In seinem siebenjährigen Bestehen hat der Sender das Hiltl-Restaurant an der Langstrasse und eine Pandemie überlebt.

Der Sender macht dicht und auch sonst läuft nicht alles rund

Neben dem Klub Sender schliesst auch der Hund, und die Zuki zieht um. Seit der Pandemie hat sich die Zürcher Klubkultur nachhaltig verändert. Die Jungen bleiben aus, es wird weniger konsumiert. Was ist da los?

25. März 2024

Es gibt sie doch noch, die guten Nächte: Freitagabend im März, eine qualmende Menschentraube vor dem Eingang und drinnen hämmernde Beats über 150 BPM, alles trinkt und tanzt. Doch solche Nächte sind im Klub «Sender» an der Kurzgasse im Langstrassenquartier rar geworden – die Einnahmen sind seit Herbst stark eingebrochen. Nun musste der Sender bekanntgeben, dass er Mitte April seine Türen für immer schliesst. Das S auf dem Schild wurde entfernt, jetzt steht da nur noch «Ender».

Dieses Ende passt zu Zahlen der Stadt Zürich. Von 2013 bis 2020 hat die Anzahl Nachtklubs in der Stadt um mehr als einen Drittel abgenommen. Ein aktuelles Bild zeichnen Meldungen der Kulturorte Zentralwäscherei und Rote Fabrik. Beide sind von Geldsorgen geplagt. Zudem wurden die Schliessungen der Klubs «Hund» und «Zukunft» angekündigt. Wo liegen die Probleme und handelt es sich hier tatsächlich um das vielbeschworene Klubsterben?

Die Partygäste haben weniger Geld im Sack

Es liegt viel Wehmut, aber auch eine gewisse Erleichterung in Christian Gamps Stimme, wenn er vom bevorstehenden Ende seines Lokals spricht. «Vor einem halben Jahr war ich noch sicher, dass wir überleben werden. Doch ich wusste auch, wenn es mal schlecht läuft, wird es sehr schnell gehen», sagt der Gründer und Betreiber des Klubs und des Internetradios «Gegen den Strom» (GDS). Im Sender finden seit der Gründung vor knapp zehn Jahren regelmässig mehrere Konzerte pro Woche und gelegentlich auch Partys statt, die Musik wird jeweils per Radio gestreamt. Viele heute bekannte Musiker*innen spielten auf der kleinen Holzbühne ihre ersten Konzerte, so etwa die Jazzband Okvsho.

Einen der Hauptgründe für das abrupte Ende sieht Gamp in der derzeit schwierigen wirtschaftlichen Lage. Mit steigenden Mieten und Krankenkassenprämien hätten die Menschen zu wenig Geld im Sack, besonders die Jungen könnten es sich deshalb weniger leisten, in den Ausgang zu gehen. Zwar muss sich der Sender nicht komplett selbst tragen, da er durch sein Kulturangebot bei Stadt und Kanton förderberechtigt ist, jedoch sind die Fixkosten des Lokals sehr hoch und die Anzahl Leute, die reingelassen werden können, vergleichsweise klein. Dementsprechend hoch war stets das Risiko. «Wir hatten ausserdem grosse Probleme, Personal zu finden, das Lust hat, Verantwortung zu übernehmen; und das heisst, von acht Uhr abends bis fünf Uhr morgens den Laden zu schmeissen», sagt Gamp. Das bedeutete noch mehr Nachtschichten für ihn – eine hohe Belastung für den jungen Vater.

Der kleine Klub hat im Kreis 4 so einiges erlebt und überdauert, zum Beispiel einen gewonnenen Rechtsstreit wegen Lärmbeschwerden oder das Kommen und Gehen des Yuppie-Restaurants Hiltl, das an die Langstrasse zog. Vor allem aber überlebte der Sender die Corona-Pandemie. Doch hinterliess diese eine tiefe Wunde, und zwar nicht nur beim Sender, sondern im ganzen Nachtleben, weltweit. In Grossbritannien etwa sind seit 2020 ein Drittel aller Klubs verschwunden. Und auch in Deutschland hat die Anzahl Tanzlokale im letzten Jahrzehnt drastisch abgenommen.

