Jeden Dienstag im Semester zeigt die Filmstelle Klassiker und Skurriles, wie hier «The Birds» von Alfred Hitchcock. PD

100 Jahre Kino von und für Studis

Die Filmstelle ermöglicht eine Alternative zum kommerziellen Kino. In ihrer hundertjährigen Geschichte zeichnet sich die Entwicklung des «Schundmediums» Film zum heutigen Studiengegenstand ab.

Paula Wollenmann (Text) und Mark Blum (Foto)
25. März 2024

Aufregung herrscht im Kinosaal. Das Licht geht aus, der Projektor beginnt zu rattern. Das neue Medium Film fasziniert die Menschen: raus aus dem eintönigen Alltag und rein in die neue Welt der Bilder. Wir schreiben das Jahr 1924. Das Kino boomt. Auch in Zürich: Das Kino Bellevue ist rappelvoll. Die Kinokommission der ETH präsentiert ihre erste Vorstellung.

Hinter der Gründung stand ein Bildungsgedanke

In den letzten hundert Jahren veränderten sich nicht nur die technologischen Möglichkeiten der Filmproduktion, sondern auch ihr Inhalt: «Früher wurden Kurzfilmprogramme mit Vorträgen von wissenschaftlichen Redner*innen gezeigt, somit wurde das Kino ursprünglich für die Vorführung und Archivierung naturwissenschaftlicher Filme genutzt», so Elisabeth Agethe, die Filmwissenschaften an der Uni Zürich studierte und ihre Masterarbeit über die Filmstelle schrieb.

Hinter der Gründung des Kinos steht somit ein Bildungsgedanke. Aus dem Jahr 1924 sind Vorführungen von Filmen über die Luxemburger Eisenbahn, die Bernhardiner Hunderasse und Bienen dokumentiert. 1927 wird aus der Kino­kommission die Filmstelle. In den darauffolgenden Jahren äussert der Verein mehr und mehr Interesse am Spielfilm: Im November 1932 veranstaltet die Filmstelle ihren Eröffnungsabend im Kino Uto mit «Les nouveaux Messieurs» von Jacques Feyders, eine französische Politiker- und Gesellschaftssatire. Spielfilme gelten in den 1930er-Jahren als «Schundmedium», werden jedoch von Studierenden als wissenschaftliches und intelligentes Objekt verteidigt. Zwei Jahre darauf wird im Vorstellungsraum der ETH eine Tonfilm-Anlage eingebaut. Die Filmanlage wird zum neuen, innovativen Statussymbol.

In den 1960er-Jahren veröffentlicht die Filmstelle das erste Mal ein Filmbulletin. Während der Vorstellungen kommt es dann zu misslichen Szenen: Der Andrang ist so hoch, dass sich die Zuschauer*innen in den Hörsaal quetschen müssen, was zu physischen Ausschreitungen führt. Die Filmstelle führt daraufhin einen Vorverkauf der Eintrittskarten ein. Alt geworden ist die Filmstelle in den letzten 100 Jahren wohl kaum. Studierende bleiben während ihrer Studienzeit Mitglieder und machen dann in fliegendem Wechsel den nachfolgenden Generationen Platz. In der hundertjährigen Geschichte der Filmstelle entwickelte sich auch das Medium Film vom analogen Stummfilm zum Tonfilm, dann zum Videobandsystem und schliesslich zum modernen, digitalen Massenmedium. Mittlerweile zählt es zu einem der wichtigsten Kulturmedien überhaupt.

Heute zählt das Studierendenkino ungefähr 40 aktive Mitglieder, die sich ehrenamtlich engagieren. Wöchentlich, jeweils dienstags, präsentiert der Verein im Gebäude CAB der ETH Zürich verschiedene Filme unter einem bestimmten Motto. Die meisten der Mitglieder sind Studierende der ETH und der Universität Zürich. Die Mitglieder organisieren die Filmabende, arbeiten an Bar und Kasse und kümmern sich um das Social Media des Vereins. Zu ihnen gehört Jérôme Bewersdorff, der Co-Präsident des Vereins und Mitglied des Programmteams.

Ursprung der Filmwissenschaften

Rund ein halbes Jahr vor dem offiziellen Start trifft sich das Team, um das Vorstellungsprogramm des Semesters einzugrenzen. Dabei können alle Mitglieder neue Themen vorschlagen. Im Anschluss wird über notwendige Kriterien und die Auswahl an Filmen diskutiert. Anspruch an die heutzutage ausgestrahlten Filme sei vor allem Originalität und Vielfältigkeit, so Bewersdorff: «Wir verstehen uns als Ergänzung zum kommerziellen Kino. Das Angebot reicht über alle Länder und Epochen und die Filme werden in Originalsprache ausgestrahlt», so der Co-Präsident. Für das Jubiläum habe sich die Filmstelle viel vorgenommen. Momentan wird eine Dokumentation über den Verein gedreht. Wann genau diese zu sehen sein wird, kann Bewersdorff noch nicht sagen. Auch ein Open-Air-Festival ist in Planung.

Was aber ist das Geheimrezept der Filmstelle? «Die Filmstelle hielt sich nur durch das Engagement der Studierenden so lange», meint Agethe. Durch den Verein haben filmbegeisterte Menschen einen Ort, an dem sie sich über ihr gemeinsames Interesse austauschen können. Selbst an der Uni hinterliess die Filmstelle ihre Spuren.

Das Fach Filmwissenschaften der Uni Zürich hat seine Ursprünge im Verein: «1989 wurde der Lehrstuhl gegründet. In den Jahren zuvor wurden Mitglieder der Filmstelle gebeten, die Studierenden der Berufungskommission zu vertreten. Aber auch politische, wirtschaftliche und weitere Gründe sorgten für die Gründung des Seminars.» Agethe meint: «Vorstellungen werden durchschnittlich von 80–120 Menschen besucht. Kein anderes Kino in Zürich hat regelmässig solch hohe Besuchenden­zahlen von jungen Menschen.»