Von Bücherverbrennungen bis zur Cancel Culture

Im Strauhof

Zora Hebeisen (Text und Bild)
2. April 2023

Seit der Erfindung des Buchdrucks bestreiten Autor*innen die Gratwanderung zwischen Kunstfreiheit und Zensur. Der Strauhof zeigt mit der Ausstellung «Satanische Verse & verbotene Bücher», welches Ausmass die Bücherzensur in der Vergangenheit angenommen hat und wie aktuell das Phänomen immer noch ist.

Mit einem Gestell und einer Schiebe-Installation zeigt der Strauhof die Hintergründe von zahlreichen Klassikern, die zensiert wurden. Ein Zensurgrund, der aus heutiger Sicht befremdend erscheint, ist «Glorifizierung von Ehebruch». Auch Werke wie «1001 Nacht» blieben nicht verschont. Der Grund: «Hedonismus».

1988 veröffentlichte der britisch-indische Autor Salman Rushdie die namensgebenden «Satanischen Verse». Nur ein Jahr später rief der damalige iranische Revolutionsführer wegen Gotteslästerung zu seiner Tötung auf. Im Strauhof wird gezeigt, welche Folgen dies für Rushdie und sein Umfeld hatte.  Nach einem Messerangriff im Herbst 2022 kam er nur knapp mit dem Leben davon und erblindete auf seinem linken Auge. Auch seine Übersetzer*innen wurden Opfer von Attentaten, verübt von religiösen Fanatiker*innen. Der japanische Übersetzer des Werkes wurde vor 20 Jahren erstochen. 

Was bringen gewaltsame Zensurversuche und Verbote? Stalin erliess Unmengen an Bücherverboten, doch sowjetische Studis lernten diese im Ausland auswendig und überlieferten sie so nach Hause. Ausgestellte Originalbriefe von DDR-Autor*innen werfen die Frage auf, ob verbotene Texte nicht schlicht verlockender sind. Zensur kann wie Werbung wirken. Wäre Mein Kampf 2016 nochmal zum Bestseller geworden, wenn es schon vorher hätte erscheinen dürfen?

Die Ausstellung im Strauhof befasst sich mit den Zensurgesetzen verschiedener Staaten. Während in der Schweiz Bücher hauptsächlich wegen Persönlichkeitsverletzungen oder Ideenraub aus dem Verkehr gezogen werden, verbietet Deutschland Literatur mit Anleitungen zu Straftaten. In China unterliegt die Presse direkt den Aufsichtsbehörden und die heutige Regierung Irans bestätigt das religiöse Todesurteil von Rushdie. In den USA hetzt man neuerdings gegen Kinderbücher. Diese liegen im Strauhof in einem symbolischen Feuer, umgeben von ihren Zensurgründen.

Texte verschwinden lassen zu wollen scheint eigentlich vor allem im Hinblick auf das Internet nicht sinnvoll. Wer will, der findet die Texte. Doch nun soll das Web eine neue Art von «Zensur» hervorgebracht haben: die Cancel Culture. Diese wird im Strauhof mit einem Audio-Raum thematisiert, in dem man verschiedene Stimmen von nicht immer identifizierten Personen hört. Das Besondere an der neuen Zensur: Die Stimmen, die andere zum Verstummen bringen wollen, kommen diesmal von einer breiten Masse, nicht von einer Obrigkeit. Eine Daseinsberechtigung? Immerhin scheint das Canceln sich näher an einem Boykott, als an einem Verbot zu bewegen.

Eindrückliche Interviews mit exilierten Autor*innen schliessen die Ausstellung ab. Es wird deutlich: Das Problem ist noch nicht behoben. Ob Diktatoren, der Vatikan oder Schulbehörden: Sie alle hatten schon Angst vor Büchern und dem Ausdruck von Wissen, das sie vermitteln. Schliesslich soll es nicht in die falschen Hände geraten. Doch ein Besuch der Ausstellung Satanische Verse & verbotene Bücher im Strauhof will zeigen: Verbote haben kaum Wirkung. Wer will, kommt immer an «gefährliches» Wissen.