«Die Beziehung besteht aus sieben Personen»
Masus lebt seit vielen Jahren polyamor. Ein Gespräch über Hierarchien und Geschlechterrollen in einer Siebner-Beziehung.
Masus, du und eine deiner Partnerinnen haben den Anlass «Foifer und Weggli» in Zürich ins Leben gerufen. Was hat euch dazu bewegt?
In den letzten Jahrzehnten ist das Thema Polyamorie populär geworden. Menschen leben zwar schon seit langem in alternativen Beziehungen, aber Bücher und Forschung darüber und erste organisierte Gruppen sind junge Erscheinungen. Im Nachgang der 68er-Bewegung begannen polyamore Menschen, sich zu organisieren und Wörter zu erfinden, um offene Beziehungsstrukturen zu beschreiben. Nachdem meine Partnerin und ich auf Polyamorie gestossen sind, haben wir verschiedene «Poly-Stammtische» besucht. Das sind Gruppen, die sich regelmässig treffen und sich austauschen, wie an einem Stammtisch eben. Es gibt sie mittlerweile in vielen Schweizer Städten. Die Gemeinschaft und Zusammenkunft am Stammtisch hat uns beflügelt. Und irgendwann wollten auch wir der Community etwas geben. So entstand vor gut drei Jahren «Foifer und Weggli».
Wieviele Menschen besuchen den Poly-Stammtisch? Kommen eher jüngere?
Normalerweise kommen etwa dreissig Menschen. Im Sommer sind es etwas weniger, im Winter mehr. Rund die Hälfte davon sind fast jedes Mal dabei. Die andere Hälfte sind Neulinge oder kommen sporadisch. Vom Alter her ist das Publikum sehr gemischt. Die Jüngsten sind etwa zwanzig Jahre alt, die Ältesten sechzig oder siebzig.
Du lebst seit vielen Jahren polyamor. Wie sieht deine Beziehungskonstellation aus?
Ich und meine Partnerinnen leben seit Jahren in einem Polykül. Dieses Wort wurde als Bezeichnung für polyamore Beziehungskonstellationen erfunden, es ist angelehnt an das Wort «Molekül». Unseres besteht aus sieben Personen. Innerhalb dieses Konstrukts gibt es verschiedene klar definierte, gefestigte Beziehungen. Ich habe zwei Partnerinnen. Sie haben beide weitere Partner*innen und diese wiederum eigene. Zusätzlich zu den Beziehungen innerhalb dieses Rahmens haben wir vereinzelt weitere Beziehungen mit Personen ausserhalb. Manche davon sind beständig, andere nicht. Unser Siebnerkonstrukt strebt aber klar die Langfristigkeit an. Was ich damit sagen will: Polyamorie ist kein Halt auf dem Weg zur Monogamie. Vielmehr ist es eine zuverlässige Beziehungsform, die stabil funktionieren kann.
Wie habt ihr gemerkt, dass Polyamorie für euch die richtige Beziehungsform ist?
Wir haben alle unabhängig voneinander erkannt, dass die klassische monogame Partnerschaft für uns nicht funktioniert. Ich habe vor vielen Jahren einen Vortrag über Polyamorie besucht und dort Menschen kennengelernt, die so leben. Ich war fasziniert und zunächst selbst skeptisch, ob diese Beziehungsform langfristig funktionieren kann. Meine Partnerin und ich haben daraufhin Poly-Stammtische besucht und erkannt, dass uns diese Lebensform tatsächlich entspricht. Nach und nach hat sich dann unser Siebnerkonstrukt ergeben.
In eurer Beziehungskonstellation pflegen nicht alle untereinander romantische Beziehungen. Wie sehen die anderen Beziehungen in eurem Polykül aus?
Wir sehen uns als selbst gewählte Familie und pflegen die Freundschaft untereinander aktiv. Manchmal machen wir Ausflüge zu siebt, Silvester feiern wir immer zusammen. Für mich ist es naheliegend, dass ein Partner meiner Partnerin ein guter Mensch ist, wenn sie ihn liebt. Natürlich interessiere ich mich dann dafür, wie diese Person ist, und freue mich, mit ihr befreundet zu sein. Das ist nicht die einzig «richtige» Form der Polyamorie, aber für uns stimmt es, wenn wir uns untereinander kennen und regelmässig treffen. Transparenz ist uns wichtig. Wir kennen auch ein Paar, das komplett anders lebt. Sie sehen sich als offen und möchten gar nicht so genau wissen, was der*die Partner*in ausserhalb der eigenen Beziehung macht.
