Die Wirtschaft forscht mit
Aus dem Archiv — Immer wieder wird in den Medien über private Investitionen in Forschung staatlicher Hochschulen diskutiert - zuletzt vor allem über jene der UBS an Uni und ETH. Doch der Beginn des Phänomens liegt weit zurück. Schon 1999 widmete sich die ZS dem Thema.
Einleitung von Lukas Heiner
Die Investition von Privatgeldern in die Forschung sorgt an Uni und ETH
und dementsprechend auch in der Sch-weizer Medienlandschaft schon seit Jahrzehnten für Kontroversen. Der vorliegende Text vom April 1999 widmet sich der Thematik des privatwirtschaftlichen Einflusses an der ETH, der
ab damals durch den Bund vermehrt gefördert wurde. Zu Diskussionen führte vor allem die Angst vor einem Verlust der wissenschaftlichen Unabhängigkeit der Hochschule. Der Verband der schweizerischen Studentinnenschaften machte sich Sorgen, die ETH dementierte einen solchen Verlust.
Auch über die vergangenen 20 Jahre haben weder die immer erneuten Spenden noch der öffentliche Anstoss daran abgenommen. 2012 spendete die UBS 100 Millionen Franken für die Erstellung eines ganzen Centers an der Uni Zürich, die 2021 durch weitere 25 Millionen aufgestockt wurden. Im Sommer 2022 bekam auch die ETH 40 Millionen von der Grossbank.
Es hagelte Studierendenproteste und mediale Kritik. Die UBS ist nicht alleine, viele weitere Konzerne lassen ebenfalls Geld fliessen, so etwa der Chemiekonzern Bayer im vergangenen März mit über einer Million Franken im Rahmen einer Partnerschaft mit der ETH für «nachhaltigen landwirtschaftliche Systeme und Produktionsmethoden». Die Hochschule beteuert nach wie vor ihre Unabhängigkeit.
Die Wirtschaft forscht mit
Jakob Bächtold / veröffentlicht am 23. April 1999
Zum Gelde rennt, zum Gelde drängt doch alles. Neuerdings auch an den Hochschulen. Drittmittelfinanzierung heisst das Zauberwort, um das es sich an Uni und ETH mehr und mehr dreht. «Zwischen Unternehmen und Hochschulen muss unter gegenseitiger Wahrung der Unabhängigkeit ein Vertrauensverhältnis geschaffen werden», schreiben Bundesrätin Ruth Dreifuss und Bundesrat Pascal Couchepin im Vorwort der Broschüre «Die Universität von morgen». Mit dem 180 Seiten umfassenden Werk, das letzte Woche an ETH und Uni gratis auflag, möchte der Bund die Diskussion zur «Botschaft über die Förderung von Bildung, Forschung und Technologie» lancieren. Das Reformprojekt, mit dem frischer Wind in die Schweizer Hochschulwelt gebracht werden soll, wird zur Zeit in den eidgenössischen Parlamenten beraten.
Kompetenzen anders, Finanzierung neu
Neben einer Neuregelung der Kompetenzen der verschiedenen Gremien im Schweizer Hochschuldschungel gehören auch neue Finanzierungsmodelle zum Programm des Bundes. Die Ausrichtung ist klar: Die öffentliche Hand hat weniger Geld, also müssen die Hochschulen stärker durch «Dritte» finanziert werden, und die «Dritten», das sind Wirtschaftsunternehmen.
In der« Universität von morgen» schreibt Charles Kleiber, Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung, in Zukunft sei eine Verbindung von akademischer Denkart und Dienstleistungsdenken, eine Partnerschaft mit der Marktwirtschaft gefordert. Die Studs sehen dieser zunehmenden «Vermarktung» der Hochschulen mit gemischten Gefühlen entgegen. Stefan Kirstensen, bis vor zehn Tagen der Co-Präsident des Verbands der schweizerischen Studentinnenschaften (VSS), meint: «Wir sind nicht prinzipiell gegen Finanzierung durch Dritte. Wenn aber weniger öffentliche Gelder zur Verfügung stehen und sich die Hochschulen stärker an der Wirtschaft orientieren müssen, dann wird dies negative Folgen haben.» Der VSS befürchtet, dass Fachbereiche, die für die Wirtschaft uninteressant sind, ins Abseits gedrängt werden. Kirstensen erklärt: «Die Interessen der Hochschulen und die Interessen der Wirtschaft sind nicht dieselben. Deshalb wird es Konflikte geben.»
Viele Institute und Abteilungen an der ETH und an der Uni arbeiten bereits seit langem mit Partnerinnen aus der Wirtschaft zusammen. «An der Abteilung für Elektrotechnik sind wir schon sehr lange mit der Industrie in Kontakt. Es geht dabei nicht nur um Drittmittelbeschaffung, sondern auch um Zusammenarbeit und Meinungsaustausch», erklärt Marcel Kreuzer, Sekretär der Abteilung für Elektrotechnik an der ETH. Die Elektrotechnik liegt besonders nahe bei der Industrie. Die Zusammenarbeit mit der Industrie ist denn auch intensiv. Im Schnitt werden 30 Prozent der Stellen in dieser Abteilung von Wirtschaftsunternehmen gesponsert. In einigen Instituten liegt der Anteil sogar bei 50 Prozent.
Forschung bleibt frei
Trotzdem betrachtet Kreuzer die Unabhängigkeit der Forschung nicht als gefährdet: «Wir sind immer noch absolut frei bei der Festlegung der Projekte. Natürlich arbeiten wir mit der Industrie zusammen. Wir haben aber die Freiheit, Nein zu sagen, wenn wir bei einem Pro-jekt, das uns ein Wirtschaftsunternehmen vorschlägt, nicht mitmachen wollen.» Dass die Wirtschaft kurzfristige Projekte eher bevorzugt, gibt auch Kreuzer zu: «Es gibt eine leichte Tendenz zu Projekten, die sich in absehbarer Zeit auch nutzen lassen.» Da aber die ETH über eine genügend grosse Grunddotation von Geldern des Bundes verfüge, sei eine ausreichende Grundlagenforschung in keiner Weise gefährdet.
Für die Studierenden hat die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft an der Abteilung Elektrotechnik Vor- und Nachteile. Alex Koster, Präsident des Maschinen und Elektroingenieurvereins (AMIV), meint: «Nähe zur Industrie ist im Ingenierstudium sicher. wünschenswert, aber in Massen.» Der Fremdmittelanteil von etwa einem Drittel lasse die Entscheidungskompetenzen immer noch klar auf der Seite der Institute.
Probleme gebe es zuweilen bei Studierenden, die ihre Semesterarbeiten in der Industrie schreiben. Projekte bei denen die Studierenden ihren Arbeitsplatz direkt im Betrieb haben, würden nur einen geringen Anteil ausmachen, erklärt Alex Koster. Die Notengebung sei manchmal erschwert, weil sich die Betreuerin der Industrie aus Zeitgründen weniger um die Studierenden kümmere.
Zudem würden einige Firmen «Leistungsprämien» ausbezahlen. Dazu meint Koster: «Institutionalisieren möchten wir diese Praxis nicht, aber verhindern kann man sie wohl nicht. Zudem sind davon schätzungsweise nur ein bis zwei Studenten pro Semester betroffen.»