Schnell kann man sich im Bildermeer verlieren: Die Ausstellung «Talking Bodies» bietet trotz begrenztem Raum eine riesige Auswahl an Abbildungen von Körpern.

Sich auf Augenhöhe begegnen

Wie Körper in der Öffentlichkeit abgebildet werden, ist immer politisch. Das thematisiert die Ausstellung «Talking Bodies» im Museum für Gestaltung. Eine Reflexion.

Sumanie Gächter (Text und Foto)
26. Februar 2024

Ich betrete den Ausstellungsraum und eine leichtbekleidete junge Frau zwinkert mir zu. Ihr schlanker Körper legt sich über die Motorhaube eines Renaults, der Slogan «Aus Lebensfreude» spannt sich im Bogen über das Sujet. Mein Blick trifft alsdann auf Waschbrettbäuche der Models für die Kleidermarken «H&M» und «Sisley» und erinnern mich eher schmerzlich daran, dass ich bereits seit Wochen das Fitnessstudio nicht  betreten habe.

Die Ausstellung «Talking Bodies – Körperbilder im Plakat» im Museum für Gestaltung thematisiert, wie und welche Körper auf Plakaten abgebildet werden, welche Machtverhältnisse sich daraus ablesen lassen und wie wir Abbildungen kritisch hinterfragen können.

Reproduktion von Stereotypen

Der Ausstellungsraum ist nicht besonders geräumig, daher reiht sich in dichtem Abstand Plakat an Plakat. Doch es zeigt sich eine gewisse Ordnung und es lassen sich verschiedene Themen bestimmten Ecken im Raum zuordnen. Die ganze Bandbreite, von Diversity Marketing bis hin zur Art und Weise, wie Menschen mit sichtbaren Behinderungen dargestellt werden, wird angeschnitten. Ein begleitendes Glossar bietet gerade Leuten, denen Begriffe wie der «Male Gaze» fremd sind, etwas Erklärung und Kontext.

Zurück zu der mir zuzwinkernden Frau. Kann man so Autowerbung machen? Welche Zielgruppe mit dieser Autowerbung angesprochen wird, lässt sich unschwer vermuten. Alltäglich werden wir von Darstellungen menschlicher Körper überflutet, sei das auf Postern an der Bushaltestelle oder beim Öffnen einer Social Media App. Dass diese Plakate und Instagram-Posts inszeniert sind, ist klar. Selbst bei dem, was uns als Schnappschuss verkauft wird, steckt akribische Planung dahinter. Es stellt sich immer die Frage, was für eine Zielgruppe erreicht werden soll.

Wir wollen visuell angesprochen, bestenfalls auch repräsentiert werden, oder uns in die Haut des Models hineinversetzen können. Am besten eignen sich dazu Idealvorstellungen von Körpern; das heisst jung, fit und normschön. Wobei hinterfragt werden muss, was denn als letzteres gilt. Was vor zweihundert Jahren als schön galt, gilt längst nicht mehr für heute. Ausserdem ist das kulturabhängig – oder war es zumindest. Eurozentrische Schönheitsideale haben längst Eingang in alle Ecken der Welt gefunden. Und es finden längst noch nicht alle Menschen Repräsentation in der visuellen Kultur. Es werden stetig stereotype Bilder reproduziert, die stark von vorherrschenden Schönheitsidealen und Strukturen bestimmt werden. Wie geschlechtliche und ethnische Dimensionen dargestellt werden, scheint festgefahrenen Rollenbildern zu folgen. Hauptsache tauglich für den Massenkonsum.

Im «Male Gaze» gefangen

Zum Beispiel der in der Ausstellung mitunter thematisierte «Male Gaze» ist ein Begriff, der ursprünglich von der Filmtheoretikerin Laura Mulvey geprägt wurde. Dabei richtet sich der Blick auf ein eher passiv wirkendes Konsumobjekt statt auf eine aktive Figur. Der Male Gaze ist voyeuristisch und zeugt von einer «männlichen» Begierde, wobei dies auf einem strengen Dichotomieansatz eines binären Geschlechtermodells basiert. In einer patriarchal geprägten, heteronormativen und weiss dominanten Welt ist das
Objekt der Begierde in dem Fall weiblich und je nachdem rassifiziert gelesen. 

Gerade bei nicht weiss gelesenen Personen finden exotisierte Darstellungen vorgängig Raum. In der Filmkultur werden Stereotype wie die ostasiatische, manipulativ verführerische «Dragonlady» kreiert, die auf alteingesessenen Vorstellungen und Diskursen über Orientalismus beruhen. Wie Körper abgebildet werden, sollte man daher immer auch politisch lesen. Wenn die Rolle der Meerjungfrau Ariel in Disneys Neuverfilmung von einer Schwarzen Schauspielerin besetzt wird, kann man sich natürlich fragen, ob dies bloss dazu dient, Diversity-Quoten für die Vermarktung zu erfüllen. Diversity sells. Andererseits können sich vielleicht schwarze Heranwachsende endlich mit einer Disney-
Prinzessin identifizieren, die statt aalglattem blondem Haar Braids trägt. Doch gerade im von Hollywood und anderen grossen Studios dominierten Filmbusiness muss man hinterfragen, ob kritisch daran gearbeitet wird, bestimmte «Gazes» aufzulockern und authentische Repräsentation zu betreiben.

Repräsentation, aber richtig

«Es gibt zwar wichtige Veränderungen, doch gleichzeitig liegt immer noch sehr viel Arbeit vor uns. Ausserdem besteht immer die Gefahr, dass sich der Markt gewisse Diskurse aneignet und sie oberflächlich vereinfacht», sagt Bernadette Kolonko. Sie ist Forschende an der Zürcher Hochschule der Künste und Filmschaffende, die sich unter anderem mit feministischen «Gazes» auseinandersetzt. Es sei wichtig, dass sich schlussendlich auch tiefergehend etwas in den Lebensrealitäten verändert. Wenn man zum Beispiel im Film von «Blickstrukturen» rede, habe das immer auch mit Blickstrukturen in der Gesellschaft zu tun. «Es gibt Körper, die sind viel vulnerabler, die werden immer auf eine bestimmte Art angeschaut. Und dann gibt es Körper, die haben wiederum viel mehr Blickmacht, was verletzend ist», so Kolonko.

Fakt ist, dass es jene marginalisierten Körper sind, die einen wichtigen Beitrag dazu leisten, andere und damit vor allem ihre eigenen bis anhin an den Rand gedrängten Perspektiven ins Zentrum zu rücken. Die Filmschaffende hält fest: «Blickstrukturen müssen sich ändern, weil sie auch etwas in unserer Gesellschaft ändern können und wie wir uns anschauen.»

An einem Pfeiler hängt ein Zalando­plakat. Es zeigt ein Model, das nicht dem von der Modebranche bevorzugten «Size Zero» entspricht. Sie trägt Sportkleidung, ihr Blick strotzt vor Selbstbewusstsein. Mir stellt sich unweigerlich die Frage, ob bei dem Modegiganten nicht eher der Profit im Vordergrund steht als tatsächliches Aufbrechen von gefestigten Strukturen. Es wirkt so, als ob man unter dem Deckmantel von «Diversity» neue Köder kreiert und auswirft, um ein breiteres Publikum an Land zu ziehen. Nachdenklich gestimmt beschliesse ich, ab jetzt mit offenen Augen durch die Welt zu gehen.