UniTOPIE
Aus dem Archiv — Im Januar 1989 wird die Uni besetzt. Die Studis fordern eine feministische Wissenschaft und «mehr Liebe im Lichthof». Daraus ging ein LGBTQIA+-Verein hervor, der heutige «Polyunique».
Einleitung von Anahi Frank
Schon ein halbes Jahr später wird die ZS feststellen: «anscheinend kommt Unitopie ganz gut ohne Unmut aus». Und 2009 erinnert sich ein Sonntagszeitungs-Journalist selig an die menschlichen Wärme der Sleep-Ins und dem «seriösen Networking» zwischen den Protestierenden.
Aber im ’89 ist die Unitopie politischer Frühlingswind, inspiriert durch die Berliner «UNiMUT»-Proteste. In Zürich versammeln sich die Studis im Lichthof für ein Sleep-In, um für Mitbestimmung, eine feministische Wissenschaft und «mehr Liebe im Lichthof» zu protestieren. Weil die Unileitung den Lichthof von der Polizei schliessen lässt, ziehen die Besetzer*innen ins Deutsche Seminar, wo sie lange diskutieren und sich auf einer E-Gitarre «Another Brick in the Wall» vorspielen. Doch nicht alles geht in Schall und Rock'n'Roll auf. Aus einer unitopistischen Arbeitsgemeinschaft geht das «zart & heftig – Forum beider Hochschwulen» hervor. Er wird 30 Jahre für die Rechte von homo- und bisexuellen Studis kämpfen, bis er mit dem Verein L-Punkt in «Polyunique» fusioniert.
UniTOPIE
Hansi Hartmann / 30. Januar 1989
20. Januar, Freitagabend, Kanzleiturnhalle. VSU und happy Revolution hatten zu einer Infoveranstaltung über die Besetzung der Unis in Berlin aufgerufen. Überraschend viele Leute, mehr als 200, hatten sich eingefunden; die Video-Zeitung aus Berlin war allgemein «eingefahren». Nach weiteren aktuellen Infos von hiesigen Streiktouristlnnen konnte der Meinungsaustausch beginnen. Nach harzigem Beginn tastete sich die Diskussion an die wichtigsten Punkte heran.
Was stört uns an der Uni Zürich? Was können wir dagegen machen? Ist z.B. 50:50-
Quotenregelung für alle Stellen an der Uni «realistisch»? Wie hängt die Uni von Wirtschaftsinteressen ab, und können wir ein Engagement an der Uni und ausserhalb verbinden? Einigkeit herrschte schliesslich darüber, dass alle und noch viel mehr sich am Dienstag um 12 Uhr im Lichthof treffen, um weiterzureden. Ist ja auch logisch, die Uni zu benützen, für die Unitopie.
Versammlung im Uni-Lichthof
Am Dienstag versammelten sich tatsächlich massig Studis im heiligen Lichthof. Für eine ganze Generation von Unigängerlnnen war dies eine Premiere. Zwar konnte das geplante Video über die Berliner Ereignisse wegen (drastischen) technischen Problemen nicht gezeigt werden, und ein geeignetes Mikrofon konnte nicht aufgetrieben werden, dennoch wurde die Veranstaltung ein Erfolg. Verschiedene Leute äusserten ihre Wut über diese passive, gleichgültige Uni. Das Fehlen von Selbstbestimmung und von feministischer Wissenschaft, die Verfilzung von Forschung und Lehre mit der Wirtschaft, die Wohnungsnot in Zürich, die Tatsache, dass es fast nur männliche Professoren gibt, wurden angeprangert. Offenbar kann
sich der studentische Unmut auch an unserer scheintotgeglaubten Knorziuni bahnbrechen. Wenn wir nur wollen.
Berlin-Zürich
Was passiert denn da eigentlich? Schliesslich sind wir ja in Zürich und nicht in Berlin. Und ein so tolles linkes Lateinamerika- Institut, das geschlossen· und damit konkreter Anlass zu Widerstand werden könnte, existiert ja gar nicht, hier in Zürich. Ich glaube, es wäre tatsächlich falsch zu meinen, es könnte bei uns genau das gleiche ablaufen wie in Berlin. Trotzdem: Auch bei uns gibt es Anlass genug für Unmut.
Das Problem liegt bloss darin, dass wir unseren Unmut zwar allgemein erleben, aber die Ursachen nicht ohne weiteres fassbar sind. Um hier weiterzukommen, müssen wir unseren frostigen Unialltag – und was so damit zusammenhängt… auseinandernehmen, um ganz konkret sehen zu können, wo wir was wie anders haben wollen (wie hätten wir's denn gern?). Das kann abernurineiner Diskussion unter uns Studis geschehen (und in Berlin war das übrigens auch nicht anders).
Am nächsten Dienstag treffen wir uns also nochmals im Lichthof, um über unsere Uni zureden. Es ist völlig wichtig, dass es uns dann gelingt, zusammenzutragen, was uns an dieser Uni ganz konkret stört. Davon ausgehend können wir Forderungen aufstellen (und das sind dann unsere Forderungen) und uns überlegen, wie wir diese durchsetzen könnten. Wie eine (mehrere) solche uniweite VV verbunden werden kann mit den Auseinandersetzungen, die viele Studis bis jetzt vom Unirest abgeschnitten an ihren Instituten geführt haben und führen, müssen wir noch herausfinden (spannend!). Wenn wir das allerdings schaffen und gemeinsam uniweit (und darüberhinaus) für unsere Forderungen einstehen, dürfte das ein paar Jährchen UNI-Lethargie-Erfahrung über den Haufen werfen.
Alle in den Lichthof am 31. Januar 12 Uhr!