Unkommerzielle Kunst im Abseits
Die Schweizer Kunstszene bietet wenig Raum für Offspaces. Die Vereinigung «Off Off» will deren Sichtbarkeit stärken – trotz wenig Fördergelder.
14:07 Uhr, Zürich. Ich stehe vor einer alten Fabrik. Ich trete ein, ein Bürogebäude. Weisse Wände, grauer Teppichboden, Leuchtstoffröhren. Ich fahre mit dem Aufzug in den zweiten Stock. Julia Hegi, die Kuratorin, wartet bereits und führt mich in einen der Büroräume, den Kunstraum «Unanimous Consent». Noemie Pfister, Finalistin bei den diesjährigen «Swiss Art Awards», stellt da «Fixing the shoes with glue, so many times» aus. Enttäuschte, kranke und ausgegrenzte Jugendliche in phantasievollen Welten auf grossen Gemälden. Doch trotz des fiktionalen Charakters, porträtieren die Werke der Tessiner Künstlerin die Stimmungslage unter heutigen Teenagern realitätsnah. Seit 2019 kann man Pfisters Werke in der gesamten Schweiz, in diversen Galerien, in Kunsthallen und in sogenannten Offspaces wie «Unanimous Consent» sehen.
Viel Spielraum
Als Offspaces bezeichnet man nicht gewinnorientierte Kunsträume, die unabhängig von Institutionen funktionieren und eine Vielfalt von jungen Künstler*innen ausstellen. Ihre Besichtigung ist kostenlos und die Kurator*innen arbeiten vor allem ehrenamtlich. «Es ist wichtig, eine Plattform für das Experimentieren von heranwachsenden Künstler*innen zu bieten», meint Hegi. Dazu würden Galerien von den Offspaces profitieren, denn sie könnten sich die grössten Talente raupflüc en. Professorin Rachel Mader, Kunstwissenschaftlerin an der Hochschule Luzern, stimmt dem zu und ergänzt: «Nicht zuletzt wird Kurator*innen auch die Möglichkeit geboten, mit Ausstellungskonzepten zu spielen. So sind zum Beispiel Bars und Parties in Kunstmuseen eine Erfindung, die der Off-Szene entspringt».
Auch ich als Besucher empfinde am Offspace etwas Spielerisches, fast Kindliches. Die Kunst wirkt roh. Es stehen weder Texte zur geschichtlichen Kontextualisierung im Weg, noch wird über die Genialität des*der Schaffenden deklamiert. Ja, ich sehe gerne «Nanas» oder surrealistische Figuren im Kunsthaus Zürich, dennoch ist das Gefühl hier anders. Hier bin ich alleine. Hier habe ich Zeit zum Betrachten. Ich kann für mich entscheiden, was ich von der Ästhetik halte: Sind die Gemälde schön? Relevant? Kann ich mich mit dem Dargestellten identifizieren? Die Kunst wird nicht mystifiziert und der Dialog zwischen Künstler*in und Publikum geschieht auf Augenhöhe. Wie man dem «Zurich Art-Space Guide» entnehmen kann, gibt es in der Stadt mindestens 51 Offspaces, schweizweit sind es rund 700.
Das meiste Geld geht an grosse Institutionen
Doch ihre Lage ist prekär: Die Fördergelder nehmen ab, viele können wegen des limitierten Budgets ihre Hallen nur befristet mieten, andere müssen schliessen. Deswegen versucht Michael Sutter, die Vereinigung der Schweizer Offspaces «Off Off»wieder aufzurichten. 2005 wurde sie von bekannten Gesichtern aus der Kunstindustrie wie Lisa Fuchs oder Judith Huber gegründet – mit dem Ziel, Offspaces schweizweit zu vernetzen und ihre Interessen auf politischer Ebene zu vertreten. Wenige Jahre später gingen sie wegen mangelnder Aktivität in Vergessenheit. Kurz vor Corona hat Sutter «Off Off» aus «altruistischem Interesse» übernommen. Er sieht Potenzial in der Szene und ist davon überzeugt, dass mehr Zusammenarbeit nötig ist, damit diese die verdiente Aufmerksamkeit erhält. Er hat die Website wiederbelebt und informiert laufend auf dem Instagram-Profi über neue Offspaces. Dazu organisiert er halbjährliche Konferenzen mit Kurator*innen. Sein Ziel ist es, «Off Off» als Ansprechstelle für Offspace-Interessierte durchzusetzen. Zum Jahresende hin hat Sutter seinen Hauptjob, Kurator an der Kunsthalle Luzern, gekündigt und überlegt nun, sich freischaffend und intensiver «Off Off» zu widmen. Dafür hat er verschiedene Vorhaben, unter anderem das Dokumentieren von Offspaces, da die geleistete Arbeit oft verloren geht, wenn ein Space schliesst. Zudem plant er die Vertretung der Schweizer Offspaces auf internationalen Kunstmessen. Hierfür bräuchte «Off Off» jedoch finanzielle Unterstützung. Dies kann in der Szene jedoch ein Stolperstein sein. Die öffentliche Hand hat andere Prioritäten, laut Professorin Mader geht der «allergrösste Teil des Geldes für Kulturförderung an die grossen Institutionen» – und eine Veränderung sei nicht in Sicht.
Die Off-Szene fluktuiert, möglicherweise ist «Unanimous consent» als nächstes betroffen und muss seine Türen schliessen. Doch Sutter, Hegi und Mader sind sich allesamt einig: Es werden immer neue Räume aufblühen, denn die Schweizer Kunstindustrie braucht dringend Raum für Experiment und Innovation.