Im Lichthof protestierten 2'000 Studierende gegen den Erziehungsdirektor.

Proteste gegen den Machthaber

Aus dem Archiv — Als Erziehungsdirektor schaffte Alfred Gilgen das offizielle Organ der Studierenden ab. Darauf entbrannten heftige Proteste, auch im «Zürcher Student» wurden kritische Stimmen laut.

Die Redaktion des ZS, Martin Mani (Texte) und Kai Vogt (Einordnung)
1. Oktober 2023

Einleitung von Kai Vogt

In den 70ern und 80ern hat der damalige Erziehungsdirektor Alfred Gilgen (LdU) die Studierendenschaft in Aufregung versetzt: Der rechte Politiker wurde 1971 ins Amt gewählt und ging sechs Amtsperioden lang, also 48 Semester, gegen jegliche linke Politik an der Uni Zürich vor. Nur sechs Tage nach seinem Amtsantritt ordnete er etwa die Schliessung der Universität an – als Reaktion auf die «Antikapitalistische und antifaschistische Woche» an der Hochschule.

Damals war die Studierendenschaft stark von der 68er-Bewegung geprägt, die linken Kräfte entsprechend dominant. 1975 setzte Gilgen den «Kleinen Studentenrat» ab, im gleichen Jahr erklärte der Kantonsrat die «Studentenschaft der Universität Zürich» (SUZ) als widerrechtlich, nachdem sich zwei Jus-Studenten geweigert hatten, die Mitgliederbeiträge zu zahlen. Daraufhin bahnte sich eine Welle von Protesten an, über die der «Zürcher Student» (ZS) regelmässig berichtete. Klare Worte fand die Redaktion 1979, als Gilgen seine dritte Amtsperiode antrat: «Mit grösseren Katastrophen muss gerechnet werden».

1980 verschärfte sich die Situation im Zuge der Opernhauskrawalle. Die Jugenddemo für mehr Freiräume hielten Studierende des Ethnologischen Seminars filmisch fest, woraus später der Kultfilm «Züri brännt» entstand. Das Zeigen der Filmaufnahmen wurde von Gilgen verboten. An einer Demo im Lichthof mit 2'000 Teilnehmer*innen wurden dennoch neun Minuten davon ausgestrahlt, worüber der ZS berichtete. Im Artikel «9 Minuten» schrieb der Redaktor Martin Mani von «ungebrochener Solidarität» und betitelte Gilgen als «heissen Machtliebhaber».

Wir haben ihn wieder!

Die Redaktion / 17. April 1979

Mutig, zu verhindern, dass Leute sich einnisten, die «die Veränderung» (?) wollen. «Mut und Dummheit liegen sehr nahe beieinander» (A. G.) Ehrlich genug, zuzugeben, dass es ihm Spass macht, seine mutigen Eingebungen auch durchzusetzen. «Ehrlich währt am längsten» (Volksmund). Immerhin: dritte Amtsperiode. Tüchtig in seiner Vielseitigkeit, hart im Nehmen, härter im Geben, da am längeren Hebel. «Dem Tüchtigen gehört die Welt» (auch Volksmund). Das kann ja heiter werden…

Also: für weitere vier Jahre wird A. G. «die Schule verbessern, nicht verpolitisieren». Begreiflich: denn würde er die Schule verpolitisieren, würden sich mehr Leute Gedanken zu unserer Demokratie machen, als Nebenprodukt würden vielleicht mehr Leute an die Urnen gehen, das wären dann potentielle Linkswähler (wenn man den Zeitungskommentatoren glauben darf), also würde wahrscheinlich ein anderer Erziehungsdirektor gewählt, Lehrer dürften unterrichten, die heute nicht dürften, das hätte zur Folge.

Es hat System, das System. Mit grösseren Katastrophen muss gerechnet werden. Er hat Mut, dieser Mann.

«Herztöne – linkslastig».

9 Minuten

Martin Mani / 16. Juni 1980

Der Staat, vertreten durch den heissen Machtliebhaber Gilgen, hat wieder eingegriffen, um seine Vorstellung von Wissenschaft durchzusetzen. Er hat es in den letzten Jahren immer getan, etwa dann, wenn unliebsame Bewerber für Dozentenposten auf Kosten einer staatstreuen, aber profillosen Figur aus der Wahl flogen. Ein solcher Entscheid kann die Entwicklung einer wissenschaftlichen Disziplin an der Hochschule auf Jahrzehnte blockieren. Der Widerstand flackerte vielleicht kurz auf, blieb lokal, versandete.

