Sexist kriegt aufs Maul: «Ihre Sorgen möcht ich haben!»
Aus dem Archiv — Auch noch in den 1940er Jahren störten sich gewisse Studenten am Frauenstudium. Ein Schlagabtausch.
Einleitung von Jon Maurer
Im Jahr 1867 promovierte die Russin Nadeschda Suslowa als erste Frau überhaupt an der Uni Zürich. Darauf nahm die Quote der Studentinnen rasch zu, wobei die meisten wie Suslowa aus Russland stammten. Erst mit Beginn des 20. Jahrhunderts schrieben sich zunehmend auch Schweizerinnen ein.
Dass nun auch Frauen die Hörsäle füllten, irritierte gewisse Studenten anscheinend noch lange. So druckte der «Zürcher Student» im November 1946 die kommentierte Rundfrage eines «Skeptikers», der argumentierte, das Studium lasse Frauen «vergilben». Sein Kommentar bezog sich auf eine Rundfrage zur Motivation von Studentinnen, die er auf den Gängen der Uni durchgeführt hatte.
Zwei Studentinnen antworteten im Dezember 1946 anonym auf die Sorgen des Skeptikers. Die erste legte in ihrem Text «Von der Verirrung der Gefühle» dessen primitive Rollenbilder offen. Und wies darauf hin, dass auch so mancher Student mit Buckelchen vom Staatsexamen heimkommt. Die andere entzog sich in ihrem Brief «Erwiderung einer progressiv Vergilbenden» der als sinnlos empfundenen Diskussion. Und bewies stattdessen, dass auch ein Verriss poetisch sein kann.
Warum die Studentinnen Studentinnen sind
Anonym / November 1946
Ich habe sie sorgfältig und kritisch gelesen, diese Antworten der sechs Studentinnen. Und ich habe einige Dinge bestätigt gefunden — Binsenwahrheiten —, die jeder weiss, und die doch jeder stillschweigend übergeht — Dinge, «von denen man nicht spricht». Ich gestatte mir, trotzdem davon zu sprechen. Warum studieren diese Mädchen, die da durch unsere Hallen wandern, in herrlicher Blüte und voller Zuversicht in den ersten Semestern, etwas verblichen und ernster geworden, wenn sie ihre Dissertation beginnen, und oft vergilbt und erwachsen beim endlichen Abschluss der Studien. Warum studieren diese Mädchen?
Sie geben die Antwort selbst, die Antwort, die wir längst kannten. Sechs Studentinnen — und im Grunde nur zwei Antworten, voneinander verschieden im Gedanken, und doch einander gleich in der völligen Verkennung von Studium und Wissenschaft. Eine Antwort heisst (die Chemikerin im 6. Semester findet dafür die Formel): Warum studierst du? — «einfach so!» Die Antwort ist lapidar und klassisch. Und die junge Architektin ergänzt sie, kindlich und ehrlich: «irgend etwas muss man schliesslich studieren».
Das ist die eine Antwort: «einfach so». Zufällig. Weil man noch nicht verheiratet ist und doch die Matura gemacht hat. Und weil Kunstgeschichte so grosse Mode ist. Oder weil man «gut zeichnen» kann. Und diesem dummen Zufall, dieser Eingebung eines Augenblicks — «einfach so» — opfern so viele dieser jungen Mädchen blind und unbesonnen ihre Jugendfrische, ihre natürliche Blüte, ihre Weiblichkeit… Die andere Antwort auf die Frage nach dem Grund ihres Studiums gibt uns die Medizinerin im 4. Semester: «um zu helfen». Und die gleiche Antwort, mit mehr Pathos noch, gibt die Phil. Il.-Studentin: «um mit dem Erkannten den andern zu dienen». Und schliesslich die Juristin: «ich möchte vieles verbessern…» Das ist also die zweite Antwort: «um zu helfen». Wie bizarr! Gerade das, was doch die Frauen vom Studium abhalten könnte, ihre Mütterlichkeit und Bereitschaft zur Hilfe, das wird zum Motiv des Studiums. Wie wenn es ein Studium brauchte, um als Frau helfen zu können. Welche Überschätzung und Verkennung der Wissenschaften, welche Verirrung der Gefühle! [...]
