Der Bundesrat will sich den Austausch nicht leisten

Auf Annahme der Masseneinwanderungsinitiative wurde die Schweiz von den EU-Programmen Horizon und Erasmus ausgeschlossen. Bei den aktuellen Neuverhandlungen steht Erasmus an zweiter Stelle.

Meryam Bahi (Text) und Sumanie Gächter (Illustration)
14. März 2024

Jetzt soll es schnell gehen. Im Dezember 2023 haben sich die EU und der Bundesrat auf eine Neuverhandlung für das Forschungsprogramm Horizon Europe und das Austauschprogramm Erasmus geeinigt. Seit dem Auschluss aus Horizon können Forschende nur eingeschränkt an Ausschreibungen teilnehmen, für die Finanzierung springt der Bund in die Bresche. Das Austauschprogramm Erasmus wurde durch das «Swiss-European Mobility Programme», kurz SEMP, ersetzt. 

Die Neuverhandlungen sollen in diesem Frühjahr beginnen und noch vor Ende des Jahres abgeschlossen werden. Für die Zwischenzeit ist eine Übergangslösung für Horizon vorgesehen, die den Forschenden aus der Schweiz ermöglichen soll, an der Ausschreibung des Europäischen Forschungsrates (ERC) teilzunehmen. Allerdings stehen die Vorbereitungen zur Neuassoziierung an Erasmus noch einige Schritte hinter denen zum Forschungsprogramm Horizon. 

VSS bleibt bei der Europa-Initiative

Nadège Widmer, Co-Präsidentin des Verbands der Schweizer Studierendenschaften (VSS), erklärt: «Dies ist hauptsächlich so, weil das Finanzierungspaket für Horizon bereits vom Bundesparlament verabschiedet wurde, was bei Erasmus nicht der Fall ist.» Da der Gesamtpreis für eine Neuassoziierung an Erasmus noch nicht bekannt sei, könne der Bundesrat die Finanzierung noch nicht zur Abstimmung stellen. Zudem sei Horizon aufgrund seiner Bedeutung für die Forschung von der Politik stärker hervorgehoben worden. 

Seit die Schweiz 2014 in Folgen der Masseneinwanderungsinitiative vom Programm Erasmus ausgeschlossen wurde, engagiert sich der VSS für eine Wiederassoziierung an Erasmus. Im Jahr 2022 trat der VSS dem Komitee der «Europa-Initiative» bei. Gegenüber der ZS kündigte der VSS damals an, aus dem Komitee wieder auszutreten, sobald eine Vollassoziierung von Erasmus erreicht wird. Heute sagt Widmer dazu: «Angesichts der aktuellen Entwicklung und Unvorhersehbarkeit der Lage zieht der VSS einen Austritt aus dem Bündnis zum jetzigen Zeitpunkt nicht in Betracht.»

Trotz der unsicheren Lage hegt der VSS Hoffnung: «Seit der Ankündigung, im November 2023 ein Verhandlungsmandat vorzubereiten, hofft der VSS auf eine schnellere Entwicklung bei der Wiederassoziierung und hat die Situation genutzt, um einen Grossteil seines politischen Lobbyings bei den Parlamentarier*innen auf eine potenzielle Wiedervereinigung zu fokussieren», sagt Widmer.


Weniger Papierkram

Eine Re-Assoziierung an Erasmus würde den Austausch unkomplizierter machen, meint Widme. Dazu würde beispielsweise eine Erasmus Student Card und eine App dienen: «Damit sollen die Unterstützungsdienste für Studierende zentralisiert und der Datenaustausch vereinfacht werden.» Zudem spielt die Finazierung eine grosse Rolle. Seit einigen Jahren können sich Schweizer Hochschulen zwar durch transnationale Allianzen zusammenschliessen, die finanzielle Unterstützung durch die EU fehlt allerdings. Widmer sagt, eine verspätete Assoziierung verschlechtere die Position der Schweiz im Bildungsbereich in Europa und der Welt. Es sei wahrscheinlich, dass noch mehr europäische Hochschulen die Partnerschaft mit Schweizer Hochschulen aufgrund der damit verbundenen administrativen Komplikationen nicht mehr fortsetzen wollen. 

