Die Nobelpreisträgerin Herta Müller wuchs im kommunistischen Rumänien auf. Die Erfahrung der Diktatur liess sie mahnende Worte sprechen. (Bild: ZVg)

«Die Schweiz ist die perfekte Demokratie mit einem starken rechtspopulistischen Hauch»

Prominente Gäste und eines der wichtigsten Themen unserer Zeit: An der Konferenz des UBS Center for Economics in Society wurde die Gefahr des weltweit erstarkenden Rechtspopulismus auf Demokratien diskutiert. 

8. Dezember 2023

«Freiheit dürfen wir nicht als selbstverständlich betrachten, sie könnte uns sonst gestohlen werden.» Mahnende Worte Herta Müllers in der Eröffnungsrede der Konferenz «Demokratien in Gefahr», die am 13. November, organisiert vom UBS Center for Economics in Society der Uni Zürich, stattfand. Die Literaturnobelpreisträgerin kritisierte erst Putins Krieg und den Aufschwung rechtsextremer Populist*innen, ging dann in eine autobiographische Schilderung ihrer Marginalisierung unter Ceaușescuin in Rumänien über. Dreierlei würde ihre Erinnerung an die Diktatur besonders prägen: Angst, Korruption und das Verbieten des Individuums. Damals verfolgt, nach dem Mauerfall kurzzeitig hoffnungsvoll, heute enttäuscht, fürchtet sie, dass man langsam vergisst, was Freiheitsentzug bedeutet. Eine raue Stimme und düstere Worte als Einklang des Forums.

An der Veranstaltung im Kongresshaus wurden drei Säulen jeder Demokratie hervorgehoben: das Wahlrecht, die Meinungsfreiheit und die Gewaltenteilung. Dann wurde das Publikum, darunter Studierende, Pensionär*innen, Lehrer*innen oder Unternehmer*innen, befragt: Sind Demokratien tatsächlich in Gefahr? 75 Prozent stimmten zu. In den zwei folgenden Diskussionsblöcken wurde erst Forschung zur Dekadenz von Demokratien präsentiert und dann alternative politische Ordnungen vorgeschlagen.

Es braucht eine Reform des US-Wahlsystems

Jeweils ein Beispiel: Silja Häusermann, Professorin für Politikwissenschaft an der Uni Zürich, beantwortete die Frage, ab wann gesellschaftliche Polarisierung gefährlich ist. Dies sei dann der Fall, wenn Menschen in nicht-überschneidenden Realitäten leben und populistische Politiker*innen «Wir-gegen-sie»-Narrative schaffen würden. Jason Brennan, Philosoph an der Georgetown University, war kreativ. Er schlug vor, die gegenwärtige Stimmabgabe abzuschaffen. Stattdessen solle das Votum jeder Person, ausgehend ihrer demografischen Daten, eines Tests des politischen Verständnisses und ihrer sozio-politischen Interessen modelliert werden. Murmelnde Skepsis unter den Zuschauer*innen.

Im vierten Block hielt Daniel Ziblatt, Professor für European Studies an der Universität Harvard, eine Vorlesung zum US-amerikanischen Wahlsystem. Eine tiefgründige Reform sei nötig. Aus dem Publikum wurde der US-Zentrismus angemerkt; man kann sich vorstellen, wie viel Aufmerksamkeit ähnliche Diskussionsrunden auf der anderen Seite des Atlantiks europäischer Politik schenken.

Die Diskussion von Lösungen fehlte

Über die Schweiz waren die Meinungen geteilt. Manche lobten die Volksabstimmungen und Referenden als Massnahme gegen starke Polarisierung, andere bezweifelten, dass solche auf grössere Länder übertragbar sind. Herta Müller äusserte sich unverblümt: Die Schweiz sei «die perfekte Demokratie mit einem starken rechtspopulistischen Hauch». Uneinigkeiten wie diese müssen die Veranstalter*innen erfreut haben, denn sie regten in den Pausen zum Austausch an.

Es gab auch weitere Off-Mic Gespräche. Zum Beispiel wurde das Vorhandensein grundlegender, gesellschaftsvereinender Werte in Frage gestellt. Einige argumentierten, dass solche nicht mehr existierten. Die meisten Menschen würden heute nur noch versuchen, ihr Geld zu maximieren oder ihren Ruf zu polieren. Häusermann beteiligte sich an der Debatte und meinte, dass Geld keine wichtigere Rolle als vor 30 Jahren spiele.  Eine provokante Äusserung bot einen Perspektivenwechsel: Ein Jus-Student aus China sass im Publikum, um das europäische Weltbild besser zu verstehen, und war über Müllers Beschreibung Chinas als «unglaublich aggressive, mächtige Diktatur» nicht überrascht. Laut ihm sei dies das «typisch westliche Narrativ».

Trotz einer extensiven Diagnose der Probleme der heutigen Demokratien mangelte es der Diskussion an implementierbaren Lösungen. Denn letztendlich werden diese gebraucht, um die antidemokratischen Tendenzen zu bekämpfen.