Senf der Redaktion und ehemaliger Redaktor*innen

Senf der Redaktion

1. Oktober 2023

Heinser / Nächtliches Herumtreiben

Altes Fernsehen – Befremdend, zauberhaft, unangenehm, anregend, absurd, schockierend – noch lange nicht genug Adjektive, um die zweite Folge der ZDF-Serie «Durch die Nacht mit…» mit Künstler Christoph Schlingensief und dem unverschämten, später wegen Drogen und Prostitution verurteilten Talkmaster Michel Friedman zu beschreiben. In der 2003 ausgestrahlten Sendung bewegen sich die beiden charakterlich sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten durchs nächtliche Frankfurt, essen in Restaurants, gehen in Museen – und streiten sich heftig.

«Durch die Nacht mit Christoph Schlingensief und Michel
Friedman», Youtube

Stählin / Züriwasser

Erfrischung - 1200 Brunnen gibt es in Zürich. 400 davon mit frischem Quellwasser. Mein Liebling; auf halbem Aufstieg zwischen Central und Uni – auf der Mauer. Versteckt in die Wand gemeisselt, bringt mir das ­türkise­ Wasser oftmals Abkühlung. Romantisch vermoost, auf guter Höhe, mit passendem Wasserdruck und angenehmem Trink-Winkel, lasse ich ihn mir selten entgehen.

Gratis – bei jedem Brunnen in deiner Nähe

Frank / Besser als Kant-Puns

Existenziell – Ein Lachen in der Philosophiebibliothek­ kann zwei Dinge bedeuten: 1. Es ist eigentlich ein Aufheulen beim Versuch, das Ende eines Kant-Satzes zu finden oder 2. jemand hat ersteres aufgegeben und liest einen «Existential Comic». In diesen Webcomics sieht man Socratesman gegen einen moralischen Relativisten kämpfen oder Marx zur Revolution aufrufen, weil er im Monopoly verliert. Darüber können auch die Nicht-Philosoph*innen lachen, die für die Disziplin sonst nur ein müdes Lächeln übrig haben.

Wöchentlich neue Comics auf existentialcomic.com

Progin / Road Rage

Köpfchen In Zeiten multipler Krisen werden die Gesichter der Menschen länger – ihre Zündschnuren hingegen kürzer. Im Strassenverkehr lässt sich das gut beobachten. Besonders an roten Ampeln versammeln sich gerne rote Köpfe. Dort brüllen oder hupen sie sich an, verlangen die sofortige Freigabe der Strasse oder andere Dinge, die durch die Windschutzscheibe dringend erscheinen müssen. In solchen Situationen ist man als unbeteiligte*r Velofahrer*in oft überfordert. Da hilft nur eines: klugen Kopf bewahren.

Velohelm, in jedem Veloladen

Jonathan Progin ist Redaktor der «Finanz und Wirtschaft»

Kunz / Dosen-Prosecco

Schaumwein – Ich habe das noch nie öffentlich zugegeben, aber ich mag «Blusecco». Das ist der Prosecco aus der Dose, der etwas nach Alufolie schmeckt. Vermutlich mag ich «Blusecco», weil Paris Hilton im Jahr 2006 einmal Werbung gemacht hat für einen Dosen-Prosecco und mich das zutiefst beeindruckte. Ich ­dachte: Wow, Dosen-Prosecco. So schick! So handlich! Damals war ich dreizehn. Heute bin ich dreissig. Manche Dinge ändern sich nicht.

Für ca. 2 Franken im Supermarkt erhältlich

Nina Kunz ist Autorin und Redaktorin bei «Das Magazin»

Zander / Group Therapy

MusikWenns mal wieder laut ist im Grossraumbüro und ich einen Artikel abliefern muss, hilft die Radioshow von Above&Beyond. Der Trance von Jono Grant und Paavo Siljamäki ist nicht sonderlich gut, aber ihr Klangteppich hilft, alles andere rundherum auszublenden und in den Schreibfluss zu kommen. Jede Woche gibts ein neues DJ-Set. Kennengelernt haben sich die beiden übrigens an der Uni in London.

Above&Beyond: Group Therapy Radio

Corsin Zander ist ist stellvertretender Leiter Zürich Politik & Wirtschaft beim «Tages-Anzeiger»

Maurer / On Patrol

AusgeruhtIch bin kürzlich wieder Mal mit dem Flixbus gefahren. Nach Berlin, zwölf Stunden, über Nacht. Ihr denkt wohl: «War der am ­nächsten Morgen verkatert. Hat sich längs über die Sitze gelegt und sich so den ­Rücken zermartert.» Nein, diesmal war meine Technik perfekt: Füsse unter den Sitz, Körperachse schräg, und zwischen Schulter und Kopf: Ein kleines Kissen von «Paw Patrol». Das hat mir mein Bruder geschenkt.

