Einen Fuffi mit der Karte zahlen
Hier wird gekifft und Milkshakes geschlürft: Im Zürcher Many's ist der Cannabiskonsum legal. Das Café ist Teil einer Pilotstudie der Stadt und der Uni Zürich.
Von aussen wirkt das Lokal wie ein schöner Altbau: Der Eingangsbereich ist weiss gestrichen, tiefe Decken mit urchigen Querbalken sind Überbleibsel aus der Zeit, als hier noch ein Winzerhaus war. Eine Weinkarte hat das Many’s nicht, dafür aber eine Cannabiskarte. Hinter der Ladentheke stehen zehn verschiedene Cannabis-Sorten in kleinen Glasbehältern mit integrierter Lupe am Deckel – bereit für den legalen Verkauf.
Das Many’s befindet sich an der Beckenhofstrasse Nähe Kulturhaus Dynamo und macht parallel zum regulären Gastronomiebetrieb bei der Pilotstudie «Züri Can – Cannabis mit Verantwortung» mit. Die Studie wird von der Universität Zürich durchgeführt und ist Teil eines Forschungsprojekts zur Untersuchung des legalisierten Cannabiskonsums. Das Projekt will weniger gesundheitsschädliche Konsumformen fördern sowie den Zugang zu präventiver Beratung und medizinischer Betreuung verbessern.
Arbeiten und daneben Joints rollen
Einzigartig sind dabei die sogenannten Social Clubs, die nur in Zürich zu finden sind. Derzeit gibt es zehn. Die Vereine stellen Räumlichkeiten bereit, in denen Studienteilnehmende Cannabis kaufen und konsumieren können. Alternativ können sie das Forschungscannabis in Apotheken oder beim Drogeninformationszentrum erhalten und an einem privaten Ort geniessen.
Hinter der Bar und Verkaufstheke gibt es eine kleine Küche und eine Lounge, die an diesem Abend sowohl zum Arbeiten als auch zum Rollen von Joints genutzt wird. Gleich dahinter führt eine Tür zum Herzstück des Lokals – das Fumoir. Während den Social-Club-Zeiten sind nur Vereinsmitglieder zugelassen, sonst ist das Café öffentlich zugänglich. An diesem Freitagabend sind drei Studienteilnehmer im Lokal, zwei davon befinden sich im Fumoir. Silvan* zieht genüsslich an einem frisch gedrehten Joint, während sein Kollege seinen abgelegt hat, um einen Milkshake zu geniessen.
«Im Many's spricht man auch mit Leuten, die man noch nicht kennt. Als Verein fühlt man sich mit den anderen Mitgliedern verbunden», betont Silvan. Er würde sich sogar noch mehr Mitglieder wünschen, zusätzlich zu den 150 bestehenden. Diese Begrenzung ist jedoch vorgeschrieben: Zur Studie werden nur Aktiv-Konsumierende zugelassen, die über 18 sind und in der Stadt Zürich ihren Wohnsitz haben. Schwangere, Stillende und Berufsfahrer*innen sind von der Teilnahme ausgeschlossen. Wer am Pilotprojekt teilnehmen kann, wird in einem Auswahlgespräch entschieden. «Wir hatten 480 Interessierte für das Many’s, 150 konnten wir in den Verein aufnehmen. Dabei haben wir darauf geachtet, dass verschiedene Leute zusammenkommen», sagt Massimo Castellucci, Vorstandsmitglied des Vereins Many’s.
Der Konsum ist begrenzt
Die Begrenzung der Mitgliederzahl in den Social Clubs soll den sozialen Zusammenhalt fördern, so Carlos Nordt, Soziologe an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich und mitverantwortlich für die wissenschaftliche Leitung des Projekts. Dadurch werde eine effektivere Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse und Voraussetzungen der Teilnehmenden ermöglicht.
Während des Abends kommen drei Personen in das Lokal, um Gras zu kaufen. «Wie gaht’s?», «Guet, und dir?» «Au guet. Ich hett gern foif Gramm Sour Diesel.» Und dann wird bezahlt. «Es ist einfach geil, einen Fuffi mit Karte zu bezahlen», kommentiert Silvan. Studienteilnehmende dürfen innerhalb eines Monats maximal 10 Gramm reines THC erwerben, beispielsweise 50 Gramm eines Produkts mit 20 Prozent THC-Gehalt. Pro Tag sind höchstens zwei Packungen à 5 Gramm erlaubt.
