In den 100 Jahren ihres Bestehens machte die ZS vor allem eins: Zoff

Wenn es irgendwo knallte, war die ZS zuvorderst dabei. Sie provozierte und liess sich provozieren. Das zeigt die Festschrift «100 Jahre Zoff. Die Geschichte der Zürcher Studierendenzeitung».

29. September 2023

Am Anfang war Gerede. Darüber, wer der Legende nach schon alles für die ZS geschrieben hatte. Darüber, wie viel Lohn die Redaktionsmitglieder früher offenbar bekommen hatten. Und, ja – auch darüber, was für eine Farbe das Sofa hatte, auf dem die und die Leute miteinander geknutscht haben sollen.

Ich war Anfang zwanzig, neu an der Uni, hatte Lust auf Party und auf Gossip. Aus diesen und tausend anderen Gründen war die ZS der perfekte Ort für mich: Dort gab es nicht nur die liebenswürdigsten und klügsten Menschen weit und breit, sondern auch viel zu tun und in regelmässigen Abständen etwas zu feiern. Und: Die ZS-Redaktion war ein sagenumwobener Ort. Es rankten sich unzählige Mythen um dieses Büro und den ganzen Krimskrams, der dort herumlag. In der Rämistrasse 62 ein- und auszugehen, fühlte sich grossartig an. Ich spürte, dass dies die Tage sein könnten, an die ich später voller Glückseligkeit zurückdenken würde.

Und wirklich: Wenn mich jemand nach meiner Studienzeit fragt, dann fallen mir immer nur Anekdoten aus meiner Zeit als ZS-Redaktor ein. Denn bei der ZS, da war ich wirklich glücklich (obwohl ich auch der völligen Verzweiflung mehrere Male gefährlich nahe gekommen war). Vielleicht blieb ich deshalb über drei Jahre in der Redaktion: weil ich immer noch mehr erleben wollte, wovon ich später in nostalgischem Ton würde erzählen können – so wie jetzt gerade.

Wer keine Ahnung hat, muss improvisieren

Trotzdem hörte ich am Ende bei der ZS auf, ohne die Wahrheit über ihre Mythen zu kennen. Um ehrlich zu sein: Ich wusste kaum mehr als das, was in der Redaktion und in ihren Dunstkreisen halt so geredet wurde. Dabei ist die Vergangenheit der ZS ziemlich juicy – um das einmal so zu formulieren.

Auf Michael Kuratli geht die Vision zurück, sämtliche Archivbestände der ZS digitalisieren zu lassen. Dank seiner Weitsicht waren die rund 50'000 Seiten der ZS, der Monatszeitung «das konzept» und dem Semesterblatt «iQ» ab 2022 auf der Plattform E-Periodica der ETH Zürich abrufbar. War mein Interesse an der Vergangenheit schon immer gross gewesen, nahm meine Beschäftigung mit der Geschichte der ZS dank der Digitalisierung des Archivs immer obsessivere Züge an. Es liess es sich stundenlang darin blättern und scrollen.

Aus dem ursprünglichen Plan, den bruchstückhaften Eintrag bei Wikipedia zu ergänzen, entstand die Idee, ein Buch zu schreiben. Der Journalist Michael Kuratli, der Historiker Johannes Luther und ich nahmen uns der Sache an. Wir sagten uns: Wenn wir schon die ganze Arbeit machen, dann soll sich das auch lohnen. Im Frühjahr 2020 stellten wir erste konzeptuelle Gedanken für ein Buch an. Wir überlegten, was in so einem Buch stehen müsste, und wie diese Dinge herauszufinden wären.

Doch statt auf Antworten stiessen wir während unseren Recherchen auf immer neue Fragen. Nimmt man dazu, was Literatur-, Universitäts- und Staatsarchive an Quellen zur ZS bereithalten, würde das erste Jahrhundert ihrer Geschichte Stoff für weit mehr als ein Buch mit 352 Seiten hergeben. Aber wir waren nur zu dritt, und die Zeit war begrenzt. Wir mussten uns also zügig nach Gleichgesinnten, möglichen Geldgeber*innen und, vor allem, einem Verlag umsehen.

In der Redaktion hatten wir gelernt: Wenn man keine Ahnung hat, was man tut, muss man improvisieren. Mit dem Risiko, sich zu blamieren. Ganz in diesem Geist gingen wir ans Werk. Fertigten einen ungefähren Projektbeschrieb an und ein über den Daumen gepeiltes Budget. Telefonierten mit Bekannten, die sich im Verlagswesen besser auskannten. Schickten eine Anzahl unbeholfene Mails an Verlage, an die Uni und an Stiftungen. Und hofften das Beste.

Es gab nichts zu beweisen

Ob so ein Buch jemanden interessieren würde, stand zunächst dahin. Vielleicht hatte mein Eifer auch mit Rechthaberei zu tun. Mir bedeuteten die Artikel der ZS und die Menschen, die sie geschrieben hatten, die Welt. Andere dagegen hatten von uns, von der ZS, noch nie gehört. Ein paar Mal hatten mich Kommiliton*innen nach dem Seminar gefragt: «Arbeitest du immer noch für die Schülerzeitung?». 

