Wann geht den Auslandflügen für Seminare das Kerosin aus? Die Uni will bald einen Sinkflug starten – mit bizarren Methoden.

Die Uni will trotz Flugreisen Netto-Null erreichen

Hochschulpolitik — Für ein Seminar nach Brisbane fliegen? An der Uni erlaubt. Studierende toben auf Jodel, die Hochschule relativiert – und hält an den Klimazielen fest.

Roxane Steiger (Text) und Ben Sprenger (Illustration)
9. Mai 2023

Bis 2030 sollen die Universität Zürich und die ETH klimaneutral sein. Doch Flugreisen machen an beiden Hochschulen immer noch einen beträchtlichen Teil der Treibhausgasemissionen aus. Darum ist im Februar dieses Jahres auf der Online-Plattform Jodel eine Debatte unter Studierenden über die Verhältnismässigkeit von gewissen Flugreisen ausgebrochen. Auslöser war ein fünftägiges Seminar an der juristischen Fakultät dieses Frühjahrssemester, welches in Brisbane, Australien, stattfand. Das Seminar zu «Transnational Organised Crime» weist thematisch keinen direkten Bezug zu Australien auf, und auch die Partneruniversitäten, die am Seminar beteiligt sind, forschen und lehren, mit einer Ausnahme, an europäischen Universitäten.

Der 40-stündige Flug verursacht laut CO2- Rechner von Myclimate 5,7 Tonnen CO2. Zur Veranschaulichung: Der weltweite Durchschnitt von CO2-Emissionen pro Kopf lag 2021 bei 4,7 Tonnen. Die ZS hat bei den Nachhaltigkeitsverantwortlichen von Uni und ETH nachgefragt, ob die heu- tigen Massnahmen in diesem Bereich zur Erfüllung ihrer Klimaziele genügen.

2019 waren Flugreisen für 35 Prozent der gesamten Emissionen der Universität Zürich verantwortlich. Über 80 Prozent stammten von Langstreckenflügen, die nur rund einen Drittel der Flüge ausmachten. In einer Umsetzungsstrategie hat die Universität Zürich festgehalten, wie sie ihr Netto-Null-Ziel erreichen will.

«Wenn die Durchführung eines Seminars in Brisbane einen Nutzen hat, der die damit verbundene Klimabelastung wert ist, dann ist dagegen nichts einzuwenden.»
Lorenz Hilty, Nachhaltigkeitsdelegierter der Uni

Bezüglich Flugreisen soll primär beim wissenschaftlichen Austausch vermehrt auf virtuelle Kooperation gesetzt werden. Zusätzlich hat die Uni Massnahmen zum Absenkpfad bezüglich Flugreisen-Emissionen definiert: «Die Universitätsleitung hat beschlossen, dass Emissionen durch Flugreisen, nachdem sie durch die Pandemie zurückgegangen waren, nur auf maximal 60 Prozent des vorherigen Niveaus wieder ansteigen dürfen. Danach ist ein Absenkpfad von jährlich mindestens drei Prozent vorgesehen», erklärt Lorenz Hilty, Nachhaltigkeitsdelegierter der Uni.

Allerdings weist er darauf hin, dass die Emissionen, die durch das Seminar im Brisbane verursacht werden, nicht unter die Reduktionsziele der Universitätsleitung fallen. Die Emissionen würden erst zur Verantwortung der Universität gehören, wenn diese die Flüge mindestens zur Hälfte finanziert. Für dieses fakultative Seminar, das von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät angeboten wird, müssen die Studierenden für die vollen Kosten des Flugs nach Brisbane aufkommen.

Auf die Frage, ob die Flugreise nach Brisbane mit der Nachhaltigkeitsstrategie vereinbar sei, sagt Hilty: «Wenn die Durchführung eines Seminars in Brisbane einen Nutzen hat, der die damit verbundene Klimabelastung wert ist, dann ist dagegen nichts einzuwenden. Ich kann und will nicht im Einzelfall beurteilen, welchen Nutzen eine Aktivität in Lehre oder Forschung hat.»

An der ETH gibt es ein «Flugreisen-Projekt»

An der ETH machen gemäss Schätzungen die Flugreisen 12 Prozent aller Treibhausgasemissionen aus. «Die absoluten Flugreisen-Emissionen fürs Jahr 2022 sind circa 45 Prozent tiefer als jene von 2016 bis 2018», sagt die Verantwortliche für das «Flugreisen-Projekt» der ETH Giuliana Turi. Dabei könnten aber auch die Nachwirkungen der Pandemie nachschwingen.

