Fotografieren gegen digitale Schnelllebigkeit
Kollektiv — Ein zärtlicher Prozess – einen der zahlreichen Filmtypen wählen, einlegen, ziehen, platzieren, einhaken, Rückwand schliessen, Hebel spannen mit freier Hand, abdrücken! Es stehen 36 Bilder zur Verfügung, eine ungewohnte Limitation in einer unlimitierten Welt. So steht man ihr mit geladener Kamera gegenüber, beim Gedanken an die noch unverwirklichten Bilder kribbelt es im Bauch.
Zwischen dem Einlegen des Films und dem Erhalten der entwickelten Resultate vergehen Wochen, gar Monate, sodass man in der Zwischenzeit die eingefangenen Momente völlig vergessen hat. Wegen der kindlichen Vorfreude vor dem Unbekannten ähnelt das Entgegennehmen dann der Weihnacht. Der ganze Prozess erfordert Geduld, Zeit und angesichts des Materialbedarfs etwas Geld. Trotzdem erlebt die analoge Fotografie in den letzten Jahren eine regelrechte Auferstehung.
Auch in Zürich scheinen mehr Menschen mit Analogkameras unterwegs zu sein, sei es mit Ein- oder Mehrwegapparaten. Was hat es damit auf sich? Um der Sache näher zu kommen, helfen die zwei Zürcher Roman Boller und Denis Dürst mit ihren Einsichten nach. Zusammen haben sie das «Fotokollektiv Zürich» gegründet und versinnbildlichen mit ihrer Ausstellung den Aufschwung.
Inmitten des Stadtquartiers Wipkingen stellen sie zum ersten Mal als Kollektiv ihre analoge Fotografie aus, bei dem rund zwanzig eingerahmte Bilder an den Wänden hängen. Zu Besuch: ihre Freund*innen, neugierige Passant*innen und Anhänger*innen der analogen Fotografie. Es herrscht eine gesellige Stimmung am Event, bei dem es anscheinend weniger um die einzelnen Fotografien und mehr um den Austausch unter Besucher*innen geht, die sich passioniert diesem wiederentdeckten Medium bedienen.
Roman und Denis haben vor eineinhalb Jahren das Kollektiv auf die Beine gestellt, ohne sich dabei ernste Ziele gesetzt zu haben. In erster Linie wollten sie die Freude am Fotografieren teilen. Die einzigartige Farbwelt und der körnige «Look» der Fotos würden zum Hauptteil dieser Freude beitragen und hätten ihrer Meinung nach den grössten Anteil am Reiz und dem Aufschwung der analogen Fotografie. Eine weitere These für ihre Beliebtheit ist, dass sie als Gegentrend zur digitalen Schnelllebigkeit der heutigen Zeit fungiere, quasi als stiller Protest einer Generation.
Das Medium setze eine gewisse Mentalität voraus, die sich schon in vielen anderen Bereichen wie der Ernährung, dem Reisen oder dem Wohnen etabliert habe. «Wenn man das Fotografieren bewusster machen will, ist der Schritt fast zwingend, analog zu fotografieren», meint Roman. Auch bezüglich der Aussage, dass die Analogfotografie ein unnötig langer und teurer Prozess ist, sind sich beide Fotografen einig: «Man muss sich dafür interessieren, sonst macht es keinen Spass.»
Ob sich der Aufschwung der Analogfotografie als anhaltende Bewegung oder kurzlebiger Trend erweisen wird, ist schwer einzuschätzen. Wenn sie tatsächlich eine Reaktion auf die Digitalisierung darstellt, kann man jedoch erwarten: Je schneller die Entwicklung digitaler Technologien, desto grösser der Wert einer entschleunigenden, vorsintflutlichen analogen Fotografie.