Nicht vor 2027

Für eine Wiederassoziierung an Erasmus muss der Bundesrat dem Parlament eine Finanzierungsbotschaft vorlegen. Damit werden finanzielle Mittel für das entsprechende Programm beantragt und von der Bundesversammlung genehmigt oder abgelehnt. Dimitri Sudan, Bereichsleiter für internationale Beziehungen bei Swissuniversities, meint dazu: «Nach dem Ausschluss der Schweiz von beiden Programmen hat es vorläufig keinen Sinn gemacht, eine Finanzierungsbotschaft für eine Teilnahme an Erasmus dem Parlament zu unterbreiten.» 

Denn würde die Schweiz in den nächsten Monaten wieder bei Erasmus  dabei sein, müsste der Bund weiterhin die Übergangsmassnahmen finanzieren und zusätzlich den Beitrag für eine Teilnahme an «Horizon Europe» garantieren. Das sei in der aktuellen finanziellen Situation des Bundes eine grosse Herausforderung, wie Sudan erklärt. «Ich persönlich glaube kaum, dass die Finanzierung von «Erasmus +» vor dem Jahr 2027 möglich wird», sagt er.

Junge Forschende im Nachteil

Bei Horizon treten die neuen Übergangslösungen bereits mit dem Beginn der Verhandlungen in Kraft. Diese ermöglicht es den Forschenden, an den Ausschreibunges der Advanced Grants 2024 des ERC teilzunehmen. Diese Übergangslösung findet Sudan sehr wichtig: «Eine Finanzierung durch den ERC zu erhalten, bedeutet für Forschende sehr viel Prestige.» Dabei geht es nämlich um Grundlagen- und Pionierforschung, die durch den Europäischen Forschungsrat finanziert wird. Dass die Schweiz nicht mehr an der Ausschreibung hätte teilnehmen können, hätte sie als Forschungsstandort unattraktiver gemacht. Findet die EU und die Schweiz keine gemeinsame Lösung, werde man die durch den ERC evaluierten Projekte weiterhin durch den Nationalfonds finanzieren. 

Für die Hochschule sei die Re-Assoziierung nach wie vor das oberste Ziel, meint Mira Wecker von der Medienstelle der ETH Zürich. «Je länger die Schweiz nicht vollassoziiert ist, desto schwerwiegender werden die Folgen für die Forschung, Lehre und Wirtschaft hierzulande sein», sagt Wecker. Zwar sei der Zugang zu vielen Programmen von «Horizon Europe» nach wie vor zugänglich, doch sind Schweizer Forschende von Einzelförderungen voll ausgeschlossen. Das betreffe besonders junge Forschende, die am Anfang ihrer Karriere stehen. «Solche Personen dürften es sich genau überlegen, ob sie in die Schweiz kommen wollen oder von der Schweiz an eine Hochschule in der EU oder in einem assoziierten Drittstaat wechseln sollen», sagt Wecker. Zudem sei man von gemeinsamen Forschungszentren und bei Themen, die als «strategisch relevant» eingeschätzt werden, gesperrt. Als Beispiel nennt sie die Quantenforschung: «Bisher waren ETH-Forschende am europäischen Quanten-Flaggschiffprojekt ‘Open-Super-Q’ beteiligt. Für die nächste Phase des Projekts wurden jedoch keine Anträge von Forschenden aus der Schweiz mehr akzeptiert.»

Bei Erasmus habe sich der Ausschluss dank SEMP weniger bemerkbar gemacht als bei Horizon, so Wecker. Allerdings sei die Administration der Programme viel grösser. «Insbesondere bei neu entwickelten Mobilitätsformaten wie hybriden Formen und Kurzmobilität hinkt das Angebot aber demjenigen von «Erasmus +» hinterher», sagt Wecker. Auf die Frage, ob die Anliegen der Hochschule erhört und ernstgenommen wurden, meint sie: «Entgegengenommen und erhört ja, aber wir sind noch nicht am Ziel.»