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«Ja, weil’s der Pfarrer war»

Kulturspalte — Im Film «Unser Vater» kommen die Opfer und Nachkommen des Priesters Anton Ebnöther zu Wort. Dieser zeugte zu Lebzeiten sechs Kinder mit mehreren Frauen – und die Kirche kehrte es lange unter den Teppich.

4. April 2023

«Ich konnte mich nicht wehren. Er hat mich einfach genommen, erdrückt und weggeworfen», erzählt im Film «Unser Vater» Antonia Müller, eine alt gewordene Frau, von der furchtbaren Tat des Priesters Toni Ebnöther, der sie in den Fünfzigerjahren vergewaltigt hat. Der Film ist die Geschichte von Ebnöthers Taten, deren Verschweigung und Vertuschung sowie seiner Nachkommen, die auf der Suche nach der Wahrheit ihre Traumata aufarbeiten.

Die Handlung wird dem Zuschauer nicht zeitlich chronologisch präsentiert, sondern beginnt bei Ebnöthers Tochter, Monika Gisler, die heute 64 Jahre alt ist. Angefangen bei der Beerdigung ihres Vaters stösst sie nach und nach auf ihre Geschwister, die sie ein Leben lang nicht gekannt hatte. Ihre Mutter war von Ebnöther geschwängert worden, als er noch Vikar war. Die katholische Kirche vertuschte diesen Vorfall wie diejenigen zuvor und entzog Ebnöther erst dann das Priesteramt endgültig. Auf den eigentlichen Prozess wird im Film allerdings nicht genauer eingegangen. Nach seiner Entlassung kaufte Ebnöther ein kleines Hotel in den Bergen, wo er weitere Nachkommen in die Welt setzte.

Die Geschichten der Frauen und Kinder sind sehr unterschiedlich: Die einen waren seine Liebhaberinnen, eine wurde vergewaltigt. Geheiratet hat Ebnöther erst spät, als er schon Gastwirt und nicht mehr Pfarrer war. Eines haben sie jedoch alle gemeinsam: Die Mütter standen mit ihren Kindern grösstenteils allein da. Er erkannte seine Kinder erst an, als sie bereits erwachsen waren.

Obwohl die katholische Kirche in dieser Angelegenheit keine gute Figur macht, ist das Hauptziel des Films nicht, die Kirche zu kritisieren. Was diese Dokumentation besonders macht, ist wie ungehemmt und vulnerabel die Frauen und Kinder von ihren Erlebnissen erzählen und dabei ihre eigenen emotionalen Wunden nicht zu verbergen versuchen. Es geht nicht darum, den Zuschauer zu empören oder ihn mit Drama und Sensation zu fesseln. Vielmehr handelt es sich um authentische, ungeschmückte Erzählungen, wie sie heutzutage in den Kinos selten anzutreffen sind. In einer Welt, in der Viele nur die besten Seiten ihres Lebens präsentieren und sich hinter Filtern verstecken, sprechen diese Menschen ohne Scham über die Schattenseiten ihrer Innenwelt.

Der Schmerz der Betroffenen hat viele Ursachen. Da sind offensichtlich die Vergewaltigung, die vaterlosen Kindheiten oder die fehlende Liebe einer Mutter. Hinzu kommt, dass die Taten und Umstände von ihrem Umfeld und der Gesellschaft totgeschwiegen wurden, was eine Aufarbeitung – allem voran mit sich selbst – unmöglich machte. «Warum hat niemand gesprochen?» - «Ja, weil’s der Pfarrer war». Den Preis dafür, den Schein der Kirche und der Gesellschaft zu wahren, bezahlten die Betroffenen mit jahrelanger Unterdrückung ihres Schmerzes und der Verleugnung eines Teils ihrer Person. Genau dort setzt der Film an: Man kann das Erlebte nicht ungeschehen machen, die Wunden werden bleiben. Doch man kann das Schweigen überwinden und die Geschichte erzählen.

«Unser Vater» läuft ab dem 6. April im Kino.