Es komme vor, dass Kund*innen ihr Limit vor Monatsende erreichen, so Castellucci. Zudem sei das Tageslimit für einige unpraktisch, zum Beispiel, wenn man in die Ferien fahre. Dass die Gefahr besteht, dass Teilnehmende deshalb auf den Schwarzmarkt ausweichen, ist den Verantwortlichen bewusst. Nordt betont: «Der Konsum hat viel mit Gewohnheit zu tun, das illegale Beschaffen kann Teil des Rituals sein. Wir wollen erfassen können, ob es nebst dem Studien-Cannabis anderweitig konsumiert wird und dies dann analysieren.»
In puncto Qualität gehen die Meinungen auseinander. Castellucci versichert: «Dieses Gras ist weniger gespritzt als die Tomaten, die du im Migros kaufst.» Tatsächlich ist geregelt, dass das Studien-Cannabis im Labor auf Pestizide sowie Schwermetalle geprüft wird. Ausserdem wird die Droge ausschliesslich in der Schweiz angebaut. Dafür haben ausgewählte Cannabisproduzierende eine Ausnahmebewilligung vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) erhalten. Konkret sind es zwei Firmen, welche über die Bewilligung verfügen: «Swissextract» baut im Seeland nähe Biel an, «Pure Production» im Kanton Aargau bei Laufenburg, gleich an der Grenze zu Deutschland. Beide mussten sich dazu verpflichten, den Bioqualitätsstandards entsprechend zu produzieren. Angeboten werden neun verschiedene Sorten, die unterschiedlich wirken – je nach CBD- und THC-Gehalt.
Im Unterschied zum Schwarzmarkt erhält man exakt 5 Gramm und die Zusammensetzung des Produktes ist genau bekannt. Silvan bemängelt jedoch, dass das Studien-Cannabis manchmal noch kleine Samen enthalte: «Auf dem Schwarzmarkt ist viel schlechtes Gras im Umlauf, aber wenn man schon legal kultivieren kann, könnte man es sicherlich noch besser machen.»
Was nachher kommt, weiss niemand
Im Rahmen der Studie wird den Teilnehmenden das Cannabis als weniger schädliche Alternative zu demjenigen auf dem Schwarzmarkt angeboten. Die Herausforderung besteht darin, sicherzustellen, dass die Produzent*innen hochwertige Produkte liefern, die den Qualitätsansprüchen genügen. «Besonders beim Haschisch gab es anfangs Schwierigkeiten, ein zufriedenstellendes Produkt anzubieten», bestätigt Nordt. Die kontinuierliche Verbesserung der Produktqualität sei daher entscheidend, um eine attraktive Alternative zum Schwarzmarkt zu schaffen und die Zufriedenheit der Studienteilnehmenden zu gewährleisten. Laut dem BAG hat über ein Drittel der Schweizer Bevölkerung ab 15 Jahren bereits Cannabis ausprobiert. Im Jahr 2016 wiesen 1,1 Prozent der Gesamtbevölkerung einen problematischen Konsum auf, bei den 15 bis 24-Jährigen waren es 2,8 Prozent.
Nordt betont, dass die Studie zur Prävention und Bildung beitragen kann: «In der Schweiz ist es Standard, dass man einen Joint mit Tabak mischt.» Zwei Drittel der Teilnehmenden tun dies noch, obwohl es alternative Konsummethoden wie Verdampfer gibt. Um dem Tabakkonsum vorzubeugen, werden die Bezugsstellen und das Verkaufspersonal geschult. Somit können sie auf individuelle Risiken eingehen: beispielsweise beim Konsum mit Kindern im Haushalt. Ziel ist es, Risiken für die Teilnehmenden und andere zu minimieren.
Nebst dem geschulten Personal gibt es medizinische Ansprechpersonen und das Drogeninformationszentrum, welche bei gesundheitlichen Anliegen Unterstützung bieten können. Die Studie will eine Grundlage für die Regulierungsdebatte schaffen. Zur Frage, ob Cannabis nach Ende der der Pilotstudie legalisiert werden soll, äussert sich die Studienleitung vorerst nicht. Gemäss Castellucci geht man davon aus, dass man nach Projektende wieder zum Status quo zurückkehren wird. Was aus den Social Clubs wird, wenn die Pilotstudie im Herbst 2026 endet, ist somit ungewiss. In der Zwischenzeit bleiben die kleinen Clubs eine Randerscheinung in Zürich, wo Menschen bei einem legalen Joint von einer potenziellen Legalisierung träumen können.
*Name der Redaktion bekannt