Statt sich ungelesen in die Höhe zu stapeln, sollten neue Forschungspapers an die Öffentlichkeit gelangen.

Offene Wissenschaft, aber wie?

Die Uni Zürich hat für eine offene Wissenschaftskultur eine neue Policy erlassen. Forschende stehen jedoch im Dilemma zwischen dem neuen Leitprinzip und den herkömmlichen Rankings.

Simon Halbeisen (Text) und Linn Stählin (Illustration)
29. September 2023

Mit der Open Science Policy will die Universität Zürich einen Kulturwandel herbeiführen. Öffentlich zugängliche Forschungsergebnisse und reproduzierbare Forschungsmethoden sollen Wirksamkeit, Effizienz und Transparenz der Forschung fördern. Diese neue Policy betrifft uns als Studierende, Bürger*innen und einige als zukünftige Forschende.

Offene und transparente Wissenschaft betrifft nicht nur den Zugang zu Forschungsergebnissen. Die Universität Zürich spricht in ihrer neuen Policy vier Aspekte an, die Open Science ausmachen. Publikationen sollen digital abgelegt werden, gratis für jede Person zugänglich und möglichst frei von Coypright und Lizenzbeschränkungen sein. Auch die bei der Forschung generierten Daten sollen öffentlich zugänglich und einfach zu handhaben sein. Das erleichtert die Reproduzierung und Validierung von Forschungsergebnissen.

Uni Zürich im oberen Mittelfeld

Gleiches gilt für die Software, die von Forschenden genutzt wird: Wenn möglich soll sie open source sein und eigens erstellte Software soll geteilt werden. Schliesslich soll der Forschungsprozess an sich zugänglich und reproduzierbar sein. Und die Publikation von negativen Ergebnissen soll die Effizienz steigern. Dabei lag der Fokus international wie national zuerst auf der Zugänglichkeit von Forschungsresultaten. In den letzten Jahren sind Strategien zur Zugänglichkeit sonstiger Forschungsdaten dazugekommen.

Die Open Science Policy wurde im September 2021 von der Unileitung genehmigt. Zwar hatte noch 2019 eine Umfrage zur Erarbeitung der Policy gezeigt, dass Forschende und Studierende sich nicht wohl fühlten mit einer Verpflichtung zum Open Access Publishing und der Bereitstellung von «FAIRen» Forschungsdaten. Daten gelten als «FAIR», wenn sie «Findable (auffindbar), Accessible (zugänglich), Interoperable (interoperabel) und Reusable (wiederverwendbar)» sind.

Heute seien Open-Access-Publikationen jedoch weit verbreitet, sagt Manuela Höfler, verantwortlich für die strategische Ausrichtung der Uni im Open-Science-Bereich. Im Jahr 2021 lag der Anteil von Open Access an der Universität Zürich über alle Publikationen hinweg bei 62 Prozent. Im letzten Jahr stieg der Anteil auf ca. 65 Prozent. Im Vergleich zu anderen Schweizer Hochschulen ist die Universität Zürich im oberen Mittelfeld. «International wie national verlangen Forschungsförderer heute, dass von ihnen finanzierte Forschung Open Access zugänglich gemacht wird», sagt Höfler. Der Schweizerische Nationalfonds zum Beispiel fordert Open-Access-Publikation und verlangt ein Datenmanagement-Konzept. Dies helfe auch den Forschenden selbst: «Denn nur wenn man [die Daten] selbst aufgearbeitet hat, findet man sich auch sofort zurecht», meint Leonhard Held, Professor für Biostatistik an der Universität Zürich.

In den nächsten Jahren werde eine international gestartete Reform der Art und Weise, wie Forschung bewertet wird, zentral sein, erklärt Höfler. «Damit sollten offene Wissenschaftspraktiken zur Norm werden», fügt sie an. Klassische Metriken, wie der Journal Impact Factor (JIF), sind in akademischen Strukturen jedoch tief verankert. Der JIF ist eine errechnete Zahl, deren Höhe den Einfluss einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift wiedergibt. Für den JIF sind unter anderem die Anzahl Publikationen und die der akademischen Zitate der Publikationen relevant.

«publish or perish»

Die League of European Research Universities, zu der auch die Uni Zürich gehört, fordert ein Umdenken. Auch die Open Science Policy der Uni Zürich hat diesen Punkt aufgenommen. Manuela Höfler sieht dies als nächste grosse Thematik. Letztes Jahr unterschrieb die Universität Zürich die «Coalition for Advancing Research Assessment»: Forschung soll qualitativ evaluiert werden, zum Beispiel über Peer Review. Ausserdem sollen alte Bewertungskriterien überprüft und neue entwickelt werden. So soll offene und qualitativ hochwertige Forschung, die den Open-Science-Prinzipien folgt, belohnt werden.

Viele Forschende, gerade Nachwuchswissenschaftler*innen, stehen aber auch heute noch vor einem Dilemma. Wie die Redewendung «publish or perish» besagt, ist der Publi­kationsdruck gross, was wenig Zeit für eine saubere Aufarbeitung der Daten lässt. «Publi­ziere ich in einem Open-Access-Journal mit weniger Renommee, oder zahle ich sehr viel Geld dafür, dass ich meinen Artikel in einem renommierten Journal öffentlich zugänglich machen kann?», formuliert Held die Frage. Saubere Open-Science-Praktiken bräuchten Zeit und Geld, und viele Forschende befürchteten, dass sie dafür vom System nicht belohnt werden, so Held.