Vor zahlreichen Betriebshöfen der BVG wurde gestreikt: Hier an der Cicerostrasse in Wilmersdorf.

Studis und Gewerkschaft, Seite an Seite

In Berlin unterstützen Studierende den Streik des öffentlichen Nahverkehrs. Sie fordern dessen Ausbau und bessere Arbeitsbedingungen. Ein Vorbild für die Schweiz?

Jon Maurer (Text) und Santiago Rodriguez (Bild)
18. Februar 2024

Trotz eisiger Temperaturen findet sich Anfang Februar vor dem Betriebshof Lichtenberg eine gemütliche Runde ein. Statt die Busse und Trams der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) wie jeden Morgen auf die Berliner Strassen zu schicken, haben die Fahrer*innen nur bei einem einzigen Bus den Motor gestartet – als warmes Wohnzimmer zum Kaffeetrinken.

Von drei bis zehn Uhr morgens streiken sie. In ihrer Gesellschaft Journalist*innen, einzelne Politiker*innen und: Zwei Dutzend Studierende, bestückt mit Leuchtwesten und Petitionsbögen. Es ist ein siebenstündiger Warnstreik, der sich auf die diesjährigen BVG-Tarifverhandlungen bezieht. Neben Trams und Bussen werden auch die U-Bahnen der Stadt lahmgelegt.

16 Milliarden Euro pro Jahr gefordert

Nicht nur in Lichtenberg gesellen sich an diesem Tag Studierende zu den streikenden Fahrer*innen. Ebenso an zahlreichen anderen Betriebshöfen der Stadt, zum Beispiel in Wilmersdorf, Spandau und Neukölln. Ein neue Kampagne mit dem Motto #Wirfahrenzusammen hat die Studierenden mobilisiert. Zuvor waren zwei Plena an der Humboldt Universität und der Freien Universität Berlin veranstaltet worden. Die Kampagne wird von einem bundesweiten Bündnis zwischen FridaysForFuture (FFF) und der Gewerkschaft ver.di getragen.

«Die Idee zum Bündnis kam mit der Realisation, dass die grosse klimapolitische Wende, insbesondere die verkehrspolitische Wende, ausgeblieben ist», sagt Sabine Daams, Studentin und Aktivistin bei #Wirfahrenzusammen. Gleichzeitig erhielten die Streikenden oft keine Unterstützung aus der Gesellschaft. «Dabei laufen in einem guten öffentlichen Verkehr viele Interessen zusammen: die Interessen der Beschäftigten, der Klimabewegung, aber auch aller Fahrgäste!»

Die Bewegung hat zwei konkrete Ziele. Zum einen wollen FFF die von ver.di organisierten Streiks vor Ort unterstützen. Zum anderen sammeln FFF und ver.di Unterschriften für eine Petition, die parallel zu den Streiks läuft. Darin werden gute Arbeitsbedingungen und eine bundesweite Verdopplung des öffentlichen Personennahverkehrs gefordert. Verdoppelung heisst hier: Bis 2030 sollen doppelt so viele Fahrgäste transportiert werden können. 16 Milliarden Euro pro Jahr müsste die Bundesregierung laut #Wirfahrenzusammen dafür investieren.

«Nach 6 Tagen ist man ausgelaugt»

Und was wären gute Arbeitsbedingungen? Am Streikposten Lichtenberg erzählt Busfahrer Mathias Kurreck von seinem Job. Sechs Schichten leistet er pro Woche, wovon jede Schicht zu einem anderen Zeitpunkt beginnt: Am ersten Tag um 17 Uhr, am letzten Tag um 2 Uhr morgens. «Dieses System ist für den Biorhythmus tödlich. Nach 6 Tagen ist man ausgelaugt», sagt er. Dazu kämen lange, unbezahlte Wege zur Arbeit. Ein Familienleben finde mit diesem Job nicht statt.

Seine Forderungen sind handfest: Mehr Ruhezeit zwischen den Diensten und längere Pausen am Ende einer Fahrt. Zudem eine Toilette an jeder Endhaltestelle und Pausenräume, die eines Menschen würdig sind. «Wir haben keine Millionäre unter den Fahrer*innen», lächelte er, «Wir wollen nur ordentliche Bedingungen, um die Arbeit gut erledigen zu können. Am Ende profitiert der Fahrgast und das Klima.»

Eine Kampagne mit Vorbildcharakter

Der Zusammenschluss von langjährigen Fahrer*innen und Klima-Aktivist*innen war nicht nur einfach. «Es gab am Anfang viel Skepsis gegenüber Klima-Aktivist*innen», erinnert sich Aktivistin Sabine. Insbesondere von der Gruppe «Letzte Generation» und deren Klebe-Aktionen hätten sich die Fridays for Future abgrenzen müssen. Sabine fügt an: «Ich erlebe aber immer wieder diese Kippmomente, wo eine anfangs skeptische Person plötzlich Feuer und Flamme für die Kampagne ist.» Am Streikposten Lichtenberg muss zu Beginn ebenfalls Vertrauen aufgebaut werden, indem die Studierenden sich und die Kampagne vorstellen. Dann aber entwickeln sich offene Gespräche. Der Alltag im öffentlichen Verkehr, mit seinen lustigen und deprimierenden Seiten, wird eingehend diskutiert, aus Fahrer*innen- und Fahrgast-Perspektive.

Bis jetzt verzeichnet #Wirfahrenzusammen einigen Erfolg. Bundesweit wurden seit September über 110‘000 Unterschriften gesammelt. Und in Österreich ist ein ähnliches Bündnis zwischen FFF, der Bewegung «System Change not Climate Change» und der Gewerkschaft vida entstanden. Für die Schweiz kann #Wirfahrenzusammen als Vorbild dienen. Die Kampagne zeigt, dass Klimaschutz und eine soziale Politik, hier im Sinne fairer Arbeitsbedingungen, keinen Gegensatz bilden. «Vielmehr gehen sie Hand in Hand», wie Sabine sagt. Auch das Zusammentreffen von Menschen mit sehr unterschiedlichem Lebensalltag, wie es am Streikposten geschieht, ist ein grosses Plus. Denn in Bezug auf die Klimakrise gilt – solange man nicht Milliardär ist und Privatjet fliegt – : Wir sitzen alle im selben Bus.