Moderne Telepathie: Mit einem Chip im Hirn kann man per Gedankenkraft tweeten.

Das Internet ins Hirn gepflanzt

Aus der Forschung — Tech-Milliardär*innen träumen davon, den Menschen Chips einzusetzen und sie dadurch mit künstlicher Intelligenz verschmelzen zu lassen. Das Neuralink-Implantat ist der erste Schritt in diese Richtung.

Serafin Jacob (Text) und Camilla Chazar Testere (Illustration)
25. Februar 2024

29. Januar 2024, 23:37. Elon Musk veröffentlicht auf X einen Post: «The first human received an implant from Neuralink yesterday and is recovering well. Initial results show promising neuron spike detection.» Später ergänzt er, das Implantat erlaube es, elektronische Geräte durch Gedanken zu steuern. Ziel sei es, dass Personen, die wie Stephen Hawking nicht sprechen können, «schneller als eine Schnellschreibkraft oder ein Auktionator» kommunizieren könnten. Die Tests an Menschen wurden von den Behörden letztes Jahr genehmigt.

Die Arbeit von Neuralink ist nur ein Teil des grossen Forschungsfeldes der sogenannten Brain-Computer-Interfaces (BCI), also Hirn-Computer-Schnittstellen. Diese sollen die Gehirnfunktionen elek-tronisch ergänzen. Bislang liegt der Fokus darauf, Menschen mit verschiedenen Einschränkungen ein normaleres Leben zu ermöglichen. Bereits 2019 wurde von US-Forschenden ein Gerät entwickelt, das Gedanken mittels eines Computers in tatsächliche Sprache umwandelt.

Ein Heilmittel für alles?

Wissenschaftler*innen der EPFL präsentierten Mitte vergangenen Jahres eine Apparatur, mithilfe derer ein querschnittsgelähmter Patient wieder Gefühl in den Armen und Beinen hatte und eigenständig laufen konnte, wenngleich eingeschränkt. Bereits 2022 gelang es dem Neuralink-Konkurrenten Synchron als erstes, einen Chip in das Gehirn zu implantieren, mit dem ein Tweet rein per Gedankenkraft veröffentlicht wurde. Musks Forschung ist insofern kaum revolutionär, die Ideen, die nun technisch umgesetzt werden, sind zum Teil fünfzig Jahre alt, das Produkt selbst nicht einmal neuartig. Aber sie bietet einen Anlass, sich Gedanken darüber zu machen, wie wir in Zukunft mit dem digitalen Raum umgehen. Denn an sich klingt die Unternehmung gut, da Menschen mit Einschränkungen dadurch enorm viel Autonomie erlangen könnten.

«Die Kluft zwischen Gewinner*innen und Verlierer*innen könnte sich noch schneller erweitern.»
Hans-Johann Glock, Professor für Philosophie an der Uni Zürich

Doch wie zu erwarten sind die Milliardeninvestitionen in Unternehmen wie etwa Neuralink nicht dazu bestimmt, bei einer kleinen Zielgruppe halt zu machen. 2020 hielt Musk eine Show ab, in der er seine Visionen für die BCI vorstellte. Sie übertreffen sogar die Fantasien der kreativsten Dystopiker*innen bei weitem.

Die Rede ist von einem Heilmittel für alles, einem Gerät, das übermenschliche Fähigkeiten wie Nachtsicht verleiht. Das langfristige Ziel: eine Symbiose des kollektiven Bewusstseins mit KI. Solche Versprechen müssen natürlich mit Bedenken entgegengenommen werden und wurden auch von der wissenschaftlichen Gemeinschaft zum Teil scharf kritisiert – das Vorhaben sei unethisch und unrealistisch. In jedem Fall betritt die Mensch­heit mit solchen Entwicklungen eine neue Ära, und ungeachtet der tatsächlichen technischen Möglichkeiten von BCI ist es notwendig, diese Geräte und ihre Auswirkungen auf die Menschheit von einem allgemeinen Standpunkt aus zu betrachten.

Handys könnten obsolet werden

Hans-Johann Glock, Professor der Philosophie an der Uni Zürich, sieht die Entwicklung zwiespältig. Zwar seien die möglichen Erleichterungen für eingeschränkte Personen gross. «Aber jede Möglichkeit der nicht direkt wahrnehmbaren und kontrollierbaren Intervention oder Informations-sammlung über solche Chips stellt ein Risiko dar», schreibt Glock auf Anfrage.

Eine grosse Gefahr sieht er in den möglichen Ungleichheiten: «Wir erleben eine sich beschleunigende Entwicklung bestimmter Technologien zur individuellen Optimierung bei gleichzeitiger Schwächung humanistischer, universalistischer und egalitärer Ideale, selbst in liberalen Demokratien. Die Kluft zwischen Gewinner*innen und Verlierer*innen könnte sich dadurch noch schneller erweitern.»

Obwohl das Smartphone nicht sonderlich alt ist, hat es sich bereits zutiefst in der Gesellschaft verwurzelt. Es ist nicht auszuschliessen, das  BCIs diese Rolle eines Tages übernehmen werden. Die vor kurzem ­lancierte Virtual-Reality-Brille von Apple deutet bereits an, wie permanentes Online-Sein aussehen könnte; Musk träumt davon, in Zukunft Chips bei Milliarden Menschen einzusetzen und die physische Welt zu überwinden. Wenn man bedenkt, dass jede der grossen Tech-Firmen eine Geschichte von Datenmissbrauch, Spionage und Manipulation vorzuweisen hat, scheint es mindestens riskant, diesen Akteur*innen die weitere Entwicklung der digitalen Zukunft anzuvertrauen, denn bisher läuft die Regulierung deutlich langsamer als der Fortschritt. Sollten BCIs Allgemeingut werden, stehen wir vor vielen Problemen.

Zuletzt die Frage an Glock, ob er sich ein entsprechendes Gerät einsetzen würde: «Der Gedanke, einen Rennvelofahrer an der Steigung mit einem E-Bike zu überholen, reizt mich weniger als der, auf einem echten Velo oben anzukommen. Und bei kognitiven Leistungen geht es hoffentlich den meisten ähnlich.»