Türen nutzt der deutsche Schriftsteller Franz Kafka in seinen Werken gerne als Motive.

Zwischen Türen und Texten

Kulturspalte — Betritt man die stillen Hallen des Literaturmuseums Strauhof, öffnet sich eine Tür zu einem faszinierenden Kapitel der Literaturgeschichte: Die Ausstellung "Kafka – Türen, Tod & Texte" bietet anlässlich des 100. Todestags Schriftstellers Franz Kafka einen tiefen Einblick in sein Leben und Werk.

22. März 2024

Gerade legt sich der siebzehnjährige Karl Rossmann in Kafkas Roman «Der Verschollene» schlafen, als es an seiner Tür klopft. «Möchten Sie nicht die Tür öffnen? Der Schlüssel steckt auf Ihrer Seite.» Er zögert.

Die Tür zum Literaturmuseum Strauhof, wo eine Ausstellung zum Anlass des 100. Todestags des deutschsprachigen Schriftstellers Franz Kafka stattfindet, schwingt von selbst auf. Als ich mich ins Innere begebe, werde ich von einem übergrossen Bild einer Tür aus der Filmadaption von «Der Prozess» begrüsst. Begleitet von dem zuvor erwähnten Zitat bildet diese Tür den Anfang der Ausstellung «Kafka – Türen, Tod & Texte». Die Ausstellung ist Teil von «Kafka 2024», ein ganzjähriges Festival in allen deutschsprachigen Ländern, welches sich in Form von verschiedensten Veranstaltungen, etwa Panels oder Theaterstücke, mit Kafka beschäftigt. 

Die Ausstellung im Strauhof ist auf wenige Räume verteilt, was bei einem Autor von diesem Ausmass kein leichtes Unterfangen ist. Es gelingt den Kuratoren Rémi Jaccard und Philip Sippel jedoch, alle Elemente Kafkas aufzugreifen. «Wir wollten den ganzen Kafka zeigen», sagt Sippel. Tatsächlich werden sämtliche Bereiche Kafkas angesprochen – sein Schreiben, sein Leben, seine Wirkung. Dafür lässt das Museum Strauhof im Erdgeschoss Kafka für sich selbst sprechen: Präsentiert werden seine Tagebücher, seine Briefe und natürlich auch seine literarischen Werke. 

«Das Schreiben ist ein süsser wunderbarer Lohn»

Gleich zu Beginn der Ausstellung gelangt man durch einen Vorhang ins Dunkle. Nur Auszüge aus Kafkas Tagebüchern und Briefen erleuchten den Weg. Sie sind von neon-blauen Schnüren umrahmt – Türen, wenn man so will, die Einblicke in Kafkas Leben bieten. Der dunkle, fast schon trichterförmige Raum solle dabei sein Alltagsleben widerspiegeln, welches Kafka häufig aufgrund vom konstanten Lärm und Chaos als beengend empfand, erklärt Sippel. Durch die Auszüge wird gezeigt, dass Kafka beim Schreiben viele Höhen aber auch Tiefen erlebte: «Das Schreiben ist ein süsser wunderbarer Lohn», schrieb der Schriftsteller seinem Freund Max Brod und erklärte, dass er sich oft «vollständig von seinem Roman besiegt» fühle.  

Der nächste Raum ist ganz anders:  weiss und minimalistisch. In Sitzsäcken können Besucher*innen es sich bequem machen und dabei Ausschnitte aus Kafkas Werken hören. Die gewählten Auszüge handeln alle vom Motiv der Tür, das in der Ausstellung immer wieder Thema ist. «Türen tauchen oft als Leitmotive in Kafkas Werken auf», erklärt Sippel. Einerseits liesse sich ein Übergang darstellen, zugleich aber auch die Angst, sich einen solchen Übergang nicht leisten zu können. Auf der einen Seite die Verbindung zur Aussenwelt, auf der anderen die Isolation davon. 

Das Erdgeschoss einmal verlassen, verstummt Kafka und wird im nächsten Stock von anderen Stimmen ersetzt. «Ich glaube», erklingt die Schriftstellerin Kathrin Röggla aus einem Lautsprecher, «ich halte ihn nach wie vor für einen der sehr, sehr grossen Autoren, die es einfach wert sind – ganz banal – gelesen zu werden». Im ersten Stock geht es darum, für und über Kafka zu sprechen. Dabei wird auf der einen Seite sein Lebenslauf in Q&A-Form präsentiert und auf der anderen seine Wirkung. Es ist beeindruckend, was Kafka alles inspiriert hat – Filme, Theaterstücke, Comics, Skulpturen. Sogar ein eigenes Wort hat er, «kafkaesk», das so viel wie unheimlich oder rätselhaft bedeutet. Unterbrochen werden diese zwei Räume von Kafkas Todesanzeige, sowie von seiner letzten Bitte an seinen Freund Max Brod, «alles, was sich in meinem Nachlass […] findet, restlos und ungelesen zu verbrennen».

Bei Kafka geht es um menschliche Erfahrungen

Eine Diskussion von Franz Kafka existiert nicht ohne eine Diskussion von Max Brod, der nach dessen Tod Geschichten, Zeichnungen, Briefe und Tagebücher überarbeitete und veröffentlichte und somit Kafkas letzten Wunsch direkt überging. Dies wurde oft diskutiert, doch gerade der erste Stock des Museums Strauhof zeigt, dass eine Welt ohne Kafka kaum vorstellbar ist. Wie kommt es denn überhaupt dazu, dass Kafka nach hundert Jahren tot noch immer so aktuell ist?

«Eigentlich hält er sich seit den 1950ern kontinuierlich ohne grosse Einbrüche, glaube ich, und wird immer als überhaupt nicht veraltet wahrgenommen», sagt der Comiczeichner Nicolas Mahler im letzten Raum der Ausstellung, wo Interviews über Kafka mit zeitgenössischen Autor*innen gezeigt werden. «Also könnte man jetzt sagen: Dann ist er eigentlich immer aktuell.» Ein möglicher Grund dafür, weshalb Kafka nie veraltet, wird durch die Ausstellung klar: Oft geht es in Kafkas Werke um menschliche Erfahrungen, die zeitlos bleiben. Zum Beispiel tritt die Einsamkeit oder das Aussenseitersein oft als Motiv auf – da denkt man gleich an Gregor Samsa, der als Protagonist in «Die Verwandlung» plötzlich eines Morgens als Käfer aufwacht. Sippel fragt sich auch, ob solche Texte noch so aktuell bleiben, weil sie Other-Gruppen wie die queere Community weiterhin ansprechen.

 Seine anhaltende Beliebtheit hat sicherlich auch mit der Zugänglichkeit seiner Texte zu tun: Oft sind sie kurz und zeichnen sich durch einfache Satzstrukturen aus. Gleichzeitig haben sie aber auch viele Details und bieten unendliche Interpretationsmöglichkeiten, so dass man immer wieder zu seinen Werken zurückkehrt, um Neues zu entdecken. «Oft lässt sich bei Kafka-Interpretationen mehr über den Interpretierenden aussagen als über Kafkas Texte selbst», sagt Sippel. Dann ist es nicht erstaunlich, dass auch heute immer noch jede Person selbst einen Interpretationsversuch wagen will. Den Schlüssel zu Kafka hat man bereits, nun muss man nur noch einen Zugang zu ihm finden.