Die Uni verschweigt Zahlen zu sexueller Belästigung
Studierende fordern mehr Transparenz, auch im Kantonsrat ist eine Anfrage pendent. Die Uni beruft sich auf den Datenschutz.
Es kann eine beiläufige Berührung, eine zweideutige Frage oder ein «gut gemeintes» Kompliment sein. Sexuelle Belästigung hat verschiedene Gesichter, sie reicht von subtilen Äusserungen und Mikroaggressionen hin zu handfester Gewalt. Sie findet im Privaten wie in aller Öffentlichkeit statt. In einer Studie der Stadt Zürich von 2021 gaben neun von zehn jungen Frauen an, bereits mindestens einmal sexuell belästigt worden zu sein. Auch homosexuelle Menschen und trans Personen sind im Vergleich zu heterosexuellen Menschen besonders häufig betroffen. Zwar werden auch an der Uni Zürich Statistiken und Zahlen zu Fällen sexueller Beläsigung erhoben, jedoch werden diese nicht veröffentlicht und liegen einzig der Unileitung vor, wie die «NZZ» Ende Januar publik machte.
Die Uni begründet ihre Intransparenz nur vage: Sie nennt lediglich den Datenschutz. Von verschiedenen Seiten werden nun Forderungen nach mehr Transparenz laut.
Im Kantonsrat steht derzeit eine Anfrage der GLP-Politikerinnen Nathalie Aeschbacher und Andrea Gisler aus, die vom Regierungsrat eine Rechtfertigung für die Geheimhaltung der Fallzahlen fordert. «Sexualisierte Gewalt an Universitäten ist besonders problematisch, da die Betroffenen in Machtkonstrukten gefangen sind und sich oft nicht trauen, Übergriffe zu melden», schreiben die Verfasserinnen in ihrer Anfrage.
Auch aus dem Studierendenverband melden sich kritische Stimmen: «An der Uni herrscht grosses Schweigen bezüglich sexueller Belästigung», sagt Seraina Eisele, Mitglied der Gleichstellungskommission des VSUZH (GSK) sowie der Gleichstellungskommission der Universität Zürich (GLK). «Wenn nicht offen über sexuelle Belästigung gesprochen wird, schützt man letztlich die Täter*innen», bemängelt sie. Bedenklich scheint, dass nicht einmal die GLK Einblick in die Statistiken erhält. Und das, obwohl sich diese um die Prävention von sexueller Belästigung an der Uni bemüht. «Es ist schwierig, ein Problem anzugehen, dessen Ausmass man gar nicht kennt», sagt Eisele. Mehr Transparenz sei wichtig, um die bestehenden Massnahmen gegen sexuelle Belästigung auf ihre Wirksamkeit hin beurteilen zu können. Nach Aussage von Christina Seyler, der Geschäftsführerin der GLK, wurde nun eine Arbeitsgruppe gegründet, die verschiedene Anlaufstellen an der Uni genauer analysieren soll.
Eine Ressourcenfrage?
Wer sexuelle Belästigung an der Uni erfährt, kann den Vorfall bei der Kommission «Reglement zum Schutz vor sexueller Belästigung» (RSB) melden und dort rechtliche Unterstützung einholen. Das Reglement bildet seit 2007 die rechtliche Grundlage in Fällen von sexueller Belästigung an der Hochschule. Darin wird klar festgehalten, welche Verhaltensweisen unter Belästigung fallen und welche Massnahmen für Täter*innen folgen können.
Bei der Kommission RSB gelangen alle Meldungen zur untersuchenden Person, der Professorin für Straf- und Medizinrecht Brigitte Tag. Seraina Eisele stellt die Kapazität der Kommission RSB in Frage und fordert, dass mehr Ressourcen geschaffen werden, um Betroffene angemessen unterstützen zu können. Zudem sei das Reglement sehr auf die rechtliche Perspektive ausgerichtet, Massnahmen zum aktiven Schutz von Opfern würden jedoch fehlen. In einem Interview vergangenen März gab Brigitte Tag lediglich bekannt, dass die gemeldeten Fälle in den letzten Jahren «deutlich zugenommen» haben. Wie viele Fälle genau der Kommission RSB gemeldet und durch diese untersucht werden, will die Uni aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht sagen. Wessen Datenschutzrecht bei einer anonymisierten Veröffentlichung der Fallzahlen gefährdet wäre, kommentiert weder die Medienstelle der Uni noch die RSB.
«Die Uni scheint sich hinter dem Datenschutz zu verstecken», kritisiert Eisele. Es sei für sie nicht ersichtlich, wie man aus anonymen Fallzahlen Rückschlüsse auf beteiligte Personen ziehen könne. Wie die «NZZ» schreibt, veröffentlichen andere Schweizer Hochschulen ihre jährlichen Fallzahlen, wie beispielsweise die Universität Bern und die ZHAW.
Betroffene wünschen Sichtbarkeit
Derweil zeigt die Kampagne «Zürich schaut hin», wie ein offener Umgang mit sexueller Belästigung aussehen kann. «Wir wollen als Gesellschaft lernen, solche Situationen besser benennen zu können», sagt Co-Projektleiterin Dayana Mordasini. Nebst Schulungen und Workshops können bei einer digitalen, anonymen Meldestelle erlebte oder beobachtete Vorfälle gemeldet werden. Die gesammelten Daten sind öffentlich einsehbar, denn: «In unseren Umfragen wurde deutlich, dass sich Betroffene mehr Sichtbarkeit für ihre Erfahrungen wünschen», erklärt sie.
Seit Mai 2021 wurden über 1900 Fälle gemeldet, wobei verbale Belästigungen am häufigsten vorkamen. «Durch das Meldetool sollen die Menschen auch merken, dass sie nicht alleine sind mit ihren Erfahrungen», so die Co-Projektleiterin. «Gerade eine Einrichtung wie die Uni Zürich wäre ein passender Raum, um eine offene Diskussion über sexuelle Belästigung zu führen», sagt Mordasini. Eisele würde sich neben einer Veröffentlichung der Fallzahlen auch Informationen zur Dauer der Verfahren sowie zu bereits ergriffenen Massnahmen der Kommission RSB wünschen.
Seit mehr als einem Monat beziehen weder die Medienstelle der Uni noch die RSB Stellung zu den Fallzahlen oder den Geheimhaltungsvorwürfen. Es müsse zuerst die Anfrage aus dem Kantonsrat beantwortet werden, heisst es auf Nachfrage. Wann dies geschehen wird, kann die Medienstelle nicht sagen. Es wird sich noch zeigen, ob die Uni in Zukunft bereit sein wird, transparenter mit ihren Fallzahlen zu sexueller Belästigung umzugehen. Bis dahin bleiben die Haltung der Uni und ihre Argumentation aber schleierhaft.