«Wenn das eine Bachelorarbeit gewesen wäre, hätten die Autorinnen noch mal ran müssen.»
Eine Podiumsdiskussion an der Uni Zürich sollte den Aufruhr um die kontroverse «Leaky Pipeline»-Studie besänftigen. Doch die Fronten bleiben hart.
«Studentinnen wollen lieber einen erfolgreicheren Mann als selber Karriere machen», titelte die Sonntagszeitung vor mehr als einem Monat. Der Journalist Rico Bandle hatte Einblick auf eine noch unveröffentlichte Studie der Uni Zürich erhalten, die untersuchte, wieso es so viele Studentinnen, aber so wenige Professorinnen gibt. Konservative Medien sahen sich in ihrem Glauben bestätigt, dass die meisten Frauen «sich kaum um ihre Karriere kümmern» und sich «Gleichstellungspolitik damit erübrige» (Markus Somm für den Nebelspalter). Von Links kam die vehemente Kritik, dass die Studienergebnisse eine solche Interpretation gar nicht zuliessen und dass die Studie selbst unwissenschaftlich gestaltet sei.
Um die Fakten zu klären und die Wogen zu glätten, hat die Uni Zürich die Studienautorinnen und Repräsentant*innen von Universität und Wirtschaft zu einer Podiumsdiskussion eingeladen. Bei dieser Veranstaltung schienen die Organisator*innen nichts dem Zufall überlassen zu wollen: Im Eingang kontrollierten Sicherheitsangestellte die Taschen, die Redezeit war streng bemessen, Zwischenkommentare waren nicht erwünscht – weder vom Publikum noch von den Diskutierenden. Trotzdem drückte die gespannte Stimmung durch, immer wieder ging ein Murmeln durch den Saal und viele Beiträge wurden mit lautem Applaus quittiert.
Selbstselektion sei entscheindend
Co-Studienautorin und Soziologieprofessorin Katja Rost machte deutlich, wie sehr sie die medialen Reaktionen getroffen haben: «Für mich war das der Horror, ich würde keine Forschungsresultate mehr kommunizieren.» Sie vermutete, dass die Ergebnisse so kontrovers diskutiert wurden, weil sie einem Mainstream widersprechen würden. «Wie viele der Kritiker*innen wollen auch wir mehr Frauen in Führungspositionen, aber wir identifizieren andere Ursachen für ihr Fehlen.» Rost und ihre Co-Autorin, die emeritierte Ökonomin Margit Osterloh sind der Meinung, dass es nicht an einer strukturellen Diskriminierung innerhalb der Akademie liegt, dass es so wenige Professorinnen gibt. Das zeigt sich gemäss den Studienautorinnen daran, dass Frauen in frauendominierten Fächern seltener Karriere machen als in männerdominierten Fächern. Wenn Frauen als Minderheit diskriminiert würden, wäre zu erwarten, dass sie in Fächern mit grossem Frauenanteil häufiger Karriere machen, erklärte Rost. Doch das Gegenteil sei der Fall: In männerdominierten Fächern gebe es proportional zur Zahl der Studentinnen mehr Professorinnen als in frauendominierten Fächern.
Stattdessen vermuten Osterloh und Rost, dass Selbstselektion dafür sorgt, dass so wenige Frauen eine akademische Karriere machen. Weil Frauen tendenziell mit gleich oder besser gestellten Männern zusammen seien, hätten ihre männlichen Partner eine bessere Verhandlungsposition, wenn es um Familien- und Karriereentscheidungen gehe. «Das liegt an der Wahlentscheidung beider Geschlechter!», betonte Rost.
Ähnliche Präferenzen von Männer und Frauen
Das schien jedoch nicht die Botschaft zu sein, die bei den Medien angekommen ist. «Schon im ersten Artikel der Sonntagszeitung wurden faktenwidrige Aussagen gemacht. Und die Autorinnen haben die Fehlinterpretation nicht richtiggestellt», kritisierte Studentin Seraina Eisele, die den VSUZH in der Gleichstellungskommission vertritt. Eine solche Falschaussage wurde auch am Podium gemacht: «Es hiess, Frauen wollen mehrheitlich erfolgreichere Männer. Dabei steht in der Studie, dass sich unter fünfzig Prozent der befragten Frauen einen erfolgreichen Mann wünschen», so Eisele.
Wieso genau die Studie der «Sonntagszeitung» zugänglich gemacht wurde, bevor sie veröffentlicht wurde, erklärten die Autorinnen nicht. Elisabeth Stark, Prorektorin Forschung der Uni Zürich, meint lediglich, man habe viel aus dem Vorfall gelernt. «Wir kontrollieren unsere Forschenden nicht, unsere Kommunikationsabteilung gibt lediglich Empfehlungen ab», so Stark.
Doch ETH-Professorin Elsbeth Stern kritisierte nicht nur die Kommunikation, sondern auch die Studie mit scharfen Worten: «Wenn das eine Bachelorarbeit gewesen wäre, hätten die Autorinnen noch mal ran müssen.» Stern bemängelte, dass vor allem Bachelorstudierende befragt wurden, obwohl es um Forschende gehe. Ausserdem würden die Ergebnisse aufzeigen, dass Männer und Frauen ähnliche Präferenzen haben. Beispielsweise hätten männliche und weibliche Studierende in der Studie ähnlich oft angegeben, Führungsverantwortung anzustreben. Es mache deshalb wenig Sinn, das Fehlen von Frauen in Spitzenpositionen durch ihre Wünsche und Ziele zu erklären.
Nur in einem Punkt sind sich alle einig
Und zuletzt hält Stern die Unterschiede zwischen den männer- und frauendominierten Fächern für statistisch irrelevant. Denn: «Bei geringem Frauenanteil unter den Studierenden, ist der Frauenanteil der Professor*innen schneller proportional zu den Studierenden.» Wenn beispielsweise der Frauenanteil 10 Prozent beträgt, müssen nur drei von dreissig Professor*innen Frauen zu sein, damit die Anteile proportional sind.
Unterstützung erhielt die Studie hingegen von Seiten der Wirtschaft. Gemäss der Betriebsökonomin und Headhunterin Fabienne Meier, können viele Frauen in der Wirtschaft «den Preis der Karriere» nicht zahlen. Dass es weniger Frauen in Spitzenpositionen gibt, habe auch etwas mit Selbstdiskriminierung zu tun.
Markus Theunert, Gesamtleiter des Dachverbands Schweizer Männer- und Väterorganisationen männer.ch, wünscht sich jedoch, dass nicht nur die Frauen zu mehr Karriere motiviert werden, sondern dass auch die Karrieremöglichkeiten attraktiver und lebensfreundlicher werden. «Es macht mir Angst, wenn zwar Frauen vertreten sind, aber der kapitalistische Kern bleibt», meinte er und kassierte Applaus aus dem Publikum.
Schliesslich erhielt das Publikum die Gelegenheit, Fragen zu stellen. Dabei gab es hauptsächlich kritische Kommentare, auf welche die Podiumsgästen nur knapp antworten durften. Nach genau 90 Minuten beendete die Moderatorin Esther Girsberger die Diskussion und übergab das Schlusswort der Prorektorin Stark, die sich für weitere Forschung aussprach: «Wer sich für Gleichstellung interessiert, sollte die Forschung fördern.» Wenigstens hierzu schienen sich alle einig zu sein.