Inwiefern wirkt sich die Beziehungsform sonst auf euer Leben aus?
In der Polyamorie sind Kommunikation und Organisation zentral. Die intensive Kommunikation bringt uns einander näher und zwingt uns zur Selbstreflexion. Dadurch wird die Beziehung zu sich selbst verbessert. Man versteht klar, was man im Leben möchte oder braucht, und gewinnt an Selbstsicherheit. Effiziente Organisation ist genauso wichtig. Zeit ist limitiert, und auch Räumlichkeiten schränken den Spielraum ein.
Wie sieht es mit Eifersucht aus?
Eifersucht nimmt vor allem Neulinge stark ein, also Menschen, die in ihrem Konstrukt erst wenig Sicherheit gefunden haben. Mit Erfahrung lässt Eifersucht nach, oder man kann besser damit umgehen. Ein Wort möchte ich ins Spiel bringen: «Mitfreude». Das bedeutet, sich zu freuen, wenn Partner*innen mit anderen Partner*innen eine schöne Zeit haben. Geht es meiner Partnerin gut, fühle ich dabei entspannte, unverfälschte Freude. Mir geht es dann auch gut. Und es kann ihr auch mit jemand anderem als mir gutgehen. Mitfreude ist praktisch das Gegenteil von Eifersucht.
In monogamen Beziehungen versteht man unter Betrügen typischerweise Sex mit anderen. Wie sieht das bei nicht-monogamen Beziehungen aus?
Ich verstehe das Wort «Betrug» ganz anders und finde es seltsam, dass es an sexuellem Verhalten festgemacht wird. Wichtiger ist es, in einer Partnerschaft offen und ehrlich miteinander umgehen zu können. In unserem Polykül definieren wir zwischen uns, was für uns passt, und handhaben das so: Wir erzählen uns von neuen Beziehungen im Voraus, ob romantisch oder sexuell, und sprechen uns ab. Es ist uns wichtig, uns nicht zu belügen oder zu hintergehen. Wir können miteinander ehrlich sein, denn wir müssen nicht dem monogamen Bild entsprechen, dass wir nur mit einer Person Sex haben.
Unterstehen Beziehungen, die man als polyamore Person hat, einer gewissen Hierarchie? Hat man Haupt- und Nebenpartner*innen?
Das handhaben polyamore Menschen unterschiedlich. Meiner Meinung und Erfahrung nach ist es gut, Beziehungen nicht gegeneinander auszuspielen oder zu vergleichen. Es macht zwar einen Unterschied, ob man mit einer Person zusammenwohnt und seit Jahren eine Partnerschaft hat oder seit kurzem zusammen ist und sich weniger oft sieht. Der wichtige Punkt ist aber: Jede Beziehung ist einzigartig.
Wie steht es um Kinder in polyamoren Beziehungen?
Meine beiden Partnerinnen und ich haben selbst keine Kinder. Aber mit Blick auf befreundete «Polys» würde ich sagen, dass die Polyamorie auch hier interessante Chancen bietet: Es ist nicht nur für Kinder schön, Unterstützung von mehreren Erwachsenen zu bekommen, sondern auch für die Eltern eine Entlastung. Durch die gemeinsame Erziehung können Eltern und ihre Parter*innen sich abwechseln und finden so auch Zeit für sich selbst.
Polyamorie bricht also mit vielen Vorstellungen, die in monogamen Beziehungen selbstverständlich erscheinen. Wie steht es dabei um Geschlechterrollen?
Polyamorie fördert auf jeden Fall die Gleichstellung der Geschlechter. Ich denke, dass das monogame Ideal, das viele in ihren Köpfen haben, spezifische, oft traditionelle Geschlechterrollen verlangt. Als Polyamore leben wir einfach als Menschen zusammen, nicht als Mann und Frau mit bestimmten Rollen.