«Wir haben die Energie, schlaflose Nächte zu verbringen»: Bei «Ahimè!» sammeln aufstrebende Opernsänger*innen ihre ersten Erfahrungen. zVg

Schmettern in der Industriehalle

Drei Sänger*innen gründen in Basel den Verein «Ahimè!». Sie wollen die Opernwelt zugänglicher machen, etwa durch die Wahl ausgefallener Spielorte.

29. September 2023

Stürmisch betritt Tamina Biber die Bühne. Mit der erregten Schimpfkanonade «Morrai si, l’empia tua testa» erfüllt ihre Stimme als Rodelinda der gleichnamigen Oper von Georg Friedrich Händel die Voltahalle in Basel. Der Gesang wird von einem kleinen Barockorchester neben der Bühne musikalisch untermalt.

Doch solange man seine Blicke auch an den kahlen Betonwänden der Industriehalle entlanghangelt, so sucht man doch vergebens nach den klassisch roten und samtigen Theaterstühlen, prächtigen Deckenmalereien, die sich in leuchtenden Farben über das Publikum spannen und den exquisiten Designertaschen, die in Opernhäusern abends gerne ein- und ausgehen. Am besten wäre es, man blickte sich in der Halle überhaupt nicht um: «Bei uns zählt wirklich nur die Musik», sagt Julian Schmidlin, Mitgründer des jungen Opernvereins Ahimè! aus Basel.

Eine Barockoper als erstes Projekt

Mit dem Ziel, Operninszenierungen für ein breites und junges Publikum zugänglich zu gestalten und jungen Künstler*innen erste Erfahrungen auf hohem Niveau in Opernprojekten zu ermöglichen, gründeten die drei Sänger*innen Tamina Biber, David Ferreira und Julian Schmidlin, die sich aus ihrem Studium an der Hochschule für Musik Basel kennen, Ahimè! im Sommer 2022.

«Wir wurden immer wieder von Freunden und Bekannten angesprochen, die sich zwar gerne mal eine Oper angesehen hätten, aber sich nicht sicher waren, wie», sagt Biber. Zu viel könne jemanden beim ersten Opernbesuch als Neuling entlarven. Welche Kleidung wählt man, wann klatscht man und wann nicht? «Wir dachten uns, wie schade es doch wäre, wenn das Genre Oper mit Berührungsängsten behaftet ist und ein erster Besuch schliesslich daran scheitert», sagt Schmidlin.

Die ausgewählten Spielorte sollen sich sichtbar von den gängigen Vorstellungen eines elitären und teuren Opernabends kontrastieren. Auch verlangt Ahimè von seinen Besucher*innen keinen Eintritt. Als erstes Projekt wählten Biber, Ferreira und Schmidlin das Werk Rodelinda von Georg Friedrich Händel. In ihrer Inszenierung legen sie inhaltlich den Fokus auf das Thema Macht in ihren verschiedenen Erscheinungsformen

«Uns war es ein Anliegen, dass wir nicht etwas Klassisches wie die Zauberflöte aufführen, wir hatten aber auch pragmatische Gründe», sagt Biber. Zu groß sei der Aufwand eine Oper mit grossem Chor zu koordinieren und vor allem: «die jungen Künstler*innen auch gut zu bezahlen», ergänzt Ferreira. Für ein Werk aus dem Barock spricht ausserdem, dass das Orchester überschaubar bleibt und die Strukturen deutlich in Rezitativ und Arie aufgeteilt sind. So konnten wir nach Belieben Abschnitte streichen, tauschen und haben jetzt einen guten Remix mit unserer Kürzung», sagt Biber.

Der andere Blick

Innerhalb eines Jahres stellten Biber, Ferreira und Schmidlin mit weiteren jungen Sänger*innen und Musiker*innen aus Basel ein abendfüllendes Programm auf die Beine, gründeten ein eigenes Barockorchester und kümmerten sich eigenständig um die Finanzierung des Vereins durch Stiftungen. Zwar war das Projekt zeitintensiv und für alle Mitwirkenden mit erheblichem Aufwand verbunden, dennoch bleiben die Gründer*innen gelassen: «Wir sind jung, wir haben die Energie, schlaflose Nächte zu verbringen. Es geht! Uns alle verbindet diese Leidenschaft für die Oper», sagt Biber. Ausserdem hätten sie im Prozess selbst viel lernen können: «Man kommt mit einem anderen Blick in den Beruf: In einem grossen Opernhaus hat jede Person ihre Aufgabe, wir übernehmen bei Ahimè! einfach alles», sagt Ferreira.

Der Verein Ahimè! hat es geschafft, genügend Künstler*innen zu finden, die mitwirken wollen, Stiftungen und Sponsoren von ihrer Vision zu überzeugen, junge Oper auf hohem Niveau zu spielen und nun besteht auch ein enormer Zuschauerandrang für die vier Vorstellungen im September.