es schmeckt holzig und vor allem in der Nase lässt sich die Föhrennote ausmachen.
Auf den Flaschen fallen zudem Namen auf. So sei jedes Bier einer Person gewidmet, die auf Gsöff einen besonderen Einfluss hatte. Auf einer steht «für Lena», auf einer anderen «für Wisnu». Das Projekt wirkt damit gemeinschaftlich, sowie auch die Brauerei selbst, neben der zwei Ateliers liegen, welche von Gsöff als Hauptmieter an Kunstschaffende untervermietet werden. Beim Erzählen dreht sich Luis um und nickt drei Personen zu, die schon die ganze Zeit friedlich in der Abendsonne malen. Das Teilen als Kernwert bildet sich auch an der Rechtsform der Brauerei ab: Als Genossenschaft hat jede*r die Möglichkeit, Teil von Gsöff zu sein. Um offiziell Genossenschafter*in zu werden, muss ein Mindestanteilschein von 500 Franken erworben werden.
Das übrige Geld, das weder für Investitionen noch Fixkosten benötigt wird, spenden die Brauer-*innen an gemeinnützige Organisationen. An den Genossenschaftsversammlungen wird jeweils entschieden, wo das Geld hinfliessen soll. Neben diesen Treffen ist der Freitagabend jeweils ein Fixpunkt für die Brauerei. Dann findet der sogenannte Rampenverkauf statt: Das türkise Garagentor zur Brauerei wird geöffnet und das Bier pro Flasche für 3 Franken 30 verkauft – pro Harass für 3 Franken. Dabei kommen nicht nur Freund*innen vorbei, sondern auch Leute aus dem Quartier.
Oliver und Luis betonen aber auch, dass das Projekt sehr anstrengend sein kann: Abgesehen von verschiedenen Arbeiten, die in der Brauerei anfallen, würden auch die Finanzen noch nicht ganz reibungslos laufen. Doch anstatt mehr Abnehmer*innen zu finden, möchten die beiden in Zukunft vor allem mehr Zeit mit Brauen verbringen. Wie gross Gsöff wirklich werden soll, ist nicht so ganz klar. Ihr Motto: «Mir nehmeds chli wies chunnt», sagt Luis. Am wichtigsten ist ihnen, dass ihre Grundwerte nicht verloren gehen: Gsöff soll ein Gemeinschaftsprojekt bleiben.