Neuer Name, alte Hürden
Aus «Kosmos» wird «Frame». Schwer zu ergatternden Filmlizenzen und einbrechenden Besucher*innenzahlen will das neue Kino mit einem erweiterten Veranstaltungsangebot und «intelligentem Mainstream» begegnen.
Popcorngeruch erfüllt das Betongemäuer wo sich Langstrasse und Europaallee kreuzen. Auf der grossen Treppe im Foyer herrscht ein Auf und Ab, Menschen strömen in die Kinosäle. An den Wänden ist auf grossen Bildschirmen ein neues farbenfrohes Logo zu sehen. Vor einem halben Jahr war hier ein solcher Trubel noch unvorstellbar: Nachdem das Kulturhaus «Kosmos» im Dezember 2022 Konkurs ging, wirkte das Gebäude zehn Monate lang wie ausgestorben.
Die plötzliche Schliessung des «Kosmos» war für viele ein Schock. Zahlreiche Studierende verloren ihren Lieblingsort zum Lernen und Cappuccino trinken, aber auch zum Filme schauen. Das «Kosmos» war eine Buchhandlung, ein Café, ein Restaurant, eine Bar, ein Kino und eine Event-Location in einem. Dieses Konzept klingt zwar spannend, doch es rentierte sich nicht auf lange Dauer. Interne Machtkämpfe taten ihren Rest, um den Betrieb in den Abgrund zu stürzen. Doch seit dem 28. September ist das Gebäude endlich wieder mit Leben erfüllt: Im Rahmen des Zurich Film Festivals (ZFF) wurde der Kinoteil des Hauses unter dem Namen «Frame» neu eröffnet. Der Zeitpunkt der Eröffnung ist kein Zufall, denn das «Frame» ist ab jetzt das Hauskino des ZFF. Seit Anfang Juni werden die Räume von der Inhaberin SBB an die Spoundation Motion Picture AG vermietet, die Vermarktungsagentur des ZFF.
Das Kinoprogramm im «Frame» werde gleich sein wie das Programm des Festivals, also eine Mischung aus Autor*innen- und Dokumentarfilmen und «intelligentem Mainstream». Noch ist es schwierig zu beurteilen, ob das «Frame» den Mainstream-Anteil seines Programms wirklich mit Blick auf seine Intelligenz kuratiert – und nicht etwa mit Blick auf seinen finanziellen Ertrag. Wird dieser Mainstream den kleineren Produktionen im Programm genügend Platz lassen? Generell könnte es eine echte Herausforderung werden, einen Programm-Mix von solcher Spannbreite nicht nur während zehn Tagen, sondern das ganze Jahr über anzubieten.
Viele Filme sind stark umkämpft und es ist schwer, an die jeweiligen Lizenzen zu kommen. Zudem befinden sich Kinos seit der Corona-Pandemie in der Krise: Die Zahl der Ticketverkäufe erholt sich zwar langsam seit dem massiven Einbruch im Krisenjahr 2020, im Jahr 2022 lagen sie aber noch immer 30% unter dem Schnitt von 2019. Sogenannte Arthouse-Kinos, die kommerziell weniger erfolgreiche Filme spielen, haben es besonders schwer. Dies wird das «Frame» vermutlich zu spüren bekommen, trotz Blockbustern wie «James Bond» im Programm.
Ein ebenbürtiger Ersatz
Es sind also Strategien gefragt, um neue Kundschaft anzulocken. Beispielsweise wirbt das «Frame» damit, dass das Publikum mit Einspielern, Podien und Events in die Filme eingeführt wird. Diese Rahmenveranstaltungen zur diskursiven Einbettung haben dem Kino seinen neuen Namen gegeben. Ausserdem sollen viele Premieren mit illustren Gästen stattfinden. Das Ziel sei es, im Kino nicht nur den Film, sondern auch das ganze Drumherum zu erleben. Ob das überhaupt ein Bedürfnis der Kundschaft ist, wird sich zeigen. Ist ein Film nicht schon ein Erlebnis genug? Auch bleibt offen, ob diese Veranstaltungen ausreichen, um das finanzielle Überleben des Kinos zu sichern. Von der halben Million Schweizer Franken, mit der das ZFF von der Stadt und vom Bund subventioniert wird, werde auf jeden Fall kein Rappen ins «Frame» fliessen, so die Geschäftsleitung.
Von allen Seiten ist die Rede von grossen Veränderungen, aber Gewohnheitstiere können beruhigt aufatmen. Wer das Kino «Kosmos» vermisst, findet im «Frame» einen ebenbürtigen Ersatz. Die Betonwände sind noch dieselben, genauso wie die Leinwände und die senfgelben Sessel. Dem Schwelgen in guten alten Zeiten steht nichts im Wege. Wem dann doch abenteuerlich zumute ist, kann sich am Kiosk durch das neue kulinarische Angebot probieren. Es gibt Nachos, Glace und leicht unterbuttertes Popcorn aus einer neuen Maschine.
Für das Stillen des grossen Hungers nach dem Film ist Sami Khouri zuständig. Der Zürcher Gastronom übernimmt mit seinem «Khouris» bis Ende Mai 2024 die Räume des ehemaligen Bistros im «Kosmos». Dort gibt es Mezze, inklusive Babaganoush und Falafel. Wer nach dem palästinensischen Pop-up-Restaurant der nächste Gastro-Mieter wird, ist noch unklar. Fest steht, dass das Gebäude des ehemaligen «Kosmos» an drei unabhängige Parteien vermietet wird und nicht wie vorher ein einheitlicher Betrieb entstehen wird. Die ehemalige Buchhandlung mit Arbeitsplätzen und der Gelegenheit zum konsumfreien Sein wird wohl
als Coworking-Space oder Büro vermietet werden.
Zum «Frame» gehören zwar nur ein Drittel der Räumlichkeiten des «Kosmos», trotzdem solle es laut der Vermieterin SBB ein «neuer, spannender Ort des Austauschs und der Begegnung» werden. Diese Worte klingen etwas übertrieben, schliesslich ist das «Frame» immer noch ein Kino. Man geht hin und schaut einen Film. Orte zum Verweilen ohne Konsumzwang sucht man vergeblich. Stattdessen kann das ZFF wachsen, Einnahmen machen und im Kreis 4 das ganze Jahr über seine Präsenz markieren. Diesen Preis wird man wohl zahlen, um in den gelb gepolsterten Sesseln weiterhin Kino erleben zu dürfen. Bequem sind sie nämlich sehr.