Von der Verirrung der Gefühle
Anonym / November 1946
Lieber Herr Skeptiker, es ist sowohl rührend als ritterlich, wenn ein Student sich um Blühen und Welken der Studentinnen sorgende Gedanken macht, und ich kann nicht umhin, diese Rührung ein bisschen auszubreiten: Gewiss, es wäre unserer Schönheit zuträglicher, wenn wir lässig zu Hause sitzen würden, in Modejournal oder Kochbüchern blätternd, und unsere ganze Geisteskraft darauf verwendeten, uns einen angenehmen Mann auszusuchen, um die berüchtigten Mutterinstinkte schnellmöglichst in die Tat umzusetzen. Es gibt Frauen, die das tun (wie unsere Grossmütter), und solche, die das nicht tun (wie eben die Studentinnen), jede nach ihrer Weise, und kein Mann soll da dreinreden. Die Männer, Studenten wie Regierungsräte, glauben aber immer wieder, dreinreden zu müssen.
Und dies Dreinreden erwütet mich nun ganz gemach ein bisschen, lieber Herr Skeptiker: Dass ein Mann immer noch so archaische Forderungen an die Frau stellt und rührend meint, mit Muskochen und Kinderkriegen seien ihre menschlichen Fähigkeiten erschöpft. Was würde man von uns sagen, wenn wir uns Männer wünschten, die nur ihrem Ur-Beruf nachgehen dürften, also Jagd, Fischfang und Frauenraub? (Denn auch der männlichen Schönheit ist das Studium gar nicht günstig: wie mancher rosenwangige Jüngling wird blass und mickerig bei der Dissertation und hat nach bestandenem Staatsexamen ein Buckelchen!) [...] Darf ich Sie noch etwas fragen, Herr Skeptiker? Warum studieren Sie? Es gibt nämlich auch erschreckend viele junge Männer, die nicht recht sagen können, warum sie was studieren, und die als Holzfäller, Gärtner oder Rennfahrer gewiss ebensoviel zum Wohle der Menschheit beitragen könnten [...]. Sie zum Beispiel, Herr Skeptiker, wären ein herrlicher Schulmeister geworden, so von der alten einseitigen Sorte.
Ich grüsse Sie recht herzlich, so verwirrt meine Gefühle auch sein mögen, und wünsche Ihnen, dass Sie beim nächsten Mal, wenn Sie wieder eine Lanze für die Frauen brechen wollen, auf dankbarere Gegenliebe stossen.
Erwiderung einer progressiv Vergilbenden
Anonym / November 1946
Fade Nahrung induziert Brechreiz. Das überdies substanzlos Fade birgt die Gefahr in sich, dass der «Brechgereizte» Galle speit. Stoische Beherrschtheit kann die physische Reaktion sublimieren in grenzenloses Mitleid mit dem Koch, der solche Kost bereitet.
Armer, armer Skeptiker! Ihre Sorgen möcht ich haben! Aber wie glücklich müssen Sie im Grunde sein, wenn keine tieferen Probleme, oder die Probleme nicht tiefer, Sie quälen. Hat Ihr Geist über dem Nichts geschwebt, als Sie Ihren Artikel schrieben? Oder hat vielmehr das Nichts über sich selber geschwebt? Beim Lesen fielen mir die Verse von Morgenstern ein:
Die Nähe ging verträumt umher,
Sie kam nie zu den Dingen selber…
wobei hier «Nähe» durch «Leere» zu ersetzen ist. Was schadet es, wenn Studentinnen erwachsen werden? Die jugendliche Frische der Universität geht sicher nicht verloren, solange wenigstens einige Studenten unerwachsen bleiben, und dass dies tatsächlich vorkommt, darum ist mir auf Ihren Aufsatz hin nicht mehr bange.
Heiterer Statistiker! Wenden Sie Ihre Aufmerksamkeit weiterhin geistreich formulierten Fragen zu, etwa diesen, warum Stroh Stroh ist und warum ein Lama ein Lama bleibt. Sollten Sie kindliches Gemüte trotz meiner lautern Absicht sich verletzt fühlen, so bedenken sie das Schillerwort:
Ehret die Frauen! Sie flechten und weben
Himmlische Rosen ins irdische Leben,
und beherzigen Sie, dass Dornen wesentlicher Teil der Rosen sind.