Ein Portrait von Anna Reinhart, der Frau von Ulrich Zwingli, versehen mit der Brille der legendären Kunstsammlerin Hulda Zumsteg: Das ist die Kunstfigur Hulda Zwingli. zVg

«Pipilotti Rist allein kann das nicht kompensieren»

Seit 2019 wirbelt Hulda Zwingli mit Aktionen im öffentlichen Raum und auf Social Media die Kunstwelt auf. Ein Gespräch mit dem Kollektiv über Geschlechtergleichheit, Quoten und das Kunsthaus Zürich.

17. Juni 2023

Die Kunstwelt ist fest in Männerhand. Nicht mal ein Drittel der ausgestellten Kunst ist von Frauen. Warum zeigen Kulturinstitutionen nur so wenige Frauen?  

Bisher begründeten Museen ihren einseitigen Fokus immer mit dem historischen Argument: Es habe keine Künstlerinnen gegeben oder sie hätten keinen Zugang zu Akademien gehabt. Auch Meret Oppenheims Bonmot «Kunst hat kein Geschlecht» wird ins Feld geführt. Hulda vermutet jedoch banale ökonomische Gründe hinter dem Ungleichgewicht. Werke von nicht männlichen Künstler*innen waren und sind auf dem Weltmarkt weniger Wert, sind daher weniger von Galerien vertreten und eignen sich so weniger für die Wertsteigerung privater Sammlungen.

Dass es weniger Künstlerinnen gab, stimmt also nicht?

Nicht in dem Sinne, wie dies vermittelt wird. Natürlich gab es weniger Künstlerinnen in der Kunstgeschichte, aber viel mehr, als immer behauptet wurde.

In den letzten drei Jahren wurden plötzlich eine unglaubliche Anzahl historischer Künstlerinnen gefunden. Wie ist das zu erklären?

Dass zurzeit so viele historische Künstlerinnen entdeckt werden, hängt unter anderem mit der Digitalisierung der Archive zusammen. Im Zuge der Digitalisierung werden die Archive neu geordnet und neu bewertet. So werden Künstlerinnen, welche in Vergessenheit gerieten oder absichtlich zum Verschwinden gebracht wurden, wiederentdeckt. Werke von Künstlerinnen wurden oft unter anderem Namen in Archiven abgelegt, oft wurden sie ihren Vätern oder Brüdern zugeschrieben. So wurden Künstlerinnen totgeschwiegen und ihrer Ideen beraubt.

Malerinnen gibt es aber schon seit den alten Meistern?

Inzwischen geht man davon aus, dass bereits gewisse Höhlenmalereien von Frauen stammen. Malerinnen gab es also schon immer.

Mit der Wiederentdeckung historischer Künstlerinnen muss auch die Kunstgeschichte umgeschrieben werden. Was ändert sich am Kanon?

Vom Kanon wurden Künstlerinnen bisher weitgehend ausgeschlossen. Sie erschienen weder in Standardwerken, noch interessierte sich die akademische Aufarbeitung besonders für ihr Schaffen. Nun erobern historische Künstlerinnen die Kunstgeschichte. Um ein paar Namen zu nennen: Sfonisba Anguissola, Lavinia Fontana, Plautilla Nelli, Clara Peeters, Rachel Ruysch, Artemisia Gentileschi, Rosalba Carriera, Angelica Kauffmann, Anna Dorothea Therbusch, Maria Sibylla Merian… So gibt es seit kurzem diverse Nachschlagwerke mit Künstlerinnen von der Renaissance bis in die Moderne. Im populärwissenschaftlichen Bereich stürmt Katy Hessels Buch «The Story of Art without Men» gerade alle Bestsellerlisten. Katy Hessel hat auch einen Podcast und eine Instagramseite, die Hulda sehr empfehlen kann.

«Von 2008 bis 2018 wurden in der Schweiz bloss 26 Prozent aller Einzelausstellungen Künstlerinnen gewidmet.»

Und die Museen?

Auch die Museen haben in den letzten Jahren einige Fortschritte gemacht. 2016 wurde im Prado in Madrid zum ersten Mal eine Ausstellung einer historischen Künstlerin gewidmet. Auf diese Ausstellung zu Clara Peeters folgten in anderen Städten Gruppenausstellungen ebenfalls zu historischen Künstlerinnen. Der Palazzo Reale präsentierte Künstlerinnen der Renaissance, die Schirn in Frankfurt zeigte das Schaffen von Surrealistinnen, das Belvedere in Wien organisierte eine Ausstellung zu Künstlerinnen der Moderne und das Rijksmuseum in Amsterdam eine zu den Papierarbeiten historischer Künstlerinnen. In Bosten und in Toronto gibt es demnächst eine Übersichtsausstellung zu Europäischer Künstlerinnen bis um 1800. Und das Tate Britain hat seinen Blick nicht nur punktuell, sondern gesamthaft neu eingestellt. 2019 wurden dort für eine Ausstellung, die dem Schaffen weiblicher Künstlerinnen in Grossbritannien gewidmet war, sogar in der Dauerausstellung alle Männer abgehängt.