Die ZS – meine geliebte ZS – eine handgestrickte Schüler*innenzeitung? Ein Schlag in mein Gesicht. Wir rackerten uns in der Redaktion ab, und unsere Leser*innenschaft schien kaum Notiz davon zu nehmen. Ein Kinnhaken. Und selbst unter Ehemaligen gab es Zweifel, ob die Geschichte der ZS mehr als Insider-Witze zutage fördern würde. Knock-out. 

Beim Jubiläumsbuch ging es mir anfänglich darum, die Bedeutung der ZS festzuschreiben. Für die, die daran zweifelten. Ich dachte, wenn es ein Buch über sie gäbe, könnte ich damit den endgültigen Beweis dafür liefern, dass die ZS mehr ist als das Hobbyprojekt einiger «Schüler*innen». Aber Rechthaberei ist dumm. Und als Motivation viel zu wenig.

Ausserdem zeigte sich nach kürzester Zeit, dass wir nichts würden beweisen müssen. Kurt Tucholsky, Annemarie Schwarzenbach, Max Frisch und Hermann Burger hatten in der ZS geschrieben. Nobelpreisträger Thomas Mann hatte die ZS gelesen, und aus der ZS war über Umwege die «Wochenzeitung WoZ» hervorgegangen. Noch Fragen?

Zoff, Zoff, Zoff

Wir hatten noch Hunderte Fragen. Wie hat die ZS es wieder und wieder geschafft, ihr Ende durch Abschaffung, Irrelevanz, Alkoholvergiftung oder simple Pleite abzuwenden? Warum haben sich über Generationen immer wieder junge Menschen zusammengetan, um Texte zu schreiben? Was hat die Universität Zürich geritten, dass sie dieses teilweise doch ziemlich miese Blatt stets tolerierte? Und wem war in den Neunzigerjahren eigentlich die Idee gekommen, in der ZS nur noch weibliche Pronomen zu verwenden?

Wir fanden wunderbare Autorinnen und Autoren, die sich bereiterklärten, diesen Fragen nachzugehen. So ist ein vielstimmiges Buch entstanden, das sich der ZS von verschiedensten Seiten nähert. Es sind darin persönliche Erinnerungen und allerlei Anekdoten versammelt und historische Analysen und medienwissenschaftliche Überlegungen.

In ihrem Beitrag denkt zum Beispiel die Journalistin Nina Kunz (meine erste Chefin bei der ZS) an die Zeit ihres Studiums zurück. An die Typen, die in der Redaktion herumgehangen, The Smiths gehört und Dosenbier getrunken haben. Sie schreibt: «In den Jahren bei der ZS – und das scheint mir wichtig – lernte ich aber nicht nur, wie man eine Zeitung macht, sondern auch, wie man richtig blöd tut.» Und damit hat sie völlig Recht. Die ZS lebte (zumindest damals) an der Grenze zwischen Strebertum und prolligem Gegröle.

Es war allerdings nicht immer alles so lustig in den letzten 100 Jahren. Der Historiker Jakob Tanner beschreibt in seinem brillanten Essay, wie junge Fanatiker um 1930 den deutschen Nationalsozialisten nacheiferten und die ZS zu einem frontistischen Kampfblatt umbauten. Sie schrieben über «krankhafte Stellen am Volkskörper», die Vorzüge von Diktaturen nach faschistischem Vorbild und die politische Schlaffheit der damaligen Schweizer Jugend. Die Sprache der ZS jener Zeit war durchsetzt Gewaltmetaphern, und ihre Weltanschauung war zutiefst menschenverachtend.

Kurzum: Die ZS der frühen 1930er-Jahre war ein Drecksblatt. Aber sie fing sich, überlebte und besserte sich. In den folgenden Jahren blieben ihre Artikel meistens recht zahm. Bis es 1968 wieder knallte und 1980 noch einmal. Wenn es irgendwo brannte, dann war die ZS ganz vorne mit dabei. Sie hatte nichts zu verlieren, und machte, was sie am besten konnte: Zoff. Die ZS brachte provokative Schlagzeilen, billige Provokationen, politische Karikaturen und schoss aus allen Rohren gegen ihre Feind*innen. Das trug ihr Respekt und Ärger zu gleichen Teilen ein. Vor allem hielt es sie aber lebendig. Immer dann, wenn es Stunk gab, wuchs die ZS über sich hinaus.

Insofern hoffe ich, dass der Universität Zürich der Ärger so bald nicht ausgeht. Damit die ZS, die beste Schüler*innenzeitung der Welt, noch lange bestehen kann.

Zum Buch

100 Jahre Zoff. Die Geschichte der Zürcher Studierendenzeitung. Hg. von Johannes Luther, Michael Kuratli und Oliver Camenzind. Zürich: Hier und Jetzt, 2023. 352 Seiten, ca. 39 Franken. Hier kann das Buch bestellt werden.