Im Rahmen des Flugreisenprojekts sollen alle Departemente für das Jahr 2025 Reduktionsziele für Flugemissionen zwischen 5 und 50 Prozent erreichen. Im Durchschnitt betrugen die Einzelziele im Jahr 2021 15 Prozent. Zu weiteren konkreten Massnahmen zur Erreichung der Klimaziele gehören ausserdem die Aufforderung an ETH-Angehörige im aktuellen Spesenreglement, innerhalb Europas für Reiseziele, die in weniger als acht Stunden mit der Bahn oder dem Bus erreicht werden können, alternative Mobilitätsmittel zu verwenden. Ausserdem werden nur Business-Class-Flüge ausserhalb Europas rückvergütet.

Auch die Uni kündigte Mitte April an, dass nun Pläne der verschiedenen Fakultäten vorliegen, mit welchen Massnahmen sie den Absenkpfad bei Flugreisen erreichen wollen. Zum Beispiel hat die Philosophische Fakultät letzten Herbst eine Lenkungsabgabe für Flugreisen eingeführt, deren Ein- nahmen in einen Fonds fliessen, aus dem die Fakultät Zug- und Busreisen unterstützt. Die Theologische Fakultät erstattet keine Flugkosten, wenn das Ziel per Bahn in weniger als 10 Stunden erreichbar ist.

«Die Uni ist erst dann für die Emissionen verantwortlich, wenn sie die Flüge mindestens zur Hälfte finanziert.»
Lorenz Hilty, Nachhaltigkeitsdelegierter der Uni

ETH und Universität setzen im Rahmen der Umsetzungsstrategien und Projekte in erster Linie auf freiwillige Anreize. Speziell bei den Departementen wurde an der ETH in erster Linie auf Freiwilligkeit gesetzt, so Turi. «Unter dem Schirm des kürzlich festgelegten ETH-Netto-Null-Ziels sind wir daran, diesen Ansatz zu überarbeiten und den Übergang von Freiwilligkeit zu klaren Verbindlichkeiten einzuleiten», bekräftigt Turi. Das genaue Vorgehen werde zurzeit noch erarbeitet.

Wenn es um die konkreten Angebote geht, haben weder die Nachhaltigkeitskommission der ETH, noch jene der Universität eine Übersicht über Kursangebote an ihren Hochschulen, die eine Flugreise vorsehen. Die ETH will laut Turi in Zukunft eine Übersicht erstellen, in der die Lehrangebote systematisch erfasst und analysiert werden. Bei der Universität Zürich sieht es diesbezüglich anders aus: «Es ist der falsche Weg, wenn man versucht, von einer zentralen Warte aus zu beurteilen, welche Aktivitäten wie viel Klimabelastung wert sind», sagt Hilty. Die Abwägungen müssten «dezentral und situationsabhängig» vorgenommen werden.

Andere Seminare finden in Kolumbien statt

Auf Jodel kritisieren einige Stimmen aus der Studierendenschaft die lange Flugzeit, insbesondere in Bezug auf die kurze Aufenthaltszeit. Grosser Diskussionspunkt ist zudem, dass die Studierenden selber für die Kosten für Reise und Aufenthalt aufkommen müssen. Auf Nachfrage der ZS sagt ein Student der Rechtswissenschaftlichen Fakultät: «Angesichts dessen, dass die Uni bis 2030 klimaneutral sein will, sind fünftägige Jus-Seminare in Brisbane absurd.» Besonders stossend sei, dass es keine guten Gründe gegeben habe, nach Brisbane zu reisen.

Andere Seminare würden zum Beispiel in Kolumbien stattfinden. Dort werde aber das Strafrechtssystem Kolumbiens behandelt. In diesem Fall seien also die Gründe für eine Anreise ersichtlich. «Ich fordere von der Universität, für solche Fälle verbindlichere und nachvollziehbare Richtlinien zu erlassen», sagt der Student. Doch davon scheinen die Hochschulen weit entfernt. Zwar haben sie Massnahmen festgelegt, die zum Erreichen der Klimaziele beitragen sollen. Dabei setzen sie allerdings stark auf Empfehlungen, Anreize und Freiwilligkeit. Ob das genügt, wird sich bald zeigen.