Die Angst vor dem sozialen Aufstieg
Eine Studie der Uni Zürich zeigt auf, wie konservative und progressive Menschen jeweils den sozialen Aufstieg von Minderheiten und Frauen wahrnehmen – und wie dies ihre politischen Präferenzen beeinflusst.
Konservative fürchten um ihre Position in der Gesellschaft, wenn
Frauen oder sexuelle und ethnische Minderheiten einen höheren Status erhalten, und unterstützen aufgrund dieser gefühlten Bedrohung eher rechtsextreme Bewegungen. Diese These ist in der Politikwissenschaft weit verbreitet.
In der noch nicht wissenschaftlich begutachteten Studie des University Research Priority Program «Equality of Opportunity» der Universität Zürich untersuchen die Politikwissenschaftlerinnen Magdalena Breyer, Tabea Palmtag und Delia Zollinger, wie Konservative und Progressive den sozialen Aufstieg von Frauen oder Minderheiten wahrnehmen. Die Ergebnisse machen sichtbar, wie Statusängste die eigenen politischen Präferenzen beeinflussen.
3800 Menschen für die Studie befragt
«Progressive und konservative Narrative über Statusveränderungen und darüber, welche Gruppen in der Gesellschaft wie viel Anerkennung erfahren sollten, werden von den Medien als auch von politischen Parteien verbreitet. Diese Narrative sind in einer Wechselwirkung mit den Statuswahrnehmungen der Wählenden», sagt Magdalena Breyer, Postdoktorandin an der Universität Basel.
Laut Breyer könnte man anhand der Untersuchung von Statuswahrnehmungen politische Massnahmen entwickeln, die darauf abzielen, dass sich alle in der Gesellschaft wertgeschätzt und nicht vom Aufstieg anderer Gruppen bedroht fühlen. Für die vorab veröffentlichte Studie mit dem Titel «Narratives of Backlash? Perceptions of Changing Status Hierarchies in Open-Ended Survey Responses» wurde in Deutschland im Jahr 2022 eine bevölkerungsrepräsentative Online-Umfrage mit 3812 Teilnehmenden durchgeführt.
Statische und dynamische Hierarchien
Laut der Studie sollten die Ergebnisse für Deutschland auf andere entwickelte Demokratien wie die Schweiz übertragbar sein. Die Teilnehmenden beantworteten offene Fragen, die mittels quantitativer Textanalyse ausgewertet wurden. Diese sollten aufzeigen, wie soziale Hierarchie und soziale Anerkennung wahrgenommen werden.
Bei den Hierarchien unterscheidet die Studie zwischen statischen und dynamischen Hierarchien.
Dynamische Hierarchien bezeichnen Statusveränderungen, also den sozialen Auf- und Abstieg verschiedener Gruppen. Bei statischen Hierarchien geht es um absolute Statuszuweisungen. Um diese zu untersuchen, wurde geprüft, welche Gruppen die Teilnehmenden an die Extreme der sozialen Rangordnung stellen, ohne sie zu vergleichen oder an den Auf- und Abstiegen anderer Gruppen festzumachen.
Anhand dieser Hierarchie- und Statuswahrnehmungen soll untersucht werden, ob wirtschaftliche oder kulturelle Faktoren beziehungsweise Identitätsmerkmale für den Aufstieg der extremen Rechten verantwortlich sind. Um die statische soziale Hierarchie zu beschreiben, verweisen die Teilnehmenden hauptsächlich auf wirtschaftliche Kategorien wie Wohlstand und Armut. Statische Hierarchien werden demnach vorwiegend von sozioökonomischen Merkmalen bestimmt. Dazu zählen Vermögen, Einkommen und Beruf. Sich verändernde soziale Positionen, also dynamische Hierarchien, betreffen hingegen die
soziokulturellen Kategorien.
Diese werden von Merkmalen wie Geschlecht, Ethnie beziehungsweise Migrationshintergrund und Sexualität bestimmt. Um Menschen zu beschreiben, die im Vergleich zur Vergangenheit tendenziell an Anerkennung gewonnen haben, nennen die Umfrageteilnehmenden die Kategorien «Frauen», «Homosexuelle» und «Migranten» am häufigsten.
Widerstand der Konservativen, Zustimmung der Progressiven
Sowohl Progressive als auch Konservative nehmen wahr, dass sich die soziale Stellung von Gruppen in Bezug auf Geschlecht und Sexualität gebessert hat. Allerdings bringen sie diese Statusverbesserungen nicht mit dem sozialen Abstieg anderer Gruppen in Verbindung. Bei der ethnischen Zugehörigkeit hingegen sehen Konservative dynamische Statusveränderungen als Nullsummenspiel.
Sie nehmen nicht nur den sozialen Aufstieg von Migrant*innen wahr, sondern auch den sozialen Abstieg von «einheimisch Deutschen». Demnach sind sie der Meinung, dass die Zuwanderung und der soziale Aufstieg von Migrant*innen auf Kosten anderer gehen. Diese Beobachtung deckt sich mit den Narrativen, die von rechtskonservativen Parteien verbreitet werden. Die These, dass der rechtsradikale Backlash mit einer wahrgenommenen Bedrohung des eigenen Status einhergeht, trifft also auf die Kategorie «Migranten» zu, nicht aber auf die Kategorien
«Sexualität» und «Geschlecht».
Progressive nehmen Statusveränderungen, die benachteiligte Gruppen besserstellen, nicht als Verlust wahr, sondern streben diese sogar an. Dies stellt laut Magdalena Breyer ein wichtiges Gegengewicht in der politischen Debatte über den rechtsradikalen Backlash dar. Statusveränderungen sind demnach nicht nur mit dem Widerstand der gesellschaftlich Konservativen verbunden, sondern auch mit der Zustimmung der Progressiven.