Das Bundesgericht pfeift die Uni zurück

Die Uni Zürich wollte fehlbare Studis mit bis zu 4000 Franken bestrafen – doch der VSUZH konnte das verhindern.

Carlo Mariani (Text) und Linn Stählin (Illustration)
1. November 2023

Das Urteil liess lange auf sich warten, doch nun ist klar: Die in der revidierten Disziplinarverordnung der Uni Zürich vorgesehenen Geldstrafen sind unzulässig. Das Bundesgericht weist die Beschwerde des Universitätsrats ab und erklärt die entsprechenden Abschnitte der Disziplinarordnung für ungültig. Damit wollte die Uni die Studierenden künftig für unerlaubtes Verhalten bei Prüfungen, für Plagiate oder auch für politische Störaktione büssen. Die geplanten Geldstrafen hätten der Unileitung erlaubt, härter gegen aus ihrer Sicht politisch unliebsame Aktionen vorzugehen. Bis anhin umfassten die Sanktionsmöglichkeiten der Uni bei Regelverstössen schriftliche Verweise oder die Suspendierung vom Studium. Eigentlich hätte die neue Verordnung schon im Herbst 2020 in Kraft treten sollen. Doch es kam anders.

Als nach jahrelanger Ausarbeitung der Disziplinarverordnung im November 2019 öffentlich wurde, welche Massnahmen geplant waren, regte sich rasch Widerstand unter den Studierenden und in ihrer Vertretung, dem VSUZH. Seine Änderungsvorschläge waren bis dahin vom Universitätsrat «kommentarlos abgelehnt» worden, wie die damalige Delegierte der Studierenden Luisa Lichtenberg der ZS sagte. Gegen die Geldstrafen wurde im Frühjahr 2020 das «Bündnis gegen Disziplin» (BüGeDi) gegründet, mit Mitgliedern der Studipartei kritische Politik, dem feministischen Hochschulkollektiv und dem Klimastreik. Das BüGeDi monierte, dass solche Geldstrafen finanziell benachteiligte Studierende existenziell gefährden würden, während sich Reichere freikaufen könnten. Die Studierenden bekamen sogar Schützenhilfe aus dem Kantonsrat: Die SP-Fraktion erwirkte eine Reduktion der Höchststrafe von 5000 auf 4000 Franken, und Juso-Politiker*innen reichten eine Interpellation beim Regierungsrat ein. Doch die Uni blieb hartnäckig und beschloss im Mai 2020, die Verordnung per September 2020 in Kraft treten zu lassen. Das liessen sich die Studis nicht gefallen: Der VSUZH und sein damaliger Co-Präsident Pio Steiner reichten Beschwerde beim Zürcher Verwaltungsgericht ein.

«Suggestive» Umfrage

Bis zum Urteil sorgte eine Umfrage zu Disziplinarmassnahmen an der Uni des Strafrechtsprofessors Christian Schwarzenegger für Zank: Dieser befragte die Studis nach ihrer Meinung zu Strafen. Es wurde kritisiert, die Befragung sei suggestiv. Schwarzenegger entgegnete, er verfolge «rein wissenschaftliche Interessen». Das war nicht besonders glaubwürdig, vertrat doch der Strafrechtler die neue Verordnung an der Uni. Im August 2021 kippte das Zürcher Verwaltungsgericht die Bussen: Solche müssten im Universitätsgesetz vorgesehen sein und würden sich nicht einfach vom Unirat verordnen lassen. Denn im Vergleich zum Erlass einer Verordnung von oben, müsste der Weg über eine Gesetzesänderung im Kantonsrat beginnen und würde dem fakultativen Referendum im Kanton Zürich unterliegen.

Die Uni Zürich gab sich mit dem Beschluss des Verwaltungsgerichts nicht zufrieden und zog den Fall vors Bundesgericht. Doch auch dieses gab dem VSUZH Recht: Entgegen der Auffassung der Uni Zürich könne eine solche Disziplinarmassnahme mit Blick auf den Höchstbetrag von 4000 Franken nicht als leichte Disziplinarmassnahme qualifiziert werden, heisst es im Urteil vom 8. September 4000 Franken Bussgeld seien zu viel, um auf Verordnungsebene beschlossen zu werden. Die den Studierenden drohenden Nachteile würden noch dadurch verstärkt, dass «bei Nichtbezahlung der Geldleistung trotz Mahnung ein vorübergehender Studienausschluss für die Dauer von bis zu sechs Semestern angeordnet werden kann», so das Bundesgericht.

Felix Ritzi, Co-Präsident des VSUZH, freut sich über den Entscheid: «Wir sehen uns vom Bundesgericht bestätigt, dass die Uni nicht einfach ein Strafrecht erlassen kann – und erst recht nicht ohne gesetzliche Grundlage».  Und wie geht es jetzt weiter? Auf Anfrage wollte sich Urs Bühler, der Aktuar des Universitätsrats, nicht inhaltlich äussern. Das Gremium nehme das Urteil zur Kenntnis und werde im kommenden Monat darüber beraten. Bis dahin kann die Uni fehlbare Studis weiterhin etwa mit einem temporären Ausschluss vom Studium bestrafen. Da die neue Verordnung einfach ohne die umstrittenen Bussen in Kraft getreten ist, kann die Uni Studierende neu auch mit gemeinnützigen Arbeitseinsätzen von bis zu 40 Stunden bestrafen.

Weiterer Widerstand angekündigt

Genau wegen dieser Disziplinarmassnahme wäre eine Geldsanktion sinnvoll, argumentiert Schwarzenegger: «Im Falle, dass die verordnete gemeinnützige Arbeit nicht vollzogen werden kann, hätte man eine Geldleistung verlangen können.» Das ist nach dem Urteil nicht möglich. «Ohne die Geldssanktion gibt es nun auch keine Möglichkeit, gegen ehemalige Studierende vorzugehen, die etwa ihre Masterarbeit von einem Ghostwriter haben schreiben lassen», sagt Schwarzenegger. Wer nicht mehr studiert, könne man ja nicht mehr vom Studium suspendiert werden.

Geldstrafen einzuführen wäre nach dem Urteil nur möglich, wenn der Kantonsrat das Universitätsgesetz ändern würde. So sind die Kantone St. Gallen und Freiburg vorgegangen, die als einzige in der Schweiz solche Geldstrafen für Studierende kennen. Bildungsdirektorin Silvia Steiner (Die Mitte) könnte also eine Änderung des Universitätsgesetzes beim Kantonsrat beantragen. Doch die Studierenden hätten daran wohl wenig Freude und kündigen konsequenten Widerstand an.