Hindernisse werden beseitigt: Vorläufig Aufgenommene sollten in Zukunft schneller Stipendien beantragen können.

Mehr Chancen für vorläufig Aufgenommene

Der Kantonsrat hat sich für einen erleichterten Stipendienzugang für Personen mit Status F ausgesprochen. Damit müssten sie nicht mehr fünf Jahre warten, bis sie einen Antrag stellen können.

Helin Hatun (Text) und Zoë Nogier (Illustration)
25. Februar 2024

Mitte Januar kam es in Zürich zu einem wichtigen politischen Entscheid, der die Migration und die Bildung betrifft: Der Zürcher Kantonsrat befürwortete eine von der Grünen-Kantonsrätin Jasmin Pokerschnig eingereichte parlamentarische Initiative, die einen erleichterten Stipendienzugang für vorläufig aufgenommene Ausländer*innen vorsieht.

Im Gegensatz zu Personen mit Flüchtlingsstatus haben vorläufig Aufgenommene frühestens nach fünf Jahren Aufenthalt in der Schweiz Anspruch auf Stipendien. Diese Wartefrist soll nun im Kanton Zürich wegfallen. Der Kantonsrat stimmte der Initiative am 15. Januar zu, nur die SVP, FDP und EDU lehnten die Gesetzesänderung ab. Pokerschnig reichte die Initiative vor vier Jahren ein, mitunterzeichnet von Hanspeter Hugentobler (EVP) und Christa Stünzi (GLP). Die breite Mitte-Links-Allianz sah darin die Möglichkeit, den Integrationsprozess durch Bildung zu verbessern.

90 Prozent bleiben in der Schweiz

Bisher waren vorläufig aufgenommene Personen auf Sozialhilfegelder der Gemeinden angewiesen, wenn sie eine Berufslehre oder ein Studium vor Ablauf der Wartefrist beginnen wollten, aber zu wenig Geld hatten. Dies wurde je nach Gemeinde unterschiedlich gehandhabt. Mit der Änderung des Bildungsgesetzes sind vorläufig Aufgenommene bei der Finanzierung ihrer Ausbildung nicht mehr vom Entscheid der Gemeinden abhängig, da die Ausbildungskosten neu vom Kanton übernommen werden.

Die Kriterien für die Unterstützungsbeiträge sind kantonal unterschiedlich, wobei in einigen Kantonen, wie beispielsweise im Kanton Aargau, Ausländer*innen mit dem Status F nicht stipendienberechtigt sind. Dort wurde vor zwei Jahren eine Motion der SP zur Ausweitung der Stipendienberechtigung abgelehnt. Umso überraschender ist der Entscheid in Zürich. Diesem war eine Grundsatzdebatte vorausgegangen: Paul von Euw (SVP) bezeichnete die Vorlage in seinem Minderheitsantrag als orientierungslos. Das Ziel der erweiterten Stipendien sei, das Bleiberecht für abgelehnte Asylgesuche zu untermauern. Urs Glättli (GLP) wies darauf hin, dass erfahrungsgemäss mehr als 90 Prozent der vorläufig aufgenommenen Ausländer*innen dauerhaft in der Schweiz bleiben, weswegen ihre berufliche und soziale Integration zu fördern ist.

«Tun sie nicht so, als würden sie mit diesem Gesetz die Welt verbessern», sagte von Euw, mit der Begründung, es würde nur um wenige Schicksale gehen. Laut Bildungs­direktorin Silvia Steiner sind in Zürich derzeit nur fünf Prozent von insgesamt 290 Stipendiat*innen vorläufig Aufgenommene. Ein grosser Teil der Stipendien sei für Berufsausbildungen bestimmt, wodurch die Berufstätigkeit erleichtert werde.

Als vorläufig aufgenommene Ausländer*innen gelten in der Schweiz Personen, deren Asylgesuch abgelehnt wurde, die Wegweisung jedoch nicht möglich, zumutbar oder zulässig ist, da beispielsweise im Herkunftsland Bürgerkrieg herrscht. Diese vorläufige Aufnahme kann für 12 Monate angeordnet und vom Aufenthaltskanton jährlich verlängert werden.

«Wer kann, der will»

Die schweizerische Flüchtlingshilfe weist auf ihrer Webseite darauf hin, dass die Bezeichnung der Aufnahme als «vorläufig» die Arbeitsmarktintegration von Personen mit Status F massgeblich erschwert. Dieser Ausdruck sei irreführend und deute nur auf einen vorläufigen Aufenthalt hin, was potenzielle Arbeitgeber*innen davon abhalte, vorläufig Aufgenommene einzustellen.

«Die Integrationsagenda des Bundes hat der parlamentarischen Initiative sicherlich geholfen und eine wichtige Rolle bei der Meinungsbildung der Mitte-Links-Mehrheit gespielt», sagt Jasmin Pokerschnig. Der Bund und die Kantone haben sich 2019 auf eine gemeinsame Integrationsagenda mit fünf verbindlichen Wirkungszielen geeinigt, um Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene zu integrieren. Eines davon zielt darauf ab, dass sich fünf Jahre nach Einreise zwei Drittel aller vorläufig Aufgenommenen und anerkannten Flüchtlinge im Alter von 16 bis 25 Jahren in einer post-obligatorischen Ausbildung befinden sollen. Lange Wartefristen bei Stipendien für vorläufig Aufgenommene sind für die Erreichung dieses Ziels ein grosses Hindernis.

Vor ihrer Arbeit an der Gesetzesvorlage hatte sich Pokerschnig bei der Monitoring- und Anlaufstelle für vorläufig aufgenommene Personen «map-F» über die Situation von Personen mit Status F informiert. Auf die Frage, was bei Debatten rund um die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten übersehen wird, antwortet die Grünen-Kantonsrätin: «Oft wird seitens FDP und SVP gemeint: Wer will, der kann. Aber eigentlich ist es umgekehrt: Wer kann, der will.» Die Strukturen müssten so angepasst werden, dass die Integration nicht nur möglich, sondern auch nachhaltig sei, so die Grünen-Politikerin.

Am 26. Februar findet im Kantonsrat die zweite Lesung zur Vorlage statt. Pokerschnig vermutet, dass die Mehrheiten bei der Abstimmung darüber gleich bleiben werden. Jedoch kann zum jetzigen Zeitpunkt ein Referendum noch nicht ausgeschlossen werden.

«Wenn die Initiative durchkommt und abgeschlossen ist, freue ich mich für jeden und jede einzelne, die ein Stipendium in Anspruch nehmen kann. Mir ist es egal, ob es 500 sind oder nur eine Person», sagt Pokerschnig. Mit der Aufhebung der Wartefrist bezüglich der Stipendien würde eine wichtige Lücke im Bildungsgesetz an der Schnittstelle zwischen Sozial-, Integrations- und Bil­dungspolitik geschlossen werden. Dies könnte bald schon Realität sein, und Zürich damit ein Stück sozialer.