Von diesem neuen Wind ist in der Schweiz nur wenig zu spüren. Relativ einhellig sind Studien zum Ergebnis gekommen, dass Schweizer Kulturinstitute bezüglich dem Geschlechterverhältnis enorme Ungleichheiten aufweisen.

Die Zählung von swissinfo kam zum Ergebnis, dass im Zeitraum von 2008 bis 2018 in der Schweiz bloss 26 Prozent aller Einzelausstellungen Künstlerinnen gewidmet wurden. Die Diskrepanz zwischen den Museen ist dabei enorm: Während das Geschlechterverhältnis im Helmhaus, Haus Konstruktiv, Migrosmuseum und an der Kunsthalle Basel seit wenigen Jahren in etwa ausgeglichen ist, gab es zahlreiche Museen, in welchen gar keine Frauen ausgestellt wurden.

Wie steht es mit dem Kunsthaus Zürich?

Auch die grossen Museen schnitten sehr schlecht ab. Das Kunsthaus zeigte von 2008 bis 2018 bloss 15 Prozent Frauen einzeln und 2019 sogar gar keine, bevor es 2022 zu bessern begann. In diesem Jahr kuratierte der abtretende Direktor zum Abschied Niki de Saint Phalle. Hulda ist sich nicht sicher, ob es in seiner langen Karriere die erste und einzige Ausstellung mit einer Künstlerin war. Seine Kurator*innen kuratierten alle paar Jahre mal eine Künstlerin einzeln. Nach Pipilotti Rist 2016 dauerte es etwa vier Jahre, bis Ottilie Roederstein selig aus dem Keller gehoben wurde. Selbstverständlich ist das nicht genug.

Auch in der Sammlung sind Künstlerinnen untervertreten. Wie wenige sind es tatsächlich?
Dazu gibt es leider nur sehr wenige Zahlen. 2021 kam die NZZ in einer Zählung auf einen Frauenanteil von 13 Prozent. Im Neubau zählte der Züritipp gerade mal 7 Prozent Werke von Künstlerinnen. Dies ist besonders brisant, da der Neubau mit 118 Million Franken vom Staat mitfinanziert wurde. Nun sind darin drei Privatsammlungen zu sehen, welche fast keine Künstlerinnen zeigen. Pipilotti Rist allein kann das nicht kompensieren, auch im Aussenraum des Museums nicht, wo sie allein unter etwa zehn Männern steht.

Warum knüpft der Staat seine Förderungen nicht an Bedingungen?
Private Museen erhalten hierzulande viel Geld aus der öffentlichen Hand. Das Kunsthaus Zürich erhält zum Beispiel fast 80 Prozent der Budgets für Kunst der Stadt Zürich. Die Politik knüpft diese Förderungen bewusst nicht an Bedingungen, um keinen Verdacht der Staatskunst zu erwecken.

Was könnten Quoten bewirken?
Mit Quoten könnte der Umgang mit staatlichen Geldern reguliert werden. Ausstellungen, Ankäufe, Kulturförderungen und der Unterricht an Universitäten könnte mit einer Quote ausgeglichener gestaltet werden.

Wie können queere Künstler*innen in Quoten berücksichtigt werden? Gibt es dazu bereits Modelle?

Das System bewegt sich weg vom Geniebegriff hin zu einer gesellschaftlichen Repräsentation. In der neuen internationalen Museumsdefinition wird explizit «Diversity» und der Einbezug von «Communities» gefordert, was Quotenforderungen verschiedener intersektionaler Gruppen Zugang verschaffen sollte. Doch gibt es viel Forschungs- und Aushandlungsbedarf. Für das Aushandeln von Quoten der verschiedenen Gruppen wird ein politischer Prozess notwendig sein.

Und darüber hinaus: Was muss passieren, damit die Kunstwelt ausgeglichener daherkommt?
Es geht um ein allgemeines Umdenken. Wie kann Partizipation und Repräsentation geschaffen werden? Massstäbe der Qualität, die bisher gegen nicht vertretene Gruppen ins Feld geführt wurden, gehören revidiert. Wir brauchen mehr Transparenz beim Sponsoring und bezüglich der Nebenmandate der Funktionsträger. Auch eine Amtszeitbeschränkung für gewisse Schlüsselpositionen betrachtet Hulda als sinnvoll. Solange das System im Ungleichgewicht steht, wirken aus Huldas Erfahrung jedoch hauptsächlich Quotenforderungen oder der Hulda-Pranger.

Zum Kollektiv

Hinter der Kunstfigur Hulda Zwingli steckt ein anonymes Künstler*innenkollektiv, das aus dem feministischen Streik 2019 hervorgegangen ist. Hulda kritisiert die Geschlechterungleichheit in der Kunstwelt durch Aktionen im öffentlichen Raum und auf Instagram (@huldazwingli).