Letzte Woche hat Gilgen 9 Minuten verboten – am Montagabend war der Lichthof zum Bersten voll. Die Vorfälle der vergangenen Woche bewiesen: Es gibt einen Punkt, wo Unterdrückung in Revolte umschlägt. So nun auch an der Uni: Die 9 Minuten wurden verboten, genau darum wurden sie gezeigt! Stellvertretend für viele hat hier eine Gruppe «Halt!» geschrien. Die breite, ungeahnt breite Solidarisierung der Studierenden und der Jugendlichen mit der betroffenen Gruppe im Lichthof und nachher auf dem Central demonstriert mit aller Deutlichkeit den weitverbreiteten Unmut und die Erlösung, die es bedeuten kann, wenn endlich jemand sagt: «So nicht, jetzt ist einmal fertig!»

Im Lichthof. Es wird immer enger. Alle Stockwerke sind besetzt, die Szenerie erinnert – unterstützt durch viel Klassizismus rundherum – an ein römisches Amphitheater (oder gar an eine Oper?). Alles diskutiert, wilde Gerüchte werden herumgeboten: Der Rektor trete zurück, falls die Polizei einfahre. Man habe die Einsatzwagen gesehen, sie hätten einen weiten Kordon um die Uni gezogen, seien nun aber wieder abmarschiert. Kein Zweifel: Es tut sich was. Doch der Videofilm kann nicht gezeigt werden, zuviel Licht im Lichthof. Durcheinander, Info hier, Info dort. Dann die Durchsage: Der Film wird in der Mensa gezeigt, man soll gruppenweise hingehen. Ich werde wütend, ist doch das Prinzip Nummer eins bei einer Demo: die Leute nicht aufspalten. Können die Studenten eigentlich gar nichts mehr ausser Flugis drucken und diese dann schlecht verteilen? Weiter ging's, treppauf, treppab, diejenigen, die runter gingen, versuchten die Entgegenkommenden zum Umkehren zu bewegen und vice versa.

Dann klappt es doch noch. Auf der Wiese wird ein Mikrophon mit Verstärker eingerichtet, man versteht sogar etwas und damit können die Infos durchgegeben werden. Herausgepickt: Hans Hehlen, Mittelschullehrer, warf den Studenten vor, sie beschränkten sich zu sehr darauf, sich ihren Anteil am Privilegienkuchen zu sichern. Ausser Zweifel stand von Anfang an, dass es einen Demonstrationszug durch die Stadt geben soll. Ein wirklich stattlicher Zug bewegt sich durch den Seilergraben, skandiert «Use mit de Gfangene, ine mit em Gilgen» und landet schliesslich beim Sit-ln auf dem Central. Wieder offenes Megaphon. Die Grenze zwischen Studierenden und Nicht-studierenden verschwimmt, wir sind vereint gegen eine Behörde, die in unsere Lebensbereiche eingreift, uns reglementieren will, bis wir uns selbst nicht mehr erkennen.

Der Demonstrationszug skandierte «Use mit de Gfangene, ine mit em Gilgen».

Halt! Da war noch ein eindeutig studentisches Votum, genauer von einem ETH-Studenten: Die ETH, erklärte er, unterstehe nicht der Zürcher Regierung, sondern direkt dem Bundesrat mit entsprechend steigendem Druck. «Das ETH-Studium gleicht einer langsamen psychischen Folter.» Worte, die hängen bleiben. Die weiteren Vorfälle rund um die «NZZ» dürften bekannt sein. Was ich mir wünsche: dass das Prinzip der kritischen Solidarität, mit dem wir den sogenannten Randalierern begegnen, von diesen auch einmal befolgt wird, d. h. dass sich die Anhänger der direkten Aktion auch einmal denen anschliessen, die in einem bestimmten Moment darauf verzichten wollen. Doch sind diese Probleme lösbar, sie müssen an den offenen Diskussionen ausgetragen werden. Die Solidarität bleibt ungebrochen.