Mit Chat GPT lassen sich grosse Teile von Arbeiten schreiben – oder Antworten auf Prüfungsfragen leichter formulieren.

Die Uni weiss noch nicht, wie mit Chat-GPT umgehen

Der Chatbot hat auch für die Hochschule und ihre Studierende viel verändert. Bei Prüfungen kann leichter geschummelt werden – es nachzuweisen, ist aber schwierig.

Sepinud Poorghadiri (Text) und Selma Hoffmann (Illustration)
8. Mai 2023

Was früher teure Ghostwriter übernahmen, erledigt heute künstliche Intelligenz: Der Chatbot Chat-GPT sorgt seit seiner Veröffentlichung letzten November an Hochschulen für Aufregung. Ob man eine vollständige Gedichtanalyse benötigt, eine Fragestellung für eine Disposition sucht oder einen Programmiercode überprüfen muss – Chat-GPT überrascht mit der Vielfalt seiner Fähigkeiten. Auch an der Uni Zürich wird der Textroboter von Studierenden vermehrt verwendet. Dabei machen viele bei Online-Prüfungen, die aufgrund der Pandemie in einigen Fakultäten üblich geworden sind, nicht davor Halt, Chat-GPT einzusetzen. 

Laut Rita Ziegler von der Kommunikationsstelle der Uni gibt es laufend Diskussionen zur Thematik. Für die Veröffentlichung einer gesamtuniversitären Haltung sei es allerdings noch zu früh: «Die Universität Zürich setzt sich derzeit stark mit den Chancen und Risiken von Chat-GPT auseinander und diskutiert das Thema in unterschiedlichen Konstellationen und Austauschformaten.» Allerfrühestens könne man in ein bis zwei Monaten mit einer Äusserung rechnen, so Ziegler. 

Thomas Hidber, Leiter der Lehrentwicklung an der Uni, spricht allerdings bereits von möglichen Auswirkungen auf Lehre und Studium. Obwohl der Chatbot zurzeit noch oft falsche oder veraltete Antworten liefere, biete sein Aufkommen die Chance, die momentane Hochschulbildung mit ihrem eigentlichen Zweck abzustimmen: «Die Lehre muss sich auf das zurückbesinnen, was die Ziele universitärer Bildung sind.» Dabei würden sich sämtliche Prüfungsformate und Leistungsnachweise verändern. «Bezüglich Online-Prüfungsformaten wie remote oder open-book stellen sich neue Herausforderungen. Unterschiedliche, auch interaktive und mündliche Prüfungsformate können gezielt über das ganze Curriculum hinweg geplant werden», so Hidber. Fragestellungen für schriftliche Arbeiten seien umsichtig zu wählen. Der Prozess der Erstellung von Arbeiten könnte laut Hidber auch sinnvollerweise mit mündlichen oder interaktiven Zwischenetappen versehen werden. 

Offener Brief fordert Kontrollinstanz

Interagieren können Studierende jedoch bereits jetzt schon mit dem Chatbot. J., Kommunikationsstudentin, spricht von einer alternativen Nachhilfe: «Als ich zuerst davon gehört habe, war ich in der Lernphase. Dabei war es, als ob ich in einem Tutorat sitzen würde. Wenn ich beispielsweise Zusammenhänge zwischen zwei Konzepten nicht verstand oder eine spezifische Frage zu Details hatte, ging der Chatbot sehr präzise darauf ein. Wir konnten uns so lange über ein Thema unterhalten, bis ich es verinnerlicht hatte.» Andere Studierende begleitet Chat-GPT   über die Lernphase hinaus, wie C., Student an der philosophischen Fakultät, berichtet. Als eine seiner Abschlussprüfungen im vergangenen Semester als open-book Online-Prüfung durchgeführt wurde, behielt er den Chatbot neben der Prüfungssoftware offen: «Wirklich gebraucht habe ich ihn nur vereinzelt, aber einige Fragen liessen sich so ein wenig schneller beantworten, als wenn ich zuerst meine Notizen oder Google durchforstet hätte.» Ein schlechtes Gewissen habe er deswegen nicht. «Wenn man es mit künstlicher Intelligenz schafft, im universitären Rahmen erfolgreich zu sein, dann ist eben etwas mit dem Bildungswesen falsch, nicht mit der Verwendung von Chat-GPT.»

