Sowohl US-Firmen als als auch chinesische Unternehmen begehren das technische Know-how der ETH.

ETH im Fokus der Grossmächte

Im Technologieduell zwischen der USA und China ist die ETH heiss begehrt – und steht zwischen den Fronten. Die Hochschule wandert auf einem schmalen Grad zwischen Kooperation und illegalem Wissenstransfer.

Giorgio Dridi (Text) und Salomon Aengenheyster-Aber (Illustration)
27. Oktober 2023

Im Dokument NSDD-189 steht: Akademische «Grundlagenforschung» unterliege keinen Exportkontrollen. Das Papier mit dem sperrigen Namen hielt 1985 in den USA den Kompromiss zwischen Akteuren der Wissenschaft und des Verteidigungsdepartments fest – wo darf die Akademie das Wissen frei teilen, wo braucht es Kontrollen. Anlass dafür waren Uneinigkeiten über Technologietransfers nach Japan und in die Sowjetunion.

Nun befinden sich Schweizer Hochschulen, insbesondere die ETH ebenfalls in diesem Zwiespalt. Was etwa Chinas Militärforscher*innen in der Schweiz an Wissen erwerben, können sie direkt der Armee und dem Unterdrückungs- und Überwachungsstaat der Kommunistischen Partei zur Verfügung stellen. Keine andere Hochschule der Schweiz pflegt so intensive Kontakte zu China wie die ETH: Sie hält Kooperationsverträge mit vier Universitäten im Reich der Mitte. Doch die Anfragen von Forscher*innen aus China, die an die Technische Hochschule kommen wollen, werden laut der «NZZ am Sonntag» immer intensiver geprüft – auch wegen Spionageverdachts. Es wurden deswegen bereits Forscher*innen abgelehnt. Wie gehen die ETH und der Bund konkret mit China um? Und dienen die zunehmenden Kontrollen tatsächlich dazu, den Missbrauch des Forschungswissens zu verhindern, oder sind sie viel eher Ausdruck US-amerikanischer Aussenpolitik?

22.6 Millionen von China an die ETH

Zürich ist ein beliebter Standort für Big Tech: Google zählt hier 5000 Mitarbeiter*innen, Meta eröffnete 2019 ein Büro nahe dem Sihlcity-Einkaufszentrum und laut der «Republik» baut Huawei ein Forschungszentrum, wo in 5 Jahren 1000 Hochschulabsolvent*innen eine Anstellung finden sollen. Der Grund für diese Beliebtheit: die ETH. Es ist deshalb nicht überraschend, dass sich die genannten Firmen mit Namen wie Nestlé und Glencore als Gönnerinnen der Hochschule einreihen. «Die Gesamthöhe der nicht zweckgebundenen Schenkungen von chinesischen Unternehmen über die ETH Zürich Foundation hat in den letzten 10 Jahren total 22,6 Millionen Franken betragen», schreibt die Medienstelle der ETH auf Anfrage der ZS.

Zudem beteilige sich Huawei mit einem Zehnjahresvertrag von 2020 bis 2030 mit jährlich einer Million Franken am Aufbau und Betrieb des ETH Future Computing Laboratory, einem von der Industrie finanzierten Forschungszentrum, das die Entwicklung fortschrittlicher Computersysteme anführen soll. Es ist kein Zufall, dass solche Investitionen gerade an der ETH getätigt werden, denn der Bund wählt sogenannte Leading Houses aus, Hochschulen, die damit beauftragt werden, mit bestimmten Ländern vermehrt Forschungsprojekte zu unterhalten. Für die ETH ist es China.