Die Zuki geht zu, das Roland macht auf

Die Jungen seien nicht nachgerutscht, sagt der 37-Jährige. «Als ich noch jung war, ging man jede Woche zwei Mal in den Ausgang. Heute ist der Donnerstag hier leer.» Diese Veränderung spüren auch andere Klubs in der Nachbarschaft des Senders. Unweit von der Kurzgasse liegt im Herzen der Langstrassengegend der Klub Zukunft, auch «Zuki» genannt. Sie wurde 2005 gegründet; damals nur ein einfacher Keller, umfasst der Klub heute mit der dazugehörigen Bar3000 und der Waxy Bar drei Etagen und zählt zu den etabliertesten Technoklubs der Stadt. Doch auch hier ist bald Schluss: «Am 1. April 2025 werden hier die Bagger auffahren und das Haus abreissen», erzählt Sacha Winkler alias Kalabrese, der die Zuki mitgegründet hat und hier seit seinen Anfängen als DJ auflegt.

Die Zuki schliesst zwar, weil der Mietvertrag zu Ende geht und das Haus umgebaut wird. Doch auch hier ging die Zahl der Tanzfreudigen im vergangenen Jahr zurück, vor allem am Donnerstag, der eigentlich als Gratisabend für Studierende bekannt ist. Man spüre schon, dass die Leute mehr sparen müssten, sagt Winkler. Im Vergleich zum Sender ist die Lage für die Zuki komfortabler: Mitgründer Alex Dallas wird nächstes Jahr an der Langstrasse den Technoklub «Roland» eröffnen, wo früher das gleichnamige Sexkino beheimatet war. Auch Winkler hätte bei diesem Projekt einsteigen können, doch um sich auf seine Musik zu konzentrieren, lehnte er ab. Bis zur Öffnung 2025 werden die Räumlichkeiten noch umgebaut. Es sei nicht das Ziel, dass das Roland die Zuki ersetze, so Winkler. «Aber ein Teil des Spirits und des Programms wird natürlich rüberwandern.» Mit dem Abriss des Hauses an der Dienerstrasse 33 wird aber nicht nur die Zuki, sondern auch die Piranha Bar an der Piazza Cella verschwinden. An diesem berühmt-berüchtigten Ort, der durch sein Treiben nachts einem kleinen Theater gleicht, soll sich bald ein Coop Pronto ansiedeln.

Das Stadtbild verändert sich – auch im Kreis 5 an der Limmatstrasse. Dort konnte man bis anhin im Hund bei Wohnzimmeratmosphäre Espresso Martini trinken und gelegentlich im Keller der Bar ganze Wochenenden lang durchtanzen. Doch Ende März geht das Pop-up zu Ende. Auch hier hätte man den Corona-Knick bemerkt, sagt Bär, der mit bürgerlichem Namen Patrick Metzger heisst und Mitgründer des Hunds ist und noch andere Lokale wie das «Kauz» betreibt. «Am Sonntag läuft es halb so gut wie vor Corona. Viele ältere Gäste sind weggefallen, ältere Raver*innen, die gemerkt haben, dass Wandern am Sonntag auch geil ist», so Bär. Auch würden die Jungen weniger Alkohol trinken.

Geeignete Locations sind rar

Damit gehen vielerorts die Umsätze zurück, die an der Bar erwirtschaftet werden. Kritisch ist das vor allem, weil sich viele Klubs so finanzieren müssen. Es findet eine Art Quersubvention statt, da Miete, Lohn, Acts und weitere Fixkosten nur schwer mit Eintrittseinnahmen gedeckt werden können. Trotzdem sehen viele Betreiber*innen die Entwicklung nicht unbedingt negativ, denn Klubkultur und Ausgang muss nicht übermässigen Alkoholkonsum bedeuten.

«Die Leute wollen das Angebot gerade nicht. Das ist auch okay, dann entsteht wieder etwas Neues – im Idealfall ohne den Zwang, Alkohol zu verkaufen, um Kultur betreiben zu können.»
Christian Gamp, Gründer und Betreiber des Klubs Sender

Gerne hätten die Gründer*innen des Hunds die Bar an einem neuen Ort noch länger betrieben, doch fehlte es ihnen an einer geeigneten Location. Eine solche zu finden ist in Zürich schwierig. «Man kennt es ja von der Wohnungssuche. Und mit der Gentrifizierung in den Kreisen 3, 4 und 5 wird es nicht gern gesehen, wenn ein Klub aufgeht», sagt Bär. Im Zentrum des Ausgangs, rund um die Langstrasse, gehen die Immobilienpreise durch die Decke. Damit steigen auch die Anzahl Lärmklagen: Wer viel Geld für die Miete bezahlt, möchte nachts ruhig schlafen können.

