Vom Arbeiter- zum Kultkino
Kaum ein anderes Kino war prägender für die Zürcher Kinokultur als das Uto. Nun ist es Geschichte – ein Nachruf.
Zunächst war da der Ton, das Rattern des Projektors, dann setzte sich das bewegte Bild in Gang. Ein Ereignis, das erstmals im Grand Café in Paris zum Spektakel wurde. Vor knapp 130 Jahren begründeten die Brüder Lumière mit ihrer Erfindung des Kinematographen das Kino. Ein mittels Handkurbel angetriebener Apparat, der durch eine Kameralinse visuelle Sequenzen herstellen kann.
Fast so alt, bald hundertjährig, wäre auch das Studiokino an der Zürcher Kalkbreitestrasse geworden. Damit ist das Kino Uto eines der ältesten noch erhaltenen Kinos der Stadt und steht mit seiner im Stil des Expressionismus gebauten Fassade unter Denkmalschutz. Das gesamte Interieur, mit dem Kiosk im Foyer und der Bar auf der Empore, ist zeitlos und weckt nostalgische Gefühle. Zur Ausstattung gehört ein funktionierender 35mm Projektor, eine Rarität und in Zürich nur noch an wenigen Orten erhalten. Das Uto Kino, welches in seinen Anfangsjahren ursprünglich als Arbeiterkino für die umliegenden Quartiere gedacht war, wurde binnen kurzer Zeit mit anspruchsvollen Studiofilmen und Filmklassikern bespielt. Dem damaligen Alleinbesitzer Georg Derungs ging es weniger um wirtschaftlichen Gewinn, vielmehr stand bei ihm die Kinokultur im Fokus. Im Jahr 2013 wurde das Kino an die Arthouse Gruppe übergeben.
Klage wegen unanständigen Filmen
Bis heute ist vieles gleich geblieben. Simon Schwendimann ist seit vielen Jahren im Uto tätig und kuratiert sorgfältig das Programm. Einen Blick auf seinen Alltag wirft eine vor gut zehn Jahren von ihm gedrehte Dokumentation über das Kino. Bereits damals schwebten jedes Jahr Gerüchte über die Schliessung des Uto’s in der Luft. Ende März diesen Jahres wird das Unausweichliche nun zur Realität. Die Besitzer unterziehen die Liegenschaft einer Gesamtsanierung und haben sich gegen eine Wiederaufnahme entschieden. Auch eine Petition mit zehntausend Unterschriften konnte daran nichts ändern.
Bewahren heisst beschützen, heisst aufrechterhalten, und steht für Liebe und Hingabe für eine Sache. Wenn Dinge enden, werden wir instinktiv mit ihren Anfängen konfrontiert. Für Kontrolle, für die Angst vor dem Fall, bleibt dann meist auch keine Zeit mehr. Denkt man nun an Zürich als Kino- und Kulturstadt, dann ist Matthias «This» Brunner ein Name, an dem man nicht vorbeikommt. Mit dem Studio Commercio eröffnete der Filmliebhaber und Künstler damals 1973 Zürichs erstes Arthouse-Kino. «Weil hier in Zürich niemand Rainer Werner Fassbinder und Wim Wenders zeigen würde», nahm er die Sache selbst in die Hand. Es sind Vorführungen, die die Zuschauer*innen aus der Komfortzone reissen und herausfordern. Einer Klage «unanständige» Filme zu zeigen, trotzte er galant.
Dreissig Jahre lang kuratierte er das Programm der Arthouse-Gruppe. «Programmer of our eyes», lautet die Überschrift des Vorworts von Stefan Zweifel zur Autobiografie «Magnificent Obsessions Saved My Life», die im letzten Jahr erschienen ist. «Es gab niemanden, der unsere Nächte – ja vor allem unsere Nächte – so stark geprägt hat wie This Brunner. Das waren die Nächte unserer Jugend, als wir endlich frei waren, um in die Stadt zu gehen. Runter zum Bellevue, dem heimlichen Hirn der Stadt, wo sich Tramlinien kreuzen und verzweigen wie Hirnneuronen. Wir mischten uns ins Getümmel der Cafe Bar Odeon und gingen von dort aus mit einer Wurst vom Sternen Grill in der Hand zum Kino Nord-Süd Arthouse, wo am Ufer des Flusses andere Sterne glitzerten – jeder einzelne so vielversprechend wie die Namen der Filmstars im Vorspann unseres eigenen Lebens», schreibt er weiter und erzählt dabei von einem Gefühl, das grösser ist als der Raum, der einen umgibt.
Ein schweres und schönes Ende
Mit This Brunner wurde Zürich zu einem Ort, an dem das Programmkino mit seinem treuen Publikum gefeiert wurde wie nie zuvor. Die Schweizer Kinolandschaft erlebte Jahrzehnte des Erfolgs, die Arthouse-Gruppe erreichte ihren Höhepunkt mit Präsenz an acht Standorten. Zweifelschreibt: «Damals wussten wir noch nicht, dass wir Nacht für Nacht durch die Augen von This Brunner sahen. Denn er war es, der die Filme programmiert hatte, und er war es, der uns in seine Kinos, in diese Dunkelkammern unserer Sehnsucht gelockt hatte. Er programmierte nicht nur die Stadt, sondern auch die Geschichte unserer Augen.»
Zum letzten Tanz wurde das Uto mit einem wunderbaren Abschiedsprogramm bespielt. Gezeigt werden vierundzwanzig Filme. Es sind besonders erfolgreiche Filme, oder Filme, die seinerzeit im Uto liefen, «weil andere sich nicht die Finger verbrennen wollten», wie Gaspar Noé’s Irréversible, der bis heute als Skandalfilm gilt. In diesen letzten Wochen des Uto’s wird einem klar, dass man nicht als einzige Person an diesem Ort hängt. Der Saal ist gefüllt, die Stimmung schwer einzuordnen.
Ich erinnere mich an erste Male, als ich benommen nach dem Abspann sitzen blieb. Mir bereits auf dem Heimweg den Soundtrack in Endlosschleife anhörte, um mich dann zu Hause bis tief in die Nacht hinein in Texte über die Entstehungsgeschichte zu vergraben. Alles ein verzweifelter Versuch, diese Mischung der Gefühle zu konservieren und ich merke, dass ich nicht genug davon kriegen kann. Das Kino lehrt uns zu sehen und zu denken und schenkt uns Erfahrungen, die wir oftmals erst später begreifen. Der Philosoph Gilles Deleuze hat als Erster das Kino als einen philosophischen Akt wahrgenommen. Während die Philosophie unsere Gedanken mit Begriffen bewegt, handelt das Kino durch Bilder. Ferner schreibt er, dass es ein Recht darauf gebe, nichts zu sagen. Wie wunderbar, dass im Saal hoffentlich alle den Mund halten, wenn vorne die Musik spielt.
Das Wort «kuratieren» stammt vom lateinischen Wort «curare» ab, und heisst so viel wie «Sorge tragen», «sich um etwas sorgen». Sicher ist, bis heute hat es an Sorge und Wertschätzung für das Uto Kino nicht gefehlt. Die Menschen können und gehen ins Kino und das werden sie auch weiterhin tun. Weil es am Ende und am Anfang ebendiese «Magnificient Obsessions» sind, die uns antreiben. Werde ich manchmal gefragt, woher die Begeisterung kommt, weiss ich nie, was ich darauf antworten soll. Ich möchte sagen: Wir haben keine Wahl, wen oder was wir lieben. Wir haben einfach keine Wahl.