Von US-amerikanischer Seite waren es in den letzten zehn Jahren Schenkungen in Höhe von 16,3 Millionen Franken. Diese Spenden sind gemäss der ETH an keine Bedingungen geknüpft und für die Firmen bestehe kein Wettbewerbsvorteil. Anders sieht es bei einzelnen Forschungsprojekten aus, dort kann eine Bedingung beispielsweise ein Anrecht auf ein Patent sein, das im Verlauf des Projekts entsteht. Dieses Anrecht spricht die ETH auch chinesischen Unternehmen wie Huawei zu: «Die ETH hat in den vergangenen Jahren sowohl Kooperationsverträge mit Huawei abgeschlossen, bei denen Huawei grundsätzlich nicht-exklusive Nutzungsrechte an Ergebnissen zugestanden werden (also Patentierungen nicht möglich sind), als auch solche, bei denen Huawei Zugang zu Patentrechten erhalten kann», so die Medienstelle. Diese intensivierte Zusammenarbeit mit China ist den USA ein Dorn im Auge.

Sprechverbote aus den USA

2019 hat der damalige US-Präsident Donald Trump den nationalen Notstand in der Telekommunikation «zum Schutz vor ausländischen Feinden» ausgerufen. Damit änderte sich die Lage für chinesische Tech-Unternehmen drastisch. Die USA setzten Huawei auf die schwarze Liste: Ohne Genehmigung der US-Regierung darf der Telekommunikationsausrüster und Hardwarehersteller seitdem keine Technologien von US-amerikanischen Lieferanten mehr einkaufen. Obwohl sich die Schweiz gegen aussen neutral zeigte, hatte diese Regelung wirtschaftliche Folgen, da eine grosse Abhängigkeit von Tech-Importen aus dem Ausland, insbesondere den USA, besteht. Die ETH reagierte sofort auf die Ankündigung aus Washington und leitete die Restriktionen per Mail an alle Forscher*innen weiter. Gemäss der «Republik» stand darin, dass die ETH Huawei keinerlei US-Technologie zur Verfügung stellen dürfe, «weder per Telefon, per E-Mail noch über jegliche andere Kommunikationsformen».

«China ist nicht Russland»

Dieses Rundmail rechtfertigt die ETH so: «Als Bundesinstitution hält sich die ETH Zürich an die gesetzlichen Vorgaben der Schweiz. Wenn die Übertragung von Technologien aus anderen Ländern involviert ist, muss die ETH zudem auch die Vorschriften der jeweiligen Herkunftsländer einhalten.» Gemäss Bund sind die Exportkontrollen der USA nicht rechtsgültig. Die Schweizer Hochschulen entscheiden autonom darüber, mit welchen ausländischen Institutionen sie kooperieren und unter welchen Bedingungen.

Die Entscheidungsautonomie der Hochschulen basiere auf dem Subsidiaritätsprinzip, erklärt Patrick Ziltener, Soziologieprofessor an der Uni Zürich. Ziltener hat unter anderem das Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und China erforscht. «Ein zentrales Merkmal unseres Systems ist, dass sich Verantwortung von unten nach oben verschiebt – es wird nicht zentral von der Regierung entschieden. Das wird oft missverstanden auf chinesischer Seite.» Bei einem Fall wie Russland, gegen das es einheitliche Sanktionen gibt, sähe das anders aus, dort greife der Bundesrat ein, doch «China ist nicht Russland». Der Titularprofessor ist zudem Mitglied des St. Galler Universitätsrats. Dort würden sie weiterhin den Austausch und Kontakt mit China pflegen und auch weiterhin mit chinesischen Wissenschaftler*innen zusammenarbeiten. «An der ETH wird das anders diskutiert, weil dort militärrelevante Tech­nologie entwickelt wird», so Ziltener.

Auch die Schweiz hegt Interessen an China

Die Datenbank der China Science Investigation belegt dutzende Forschungskooperationen von Schweizer Universitäten mit chinesischen Militärforscher*innen in den letzten zwanzig Jahren. Sie konnte rund 350’000 Forschungszusammenarbeiten europäischer Hochschulen mit chinesischen Universitäten zusammentragen, rund 3’000 davon mit Forscher*innen chinesischer Militäruniversitäten.

Auch die Schweiz ist an solchen Kooperationen interessiert. Einerseits herrscht ein genuines Forschungsinteresse am Austausch, denn China ist unter anderem im Bereich der Nanotechnologie führend, andererseits landen talentierte Studierende in der Schweiz, deren Aufenthalte von der chinesischen Regierung, vom China Scholarship Council (CSC) bezahlt werden.