Paw Patrol Kissen, 12.95.-

Reisinger / Fundstück, Glücksfund

Schnäppchen Beim Kunsthaus, gegenüber vom Restaurant Santa Lucia, dort wo ehemals das Musikhaus Jecklin war, hat sich nun ein Antiquitätenladen eingerichtet. Ab und an stellt der Besitzer einen Tisch vor die Eingangstüre, auf dem sich Kunstbücher aller Art türmen. Eine Dokumentation von John Hartfields Fotomontagen aus der Nazizeit oder ein Sammelband von Andreas Züsts Schnappschüssen konnte ich schon für nur fünf Franken ergattern.

Stand 132, Kurt Stäubli Buchantiquariat

Heimann / Fischbrötchen und Pils

Friesische Freiheit «Nie fühle ich mich freier, als wenn ich die Gegend per Pedale erkunde», habe ich im Senf der ZS 5/18 geschrieben. Dieser Philosophie bin ich treu geblieben. Aktuell radle ich der friesischen ­Küste entlang, von Bremerhaven bis Groningen. So wie Fries:innen beim Anblick der Alpen baff sind, so geht es mir mit Ebbe und Flut der Nordsee. Das Meer ist ganz nah – wenn man nur Gelato gegen Fischbrötchen und Aperol Spritz gegen Jever Pils tauscht!

Queen: Bicycle Race, EMI 1978.

Reto Heimann studiert an der Deutschen Journalistenschule

Gashi / Für mehr Medienvielfalt

Online-Magazin Auf Schweizer Redaktionen ist die gesellschaftliche Realität noch nicht angekommen – die Teams sind oft zu wenig divers, zu wenig inklusiv. Das drückt sich auch durch die Berichterstattung aus. Baba News ist da eine der wenigen Ausnahmen. Das Online-Magazin berichtet aus dem Inneren der ­multikulturellen Schweiz – sie reden mit den Menschen, statt über sie.

Hier unterstützen: member.babanews.ch

Adelina Gashi, freie Reporterin in Zürich und Prishtina

Kuratli / Scharfe Aussichten

Laserblick Während 15 Jahren habe ich mich den üblichen primitiven Sehhilfen abgemüht; Augenentzündungen, Materialverschleiss, im See versenkte Brillen und kriminelle ­Velofahrten wegen Linsenverlusts inklusive. Vor fünf Jahren begab ich mich dann endlich unters Lichtmesser. Der Eingriff dauert keine ­Minute und bedeutet pure Lebensqualität. Der einzige Nachteil: Ich kann die nervige schweizerdeutsche Werbung für Augenlasern so scharf wie nie lesen.

Femto-Lasik, ca. 3000.- und jeden Rappen wert

Michael Kuratli ist Co-Chefredaktor des Filmbulletin

Vogt / Ausgegrenzt und verfolgt

Augenöffnend – Ich ging spontan ins Kino, ohne Erwartungen, und wurde völlig überrascht: Ein Einblick in eine Parallelgesellschaft mit einer sehr reichhaltigen Kultur, die fast nur noch im Verborgenen gelebt wird, wegen ständiger Ausgrenzung und Diskriminierung, aufrüttelnde Schicksale. Die drei Filmemacher sind ins «jenische Europa» gereist und zeigen mit berührenden Aufnahmen, was das Jenische war und ist, und halten unserer Gesellschaft, so ganz nebenbei, den Spiegel vor.

«Ruäch», im Kino

Marti / Verschwende deine Jugend

Kraftmeierei – Bundesrat Ignazio Cassis hat an einer FDP-Veranstaltung gesagt, dass er keine Zeitungen mehr lese. Und seit er das tue, habe er dreimal mehr Kraft und verschwende weniger Zeit. Noch mehr Kraft als das Zeitungslesen kostet natürlich das Zeitungsmachen, wie Generationen von ZS-Redaktor*innen bezeugen können. Dennoch gehört­ es zu den schönsten Kraftmeiereien und Zeitverschwendungen, die man sich denken kann. Auch noch in hundert Jahren hoffentlich.

Rämistrasse 62, 8001 Zürich

Min Li Marti ist Verlegerin der Wochenzeitung «P.S.» und Nationalrätin der SP

Behrends / Nächstes Semester

Ungenügend – Hinter jeder Tür wartet eine Entscheidung. So verbra­chte ich in der siebten Klasse den für einen Aufsatz bestimmten Nachmittag lieber badend am See. Thema war ein Vergleich zwischen dem Schneidergesellen Strapinski und dem Buchhalter Böhni. Das Endprodukt ­musste am nächsten Tag im Klassenzimmer vorgetragen werden: «Die Charaktere sind sich nicht ähnlich und haben keine Gemeinsamkeiten. So wenig, wie ein Aufsatzthema durchdacht sein muss.» Hinter dieser Entscheidung wartete eine Tür.

