Menschen mit Behinderung haben das Nachsehen
Trotz scharfer Kritik bewegt sich die Universität punkto Nachteilsausgleich nur langsam – und räumt kaum Fehler ein.
Wer an der Universität Zürich studiert und mit einer Behinderung oder einer chronischen Krankheit lebt, hat unter Umständen Anspruch auf einen Nachteilsausgleich im Studium. Ein solcher hat zum Ziel, Benachteiligung von betroffenen Studierenden zu vermeiden und kann beispielsweise aus zusätzlicher Zeit bei einer Prüfung oder einem alternativen Leistungs-nachweis bestehen. Das besagt die Diversity Policy der Uni Zürich mit Verweis auf die Bundesverfassung und das Behinderten-gleichstellungsgesetz.
Studierende können sich bei der Fachstelle Studium und Behinderung (FSB) melden, die dann eine Doppelrolle einnimmt: Einerseits trägt sie die Anliegen der Studierenden an die Uni heran, andererseits übernimmt sie die Beratung der Hochschule, wenn es um Fragen der Barrierefreiheit geht; sei dies im baulichen Bereich oder in der Lehre. Ziel ist ein inklusives, barrierefreies Studium für alle, das möglichst die Chancengleichheit garantiert. Soweit zumindest die rechtlichen Anforderungen.
Wer einen Nachteilsausgleich in Anspruch nehmen will, muss jedoch einige Hürden in Kauf nehmen. Als erstes müssen ein ärztliches Zeugnis und ein Formular bei der FSB eingereicht werden. Nach einem Gespräch stellt die Fachstelle eine Empfehlung für nachteilsausgleichende Massnahmen aus. Danach müssen diese Empfehlung, ein Protokoll des Gespräches mit der FSB, das ärztliche Zeugnis sowie ein Gesuchsformular beim entsprechenden Dekanat eigereicht werden. Die Entscheidung über den Antrag wird aber letztlich von der Fakultät getroffen – an dieser Stelle hat die FSB keinen Einfluss mehr.
Im Mai berichtete die ZS über Vorfälle von verspäteten und von den Gesuchstellenden als ungerechtfertigt wahrgenommenen negativen Entscheiden. Die Verspätungen sind darauf zurückzuführen, dass die Ressourcen der FSB und mancher Institute erschöpft waren, teils durch krankheitsbedingte Ausfälle.
Ein weiteres bekanntes Problem ist, dass an der Uni im Nachgang der Pandemie immer weniger Podcasts und Livestreams zur Verfügung gestellt werden. Auf Anfrage meint Gabriele Siegert, Prorektorin Studium und Lehre und Vize-Rektorin, dass es noch zu eruieren gelte, in welchem Ausmass es sich bei fehlenden Veranstaltungsaufzeichnungen, vor allem hinsichtlich Nachteilsausgleichen, tatsächlich um Barrieren handle. Zudem verweist sie darauf, dass immer noch eine grosse Zahl an Podcasts zugänglich seien. Während Nachteilsausgleiche weit mehr als Podcast-Aufzeichnungen umfassen und individuelle Prüfung voraussetzen, könnte gerade hier die FSB entlastet werden, denn durch eine fakultätsübergreifende Regelung, Podcasts für Vorlesungen vorauszusetzen, wären zumindest Gesuche hierzu geklärt.
Fachstelle empfiehlt Podcasts
Dies wird so auch von der FSB empfohlen: «Die Anzahl benötigter Nachteilsausgleiche kann durch die Förderung von Barrierefreiheit erheblich reduziert werden», heisst es auf der Website, denn: «Je weniger Barrieren in einer Umwelt vorhanden sind, desto weniger Personen müssen durch Schaffung von Sonderlösungen stigmatisiert werden». Warum also wird das also nicht einfach umgesetzt, wenn die Ansprüche der Uni an Inklusion scheinbar so klar sind?
Im Interview mit der ZS (Ausgabe 4/23) sagte Rektor Michael Schaepman, dass man sich zwar noch nicht sicher sei, wie man mit der Möglichkeit von hybriden Lösungen und Verzicht auf Podcast umgehen wolle. Klar sei jedoch, dass man keine Fernuni werden wolle, und: «Es ist nicht wertend gemeint, wir wollen ja möglichst alle berücksichtigen: Wir dürfen aber auch keinen ‹Vorteilsausgleich› sprechen.»
Die Aussagen Schaepmans wurden von der Behindertenkonferenz des Kantons Zürich, dem Schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenverband und dem VSUZH scharf kritisiert. Die Medienstelle der Uni spricht von einem Missverständnis. Auf Anfrage heisst es, man arbeite derzeit an einer umfassenden Stellungnahme zu den Themen Nachteilsausgleich und Studium mit Behinderung.
Mehr Personal in Aussicht
Dabei lassen sich Nachteilsausgleiche, wie etwa der Zugang zu Podcasts, laut der FSB keineswegs als Vereinfachung verstehen. Sie haben ausgleichenden Charakter und sollen «die Rahmenbedingungen, unter denen eine Leistung zu erbringen ist», adressieren. Im Bericht der ZS vom Mai dieses Jahres fand Benjamin Börner von der FSB klare Worte: «Wir teilen die Auffassung, dass es an der Uni Strukturen und Ressourcen braucht, die einen umfassenden Diskriminierungsschutz für Menschen mit Behinderung gewährleisten. Diese Strukturen können jedoch nicht von der FSB bereitgestellt werden, sondern müssen von der Universitätsleitung kommen.»
Auf Anfrage berichtet die Medienstelle der Uni, dass man sich dafür engagiere, ein inklusives Studienumfeld zu schaffen. Man strebe im Rahmen gesamtuniversitärer Projekte Verbesserungen beim systematischen Abbau von Barrieren und der Gewährleistung von individuellen Lösungen, sprich Nachteilsausgleichen, an. Was die Situation an der Philosophischen Fakultät betrifft, beteuert die Uni, dass im FS 2023 alle fristgerecht eingereichten Anträge genehmigt wurden, auch wenn sich die Zahl der Anträge seit 2019 mehr als verdoppelt hat. Zwar seien teilweise Anpassungen beim Umfang der Massnahmen vorgenommen worden, es sei jedoch kein Antrag abgelehnt worden.
Was die FSB angehe, habe man die Handlungsnotwendigkeit erkannt. Diese schöpfe aktuell alle ihre Ressourcen aus und stehe im kon-stanten Dialog mit Betroffenen, Abteilungen der Uni und Behindertenverbänden. Deshalb stelle die Uni zeitnah mehr Personal ein und baue den bestehenden Assistenzdienst aus, wodurch Wartezeiten vermieden werden sollen. Podcasts für alle wird es vorerst aber nicht geben.