«Es geht hier nicht um die Nationalität einer Person, sondern darum, wo sie ihren Abschluss gemacht hat», meint Franziska Schmid, Mediensprecherin der ETH.

Risikoabklärung bei russischen Studierenden

Studierende mit russischem Abschluss könnte ein Sicherheitsrisiko für die Schweizer Hochschulen sein. Die ETH klärt ab, wann sie deswegen abgewiesen werden dürfen.

Meryam Bahi (Text) und Salomon Aengenheyster-Aber (Illustration)
1. Dezember 2023

«Es gehört zur Kultur der ETH, einen offenen und internationalen Austausch zwischen Nationalitäten auf allen Stufen zu leben und zu fördern», sagt Franziska Schmid, Mediensprecherin der ETH Zürich. Und dennoch ist es für Studierende mit einem Abschluss aus bestimmten Ländern, wie Russland, schwieriger an der Hochschule aufgenommen zu werden. Im März vergangenen Jahres empfahl Swissuniversities, der Dachverband der Schweizer Hochschulen, wissenschaftliche Kooperationen mit Hochschulen in Russland zu überprüfen und diese dort einzustellen, wo die Gefahr bestehe, damit die aggressive Politik der russischen Regierung zu unterstützen. Dieser Empfehlung folgen so gut wie alle Schweizer Universitäten, auch die ETH Zürich und die Universität Zürich. Zudem liegen gegen einige russische Hochschulen direkte Sanktionen durch den Bund vor.

Wie die «NZZ am Sonntag» berichtete, besteht Rechtsunsicherheit, wie man mit Studierenden von diesen Universitäten umgehen soll. Deswegen hat die ETH Zürich ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, das Licht ins Dunkle bringen soll. Was die Situation so kompliziert macht, ist der Fakt, dass viele ausländische Studierende, die sich an Schweizer Hochschulen bewerben, nicht mehr an ihren früheren Universitäten immatrikuliert sind. Sie haben also theoretisch keine Verbindungen mehr zur ehemaligen Institution. Ob das in der Praxis auch so ist, sollen die individuellen Rechtsgutachten klären.  

«Es geht hier nicht um die Nationalität einer Person, sondern darum, wo sie ihren Abschluss gemacht hat», stellt Franziska Schmid, Mediensprecherin der ETH Zürich, gleich zu Beginn klar. Weiter sagt sie, dass das Rechtsgutachten die bisherige Praxis der Einzelfallbeurteilung bestätigt habe. «Bei der Zulassung wird abgeklärt, ob ein Risiko für einzelne Personen an der ETH Zürich, für den Betrieb der ETH oder für die Interessen der Schweiz ausgehen könnte», erklärt sie.

Diese Risikoabklärung dient also dem Schutz der Hochschule und der Schweiz. Dabei stellt sich die Frage, ob diese Massnahme nicht auch diskriminierende Effekte hat. Laut Schmid werde die Abklärung nur auf der Basis der eingereichten Unterlagen, wie dem Lebenslauf, dem akademischen Hintergrund und weiterer Bewerbungsunterlagen durchgeführt. «Bei konkreten Verdachtsfällen und auch bei den Fällen, die im Konflikt mit rechtlichen Vorgaben stehen, beziehen wir kantonale und Bundesbehörden mit ein», sagt sie. Diese Praxis habe sich seit Jahren bewährt und etabliert.

Ausschluss aus der Forschung

Russischstämmige Studierende müssen nicht nur individuelle Risikoabklärungen bestehen, sondern werden teilweise von Forschungsprojekten ausgeschlossen. Die «NZZ am Sonntag» schreibt dazu, dass Studierende aus gewissen Nationen nicht an Forschungsprojekten teilnehmen dürfen, bei denen zivil und militärisch anwendbare Güter, so genannte Dual-Use-Güter, aus den USA verwendet werden. Damit soll sichergestellt werden, dass keine Forschung im Dienst der Militärindustrie betrieben wird. 

Die ETH Zürich verfügt über eine eigene Exportkontrollstelle, wie Franziska Schmid mitteilt. Diese stellt sicher, dass der Austausch von Dual-Use-Gütern und Kriegsmaterialien nur unter gewissen Regeln erfolgt. Die Grundlagen dafür bilden das Embargo- und Güterkontrollgesetz. Diese sind dann zu berücksichtigen, wenn sich die empfangende Person in einem Staat befindet, der Sanktionen unterliegt. Diese konzentrieren sich seit Jahren hauptsächlich auf die Länder Nordkorea, Iran, Syrien, Sudan sowie Russland und Belarus.

