Ein Blick ins Labor des mobilen Drug-Checking-Stands an der «Mystica».

Über Risiken und Nebenwirkungen

In der Drogenhochburg Zürich sind viele Pillen und Pulver gestreckt. Mit dem mobilen Drug Checking will die Stadt das Konsumieren in Klubs sicherer machen.

Gena Astner (Text) und Lucie Reisinger (Foto)
1. April 2024

Samstagabend – 21:00 Uhr. «So, wo chan ich jetzt genau mini Droge teschte?», krächzt ein Mann um die 40. Seine Stimme klingt verlebt; nicht die erste Nacht, die er durchmacht. Er ist einer der Ersten, der sich vom Konzertsaal in die Chill-Out-Zone begibt, wo sich das Saferparty-Team an diesem Abend eingerichtet hat. Gebucht wurde die Organisation des Drogeninformationszentrums der Stadt Zürich (DIZ) von den Veranstalter*innen der Partyreihe «Mystica».

«Bisch du s’erscht Mal bi eus?», fragt eine Sozialarbeiterin. Der Mann bejaht dies und lacht schelmisch. Ballernde Psytrance-Bässe dringen begleitet von schallendem Gelächter durch den Eingangsbereich des X-TRA. Seine Bewegungen sind hektisch. Er kann es wohl kaum erwarten, sich in der tanzenden Menge seinem Rausch hinzugeben. Die Sozialarbeiterin nimmt den Mann zur Seite und die beiden verlagern ihr Gespräch auf eine Couch in der Ecke des Raumes; auf Privatsphäre wird grossen Wert gelegt.

Ein städtisches Drogenlabor im Klub deiner Wahl

Als Erstnutzer muss er einen Fragebogen zum eigenen Substanzkonsum beantworten. Der Fragebogen ist Teil des kostenlosen Angebots und insofern obligatorisch. Einerseits können so sonst schwer erhältliche Daten zum Konsum illegaler Substanzen erhoben werden und andererseits dient er als Gesprächs­leitfaden, um in der Beratung personenspezifische Schwerpunkte setzen zu können. Besonders die bisherigen Erfahrungen stehen im Zentrum, ob negativ oder positiv.

So regt das Gespräch auch zur Reflexion des eigenen Konsumverhaltens an. Zudem können Menschen mit negativen Kurz- wie auch Langzeitfolgen oder sonstigem Unterstützungsbedarf eine zusätzliche Einzelberatung erhalten. Zum Los der Niederschwelligkeit gehört jedoch, dass sich die Nutzer*innen jederzeit aus der Beratungssituation ziehen können. Diese Sprunghaftigkeit auszuhalten, sei eine der grössten Herausforderungen, sagt Joël Bellmont, Co-Teamleiter des DIZ.

Nach dem Gespräch geht es zum mobilen Labor. Die Chemielaborantin nimmt eine Pille entgegen, fotografiert sie und sammelt Informationen zur Beschaffung und zum Inhaltsstoff. Alles wird anhand einer Abholnummer katalogisiert, um die Anonymität der Nutzer*innen zu wahren. Dem Stoff wird eine Probe entnommen - etwa die Grösse einer Messerspitze - diese wird aufbereitet und in eine Maschine zur Substanzanalyse gestellt.

Nach circa 15 Minuten zeichnet sich auf dem Monitor ein Peak ab, der Auskunft über Art und Konzentration der Substanz gibt. Bei häufig verwendeten Streckmitteln wie beispielsweise dem Entwurmungsmittel Levamisol, das Hirnschäden verursachen kann, wird in der Auswertung ebenfalls die festgestellte Menge ausgewiesen. Ergibt die Analyse, dass eine Probe als andere Substanz verkauft wurde, gibt das DIZ online eine Warnung raus. Ebenso beim Fund von riskanten Streckmitteln oder in Fällen hoher Dosierung.

«Ich wür dir empfehle, mal en Viertel z’neh»

Das Angebot zählt zum heutigen Erbe der offenen Drogenszene in Zürich. Der «Needlepark» am Platzspitz und Letten prägte nicht nur das Stadtbild der 80er- und 90erJahre, sondern bereitete den Weg für eine neue Drogenpolitik: das Vier-Säulen-Prinzip bestehend aus Prävention, Therapie, Schadensminderung und Repression. Aufgrund der prekären Verhältnisse in der Szene wurde eine Streetwork-Organisation gegründet, die sich um junge Konsumierende kümmerte und diese soweit möglich unterstützte. Mit der Eröffnung und Überführung von Konsumierenden in städtische Kontakt- und Anlaufstellen wurde die offene Drogenszene aufgelöst. Mit dem Aufkommen der Techno-Szene etablierten sich neue Substanzen, unter anderem in Mischformen, auf dem Markt, die grosse gesundheitliche Risiken mit sich brachten. «Es wurde relativ schnell klar, dass man nicht um eine Substanzanalyse rumkommen würde, wenn man etwas verändern wollte», erklärt der Co-Leiter des DIZ. Die Geschichte des Drug Checkings begann somit als mobiles Angebot im Jahr 2001. Fünf Jahre später folgte das ambulante Drug Checking an der Wasserwerkstrasse.

Wer nicht gerne spontan konsumiert, kann hier zwei Mal die Woche einen Termin vereinbaren. Das Resultat folgt nach drei bis sieben Tagen. Dass sich aber viele spontan am Wochenende zum Konsumieren entschliessen, erkannte auch der Gemeinderat. Er veranlasste die Eröffnung des neuen Standorts im November 2023 an der Langstrasse, der eine sofortige Analyse bietet. Bellmont kommt zum Schluss: «Tatsächlich ist der neue Standort eine Verzahnung der Vorteile des mobilen und ambulanten Angebots: Man hat ein unmittelbares Resultat und man kann eventbezogen beraten, da besonders Kurzentschlossene vorhaben, direkt nach dem Kauf zu konsumieren.»

«Und was isch jetzt mit mim Stoff? Isch’s höch dosiert?» Der Mann ist von der Tanzfläche zurückgekehrt, um seine Analysewerte abzuholen. Seine MDMA-Pille war richtig deklariert und hochkonzentriert. Die Werte lassen sich in Bezug auf den Konsum erst im Gespräch mit der Sozialarbeiterin interpretieren: «Ich wür dir empfehle, mal en Viertel z’neh.» Der Mann nickt eifrig, bedankt sich und stürmt in Richtung Konzertsaal. Schlussendlich liegt die Verantwortung eben immer noch bei den Konsument*innen.