Momentan liege der Fokus des Nachtlebens noch auf der Langstrasse, meint Sacha Winkler. Wenn die Mieten weiterhin steigen, werde sich das langfristig ändern. Sowohl Bär als auch Winkler betrachten es als realistische Möglichkeit, dass sich Klubs zunehmend in die Binz oder nach Altstetten verlagern, wo die Mieten etwas tiefer sind und der Lärm weniger stört. Und das passiert auch schon: Anfang 2023 machte in der Nähe des Bahnhof Altstettens der Technoklub «Zinkbad» auf. Doch gemäss Social Media scheint dieser Klub nicht überlebt zu haben, zumindest wurde vergangenen Sommer das letzte Mal ein Event angekündigt, eine Mailanfrage der ZS blieb unbeantwortet.

Der freie Markt bestimmt. Dieser Leitsatz gilt derzeit auch bei der Entwicklung des Zürcher Nachtlebens. Doch die Frage nach Förderung durch die öffentliche Hand ist keine triviale. Der Kulturbegriff, den die Stadt Zürich, aber auch der Bund verwenden, klammert Klubs und elektronische Musik aus. Dementsprechend gibt es in Zürich auch keine Förderung für Klubs. Hingegen: Veranstaltet ein Lokal Konzerte, kann es beim Popkredit der Stadt Zürich einen Förderantrag stellen. «Die Verteilung dieser Gelder ist schlicht falsch», sagt Bär. Es sei sehr wichtig, dass Konzerte gefördert werden. Doch könne es nicht sein, dass etwa das Opernhaus 80 Millionen Franken pro Jahr erhält und die Klubs gar nichts.

Bei dieser Ungleichbehandlung setzt die Zürcher Bar- und Clubkommission an, ein Verband, der sich für die Interessen der Nachtkulturunternehmen in Zürich stark macht. Geht es nach ihr, braucht es eine politische Anerkennung der DJ-Kultur. Dafür engagiert sich der Verband in Bern: Die Kulturbotschaft des Bundes soll sein Leitbild für die Förderperiode 2025-28 um das Wort «Klubkultur» ergänzen, um so eine Grundlage für eine künftige Förderung zu schaffen.

Basel macht vor, wie es geht

Lokale Beispiele einer solchen Unterstützung existieren aber bereits, etwa in Basel, wo das Stimmvolk 2020 die «Trinkgeld-Initiative» annahm. Damit wurde festgelegt, dass mindestens fünf Prozent des ordentlichen kantonalen Kulturbudgets in die Basler Jugend- und Alternativkultur fliessen soll. Im Anwendungsfall bedeutet dies, dass Basler Klubs Anträge für einen DJ-Auftritt, aber auch für das Ausbauen der Infrastruktur stellen können. In Zürich ist ein solcher Vorstoss gemäss der Bar- und Clubkommission nicht geplant.

«Es braucht auch nicht nur Geld», sagt Alexander Bücheli, Mediensprecher der Kommission. Es gehe auch um Rahmenbedingungen: Bei Zwischennutzungen zum Beispiel könnten bestimmte Regulierungen erlassen werden, um grosse Umbaukosten zu vermeiden. Unbeliebte oder lärmintensive Neubauten wie Schlachthöfe könnte man so planen, dass nebenan ein Klub einziehen könnte, so Bücheli. Gemäss dem Mediensprecher ist es aber auch wichtig, dass das Nachtleben seinen Platz im Stadtzentrum behält. «Sonst verwaist es und wird scary, wie etwa das Business District in San Francisco.»

Dass die Langstrassengegend dies zumindest in naher Zukunft noch nicht befürchten muss, sieht man am besagten Freitagabend im März. Die Massen drängen sich über die Trottoirs, die Lichter blinken, der Pegel steigt. Zwar ist die Gentrifizierung des Gebietes in vollem Gange, doch dass Angebote wie das Hiltl nicht überlebt haben, zeigt eine gewisse Resilienz der Gegend. Von einem Klubsterben will keiner der befragten Betreiber sprechen. «Es ist immer eine Frage der Nachfrage», sagt Christian Gamp vom Sender. «Und es scheint so, als wollten die Leute das gerade nicht. Und das ist auch okay, dann entsteht wieder etwas Neues – im Idealfall ohne, dass massenweise Alkohol verkauft werden muss, um Kultur zu betreiben.»

Und wie es mit dem Sender weitergeht? Das Radio werde bestehen bleiben und er werde noch sporadisch Events organisieren. Ein neues Klub-Projekt sei bisher nicht angedacht. Vorerst gibt es noch eine dreitägige Abschiedsparty vom 11. bis 13. April. «Die darf man nicht verpassen», sagt Gamp mit einem vorfreudigen Lächeln.