Die momentane Verwendung mit Chat-GPT wird jedoch vom Future of Life Institute in seinem offenen Brief vom 22. März bereits stark in Frage gestellt. Die US-amerikanische Organisation, die sich für die Reduzierung existenzieller Risiken künstlicher Intelligenzen einsetzt und zu deren Berater*innen Elon Musk gehört, spricht von fehlenden Kontrollinstanzen in der gegenwärtigen KI-Entwicklung. Die Konsequenzen seien fatal: Die rasante, unkontrollierte Entwicklung der Wissenschaft werde zur Automatisierung sämtlicher Arbeitsplätze führen. Irgendwann würde die Zivilisation von KI «überlistet und ersetzt», so der offene Brief. Entsprechend fordert das Institut, dass alle KI-Labore das Training von KI, die leistungsfähiger als Chat-GPT-4 sind, für mindestens sechs Monate aussetzen. In dieser Zeit sollte unter anderem in die KI-Sicherheitsforschung investiert und Institutionen etabliert werden, um mit den wirtschaftlichen und politischen Belastungen umzugehen, die KI verursachen werde. Die Umsetzung solcher Sicherheitsmassnahmen sei von entscheidender Bedeutung, da eine unbeschränkte Weiterentwicklung von Chat-GPT durchaus gefährlich sein könne. 

Chatbot trotz Verbot genutzt

An der Uni ergriffen einzelne Fakultäten bereits im letzten Herbstsemester Massnahmen gegen Chat-GPT. N., Student der Wirtschaftsinformatik, berichtet über veränderte Prüfungsbedingungen, die nur Tage vor der Online-Prüfung des Pflichtmoduls Informatik 1 kommuniziert worden seien. Er erklärt: «Meine Mitstudierenden und ich kannten den Chatbot schon lange. Man kann eine gewöhnliche Programmierungsaufgabe einfügen und erhält meistens ein fehlerfreies Resultat.» Tage vor der Prüfung kam dann der Entscheid der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät per Mail: Die Verwendung von Chat-GPT an der Prüfung wurde explizit untersagt. Die Prüfungsaufgaben wurden an den Chatbot angepasst: «Anstatt der gewöhnlichen Aufgaben wurde von uns erwartet, nach einem Output zu codieren. Das ist ein ganz anderes Programmieren, als wir uns gewöhnt sind, und das kam für viele sehr überraschend.» Für N. handelte es sich klar um eine von der Fakultät improvisierte Notlösung, um möglichst zu verhindern, dass Chat-GPT an der Prüfung gebraucht werden konnte.   

Das hielt ihn und einige seiner Mitstudierenden jedoch nicht vom Nutzen des Chatbots ab. Denn auch in den von der Fakultät revidierten Prüfungsaufgaben konnte die KI nützliche Code-Abschnitte liefern und den Studierenden helfen, die Aufgabe zu lösen. Die Frage, ob er beabsichtigt, Chat-GPT auch in künftigen Prüfungen zu brauchen, bejaht N: «Solange von Seiten der Uni keine komplett limitierenden Massnahmen kommen, sehe ich nicht, wieso ich etwas, was mir von Nutzen ist, nicht weiterhin brauchen sollte.» 

Für Yoan Hermstrüwer, Professor der Rechtswissenschaft und Legal Tech an der Uni Zürich, werden solche Massnahmen an Hochschulen unausweichlich sein. Denn der Chatbot könne durchaus eine Gefahr für die Integrität des Prüfungswesens darstellen. Andererseits sei es auch nicht sinnstiftend, die Technologie zu verteufeln. «Man kann lernen, Chat-GPT produktiv einzusetzen. Es spricht meiner Meinung nach nichts dagegen, solche Technologien auch in Prüfungen zu integrieren oder gar zum Prüfungsgegenstand zu machen.» Er könne sich etwa Prüfungsaufgaben vorstellen, bei denen die Studierenden eingeladen werden, sich kritisch mit den Outputs von ChatGPT auseinanderzusetzen oder Fehler und Ungenauigkeiten der KI zu identifizieren. «Wie diese Revisionen im Prüfungswesen genau auszusehen haben, ist aber die Entscheidung der zuständigen Instanzen.»