«Von der Exportkontrolle nicht betroffen ist die Lehre bis und mit Bachelorstufe, da die vertiefte Arbeit an Technologien erst auf Masterstufe einsetzt», sagt die Mediensprecherin. Zudem seien für die ETH alle Forschungsresultate, die bereits publiziert worden sind, sowie die Grundlagenforschung, sofern daraus kein Prototyp entsteht, davon ausgenommen.

«Es ist keine Diskriminierung»

«Die ETH Zürich toleriert grundsätzlich kein diskriminierendes Verhalten», sagt Schmid. Auf die Frage, ob es im Hochschul-Alltag zu ausgrenzenden Vorfällen gegenüber russischstämmigen Studierenden gekommen sei, antwortet die Mediensprecherin: «Solche Vorfälle sind uns keine bekannt.» Wenn sich ETH-Angehörige auf irgendeine Weise diskriminiert fühlen, empfehle man ihnen, sich an die interne Respektstelle zu wenden.

Doch was sagen russischstämmige Studierende selbst zu diesen Verfahren und wie hat sich ihr Uni-Alltag seit dem Ausbruch des Kriegs verändert? Wir haben bei einem von ihnen nachgefragt. Boris Ulmer ist 22 Jahre alt. Geboren ist er in Zürich, seine Kindheit hat er Grösstenteils in Russland verbracht. Heute studiert er Jura an der Universität Zürich.

«Ich bin mit sechs Jahren nach Russland gezogen und habe dort eine deutsche Auslandsschule besucht», erzählt er. Da man diese aber nur bis ins zehnte Schuljahr besuchen könne und er anschliessend an eine Schule in Moskau hätte wechseln müssen, sei der Entschluss gefasst worden, zurück in die Schweiz zu ziehen. «Es war schon immer der Plan, wieder zurückzukommen», ergänzt Ulmer.

Erfahren habe er vom Ausbruch des Russischen Angriffskriegs, als er seinen Dienst im Schweizer Militär absolvierte. Seitdem habe sich für ihn einiges geändert. «Entweder man erwähnt es nicht, dass man Russe ist oder wenn man es mitteilt, muss man den folgenden Satz beifügen: Ich bin Russe, aber bin gegen den Krieg und gegen Putin», sagt er.

Auf die Frage, ob er Angst hatte, zur Universität zurückzukehren, nachdem der Krieg ausgebrochen ist, sagt der Jus-Student: «Ja, auf jeden Fall.»  Von Leuten mit direktem Bezug zur Ukraine habe er teilweise aggressives Verhalten erfahren. Dabei habe seine eigene Einstellung dazu keine Rolle gespielt. «Es ist keine Diskriminierung in dem Sinne, eher eine verständliche Reaktion», ergänzt er. «Die meisten Ukrainerinnen und Ukrainer sind mir mit Liebe und Verständnis gegenübergetreten. Es handelt sich um eine absolute Minderheit.» Seine Befürchtungen seien also nicht eingetroffen. Er habe an der Universität selbst nie Diskriminierung erlebt und kenne auch keine Fälle.

Angst, das Visum zu verlieren

Andere hätten es aber schwieriger als er. «Ich bin eher ein Spezialfall. Einerseits habe ich neben der russischen auch die Schweizer Staatsbürgerschaft, andererseits sieht man mir meine Herkunft nicht direkt an», fährt Ulmer fort. Er kenne einige Studierende, die ein slawischeres Aussehen haben und nur über die russische Staatsbürgerschaft verfügen. «Sie haben Angst davor, dass ihr Visum nicht verlängert wird. Zudem erhalten sie keinen Flüchtlingsstatus und müssen, sofern sie kein Visum erhalten, zurück in Russland mit grosser Wahrscheinlichkeit ins Militär oder ins Gefängnis.» Die Universität stelle in diesem Fall keine Hilfe zur Verfügung. «Sie werden nicht diskriminiert, aber gegenüber den Ukrainern ungleich behandelt», sagt er.

Das Verfahren der Risikobeurteilung, die auch an der Universität Zürich durchgeführt werden, findet der Student so nicht zweckmässig: «Es geht um Leute, die studieren möchten. Sie sind in der absoluten Mehrheit Flüchtlinge vor dem Regime. Jegliche Hürde, die man ihnen in den Weg stellt, ist falsch.»

Wenn der russische Geheimdienst an Informationen kommen möchte, müsse er nicht auf russische Studenten zurückgreifen. «Geht es um heikle Güter, ist eine Abklärung bei allen Studierenden notwendig», sagt er. Er verstehe, dass es schwierig sei, Menschen zu helfen, die aus dem Land des Aggressors fliehen, man sollte ihnen aber keine Hürden in den Weg stellen.