Der Haken: CSC-Stipendiaten verpflichten sich, nach dem Abschluss mindestens zwei Jahre wieder in China zu leben und zu arbeiten. Bewerber*innen müssen fachlich exzellent sein und werden vom Staat ideologisch geprüft. Laut Artikel 7 des chinesischen Geheimdienstgesetzes müssen «alle Organisationen und Bürger den nationalen Nachrichtendienst unterstützen und mit ihm zusammenarbeiten». Ziltener betont, dass man keine saubere Trennlinie zwischen neutralen, zivilgesellschaftlichen Institutionen und dem politischen Regime ziehen kann: «Es gibt keine getrennten Sphären, das ist durchorgansiert. Wenn Sie universitär kooperieren, dann gibt es auch immer jemanden, der mit einer Armee-verbundenen Institution arbeitet.»

Was sagt der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) dazu? Ein Interview mit der ZS hat der NDB abgelehnt. Per Mail heisst es: «Dem NDB sind bestehende Verbindungen zwischen zivilen chinesischen Universitäten und staatlichen Institutionen wie Sicherheitsdiensten und dem Militär bekannt. Diese Tatsache kann besonders im Rahmen von Forschungskooperationen mit Schweizer Instituten mögliche Risiken mit sich bringen. Im Hinblick auf einen illegalen Wissenstransfer betrachtet der NDB die angewandte Forschung in technischen und naturwissenschaftlichen Fachbereichen als besonders kritisch.»

Extraklausel soll Missbrauch verhindern

Aufgrund dieser Risiken prüft die Exportkontrollstelle der ETH Projekte, bei denen ein ausländischer Vertragspartner beteiligt ist: Ist ein militärischer Einsatz ausgeschlossen, kommen aber Zweifel auf, dass moralische und ethische Normen verletzt werden könnten, werde zusätzlich eine sogenannte Catch-all Prüfung durchgeführt, erklärt die ETH auf Anfrage. Von den Vertragspartner*innen, konkret von den Endverbraucher*innen, wird eine sogenannte Endverbleiberklärung verlangt, womit diese schriftlich bestätigen, wofür das Forschungsresultat eingesetzt wird. Im Zweifelsfall müsse ein Projekt zusätzlich von der zuständigen Schweizer Behörde – dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) – bewilligt werden.

Gemäss der ETH werde bei jedem Kooperationsvertrag eine individuelle Bewertung vorgenommen, um mögliche Risiken für Einzelpersonen, den Betrieb oder die Kooperationsinteressen der Schweiz festzustellen. Die ETH hat eine Klausel explizit für Verträge mit chinesischen Firmen entworfen: «Projektergebnisse als Ganzes oder Teile davon dürfen nur in Produkte oder Dienstleistungen integriert werden, deren Zweck oder Anwendung keine moralischen und ethischen Normen verletzen, insbesondere keine grundlegenden Menschenrechte».

Egal, ob es um legale oder illegale Wissenstransfers geht, stellt sich die Frage, ob eine solche Klausel realistisch umsetzbar ist. Ziltener meint, das sei unmöglich. Das hänge mit der Unmöglichkeit der Trennung dieser Bereiche zusammen. So stehe die Drohnentechnologie etwa exemplarisch dafür, denn jede technologische Verbesserung werde militärisch genutzt. Er warnt: «Der Weg von Entwicklung bis zur Anwendung wird immer kürzer und schneller.»

Die Schweiz befindet sich in einer typischen Drittstaatposition. Es ist eine unangenehme Situation, sich für die eine oder andere Seite entscheiden zu müssen. Das Know-how der Schweizer Hochschulen ist international begehrt, insbesondere jenes der ETH. Die Technische Hochschule möchte den wissenschaftlichen Austausch mit China aufrechterhalten, gleichzeitig spitzt sich die geopolitische Weltlage zu. Und der Bund hält sich raus, weder bekennt er sich zu eigenen Werten noch hat er klare rote Linien definiert.