Faulheit – gratis, aber mit Konsequenzen

Kohler / Was wäre wenn…

Iran – Wovon würde ich heute reden, wäre ich wieder ZS-Redaktor? Mehr als fünfzig Jahre später, aber mit doppeltem Wissen: dessen, was damals wichtig schien, und was heute der Fall ist. «Retten Farah Dibas Söhne eine korrupte Oligarchie?» war 1967/1968 ein Spitzentitel, als ich Redaktor war. Zehn Jahre später wurde der Schah vertrieben und ein Regime installiert, blutiger als es die Pahlevi-Dynastie je war; noch immer an der Macht und seine besten Kinder ermordend. Was diese Erfahrung bedeutet – darüber würde ich schreibend nachdenken wollen.

Rämistrasse 62, 8001 Zürich

Georg Kohler ist emeritierter Professor für politische Philosophie an der Uni Zürich

Schubarth / Abkühlung

HektischWer die letzten sonnigen Tage noch in der Badi oder mit einem kurzen Schwumm am Letten auskosten möchte, kommt schnell zur Welt. Denn halb Zürich denkt sich dasselbe und eilt pünktlich zum Feierabend an Flussufer und Seebecken. Da lohnt sich ein kleiner Ausflug aus Zürich hinaus: Am linken Seeufer ins Seebad Rüschlikon (gratis) oder nach Affoltern an den Katzensee.

Züri-Koller behandeln – leicht gemacht

Süss / Im Hangelwahn

TrendsportSie schiessen aus dem Boden und werden sogleich von allen Seiten freudig besprungen: Boulderwände. Trotz geglaubter Hypeimmunität zieht es auch mich seit dem ersten Versuch wie magisch an die bunten Griffe. Leider kostet das spassige Hangeln pro Eintritt rund 20 Franken. Ein Verein gibt Gegensteuer und organisiert auf seinem frei zugänglichen Würfel sogar Kurse für Geflüchtete. Alléz!

Climbaid.org

Leah Süss ist Volontärin bei «AWP Finanznachrichten» und Master-Studentin in Anglistik.

Mariani / Bonne projéction!

Kino Es gibt nur wenige studentische Vereine, die so alt sind wie die ZS. Einer davon zeigt seit 1924 Filme. Bis heute ist das Kino in Studihand geblieben. Dieses Semester werden 10 Filme zum Thema «Sex!» gezeigt. Unter anderem stehen «Le Genou de Claire» vom Nouvelle-Vague-Regisseur Éric Rohmer oder «Comizi d’amore» von Pier Paolo Pasolini, wofür er 1963 durch ganz Italien gereist ist und Menschen nach der Liebe und ihrer Einstellung zu Sexualität befragt hat.

Filmstelle – gratis für VSUZH- und VSETH-Mitglieder

Rhyn / Politthriller

Podcast «So spannend wie House of Cards.» Das Versprechen der Tagi-Kollegen im «Apropos»-Podcast zur Verfassung ringt mir zuerst nur ein Schmunzeln ab. Dann folgt ein 40-minütiger Politthriller zur Entstehung der Schweiz. Abseits von Rütli und Tell-Folklore. Geschichtsjournalismus at it’s best. Und: Auch das Verfassungs-Update der «Republik» ist interessant. Züri vergrössern? Ich bin dabei.

Auf allen gängigen Streaming-Diensten

Larissa Rhyn leitet die Bundeshausredaktion und ist stellvertretende Leiterin des Inlandressorts beim «Tages-Anzeiger»

Bolliger— Moth Busters!

Jagd Ich stehe mit dem Staubsauger in der Hand da wie ein Gespensterjäger – nur in sehr uncool. Denn das Grauen kommt in meinem Fall nicht aus einer anderen Dimension, sondern aus dem Küchenschrank. Und ich gehe auch nicht auf Jagd nach grünen Glibber-Monstern,
sondern nach kleinen braunen Fliege-Viechern. Normalerweise kann ich Prokrastination nur jeder*jedem empfehlen, aber glaubt mir, bei Mottenbefall lohnt sich das echt nicht.

Mottenfalle in der Migros, ca. 8 Franken

Jan Bolliger ist Volontär beim «Tages-Anzeiger und Geschäftsleiter des Medienverein ZS.