Ivo Vasella in seinem Flipperraum: Er spielt selbst leidenschaftlich gerne. Am liebsten aber bringt er alte Automaten auf Vordermann.

Die 100 Flipperkästen des Ivo Vasella

Kulturreportage — In Altstetten ist eine einzigartige Sammlung von Spielautomaten zu Hause.

Lea Schubarth (Text) und Marco Galeazzi (Bilder)
1. April 2023

Die Visitenkarte des «Outlane» führt zu einem unscheinbaren Gebäude in Altstetten. Weder die graue Fassade noch die auf der Visitenkarte abgedruckte Bezeichnung «privates Flippermuseum» bereiten Besucher*innen darauf vor, was sich in seinen Kellerräumen verbirgt. Als ich durch die Tiefgarage und eine dicke, bunkerähnliche Tür trete, wähne ich mich in einem alten Casino in Las Vegas. Ringsum flimmern die Lichter, Bälle klackern, Menschen lachen und ein grelles Schild mit der Aufschrift «BAR» weist den Weg zur Theke. Trotzdem ist das grandiose Inventar nicht der Star der Show: Hauptattraktion sind Dutzende Spielautomaten. Denn in diesem Raum ist eine der kurioseren Sammlungen Zürichs untergebracht – Ivo Vasellas Flipperkästen.

«Stundenlanger stumpfsinniger Zeitvertrieb»

Im letzten Jahrhundert waren Flipperkästen in Zürich eine gängige Erscheinung. Zahlreiche Spielhallen dienten als soziale Treffpunkte: Zwischen Flippern, Tischfussball und Arcade Automaten tummelte sich die Zürcher Jugend. Vor allem junge Männer verbrachten ihre Freizeit gerne in solchen Salons. Der Tenor auf konservativer Seite, besonders in den Nachkriegsjahren, erinnert an heutige Diskussionen über Videospiele. Flippern sei «stundenlanger stumpfsinniger Zeitvertrieb» und stelle eine «Gefährdung der öffentlichen Moral» dar. 1970, rund dreissig Jahre nach der weitgehenden Verbreitung der Spielhallen in der Schweiz, zog die NZZ die Bilanz: Sämtliche Befürchtungen seien masslos übertrieben gewesen und von den 13 existierenden Spielhallen gehe keinerlei Gefahr aus.

So war es denn auch nicht die befürchtete Verwahrlosung der Jugend, die den Flippern zum Verhängnis wurde, sondern ihre Zeitgenossen: die Geldspielautomaten. Diese waren nämlich seit ihrer Einführung noch viel kontroverser als die reinen Unterhaltungsspielautomaten. Sie fügten ein weiteres Risiko zum Spielen hinzu: die Aussicht auf Geldgewinn. Mit der Zeit stiegen die Geldeinsätze in den Spielhallen und damit der Unmut in der Stimmbevölkerung. 1995 wurden Geldspielautomaten in Zürich per Volksentscheid sogar komplett verboten.

Dies wirkte sich direkt auf den Bestand an Flipperautomaten aus. Denn Spielhallen betrieben meist beides, Unterhaltungsautomaten und Geldspielautomaten. Der grösste Teil des Umsatzes wurde mit den Geldspielautomaten erzielt. Es fand also eine Art Quersubventionierung statt. Dank des mit Geldspielautomaten erzielten Profits konnten Salons es sich auch leisten, Flipperkästen und Tischfussball bereitzustellen. Dies schützte die Salons wiederum vor dem Vorwurf, Menschen zur Casino-Spielsucht zu verleiten: Sie sahen sich nicht als reine Casinos. Mit den Profiten aus den Geldspielautomaten  gingen auch die Flipper zurück. 2014 wurde die letzte Stadtzürcher Spielhalle, die nur Unterhaltungsspielautomaten betrieb, geschlossen.

Ein teures Hobby

Die Faszination Flipperkasten begleitet Ivo Vasella schon lange. Bereits während seiner Jugend verbrachten er und seine Freunde viel Zeit in den Spielsalons, um zu plaudern, rumzuhängen und die neusten Flipperautomaten auszuprobieren. In seiner Studienzeit beginnt der angehende Architekt, selbst Flipper zu sammeln. Doch das Hobby ist teuer: Sogar gebrauchte Flipperkästen kosten oft mehrere tausend Franken. Also überlegte er sich einen Kniff: «Ich kaufe mir zum Beispiel zwei kaputte Automaten für je 500 Franken und repariere beide. Dann kann ich einen für einen Tausender verkaufen, und es bleibt praktisch ein gratis Flipperkasten übrig.»

Vasella brachte sich selbst genug technisches Wissen bei, um sie reparieren zu können. Auf diese Weise gabelte er mehr und mehr Flipperkästen auf. Die ersten Exemplare brachte er bei sich zu Hause oder in WGs von Freund*innen unter. Diese Zwischenlösung reichte irgendwann nicht mehr aus. Also mietete er einen Kellerraum in Altstetten, der ihm von dort an hauptsächlich zur Aufbewahrung und als Werkstatt diente. Heute umfasst seine Sammlung rund hundert Flipper.

Wie in Las Vegas: Ein grelles BAR-Schild empfängt die Besucher*innen im Privatmuseum.

Flipperclubs verschwinden

Die umfangreiche Kollektion sollte aber nicht bloss herumstehen. 1998 eröffnete Vasella darum das Vereinslokal «Outlane». Dort trafen sich die Mitglieder, um fleissig zu flippern. Der Ort diente als Bar und Diner sowie als Kulisse für zahlreiche Musikvideos. Mehr als zwanzig Jahre nach seiner Eröffnung wurden dem «Outlane» die Coronapandemie und ein befristetes Mietverhältnis zum Verhängnis. Nach zwei Jahren ohne Anlässe konnte Vasella das Projekt nicht mehr finanzieren. Er zügelte seine Sammlung  zurück in seine Werkstatt und wandelte sie in jenes private Museum um, in dem ich heute stehe.

Zutritt zu diesem Raum haben ausgewählte Freund*innen Vasellas, für Bekannte veranstaltet er an jeweils einem Tag im Monat einen Spielabend. Vasella bedauert, dass der Raum nicht bedingungslos zugänglich ist. Er muss gemietet oder im Rahmen eines öffentlichen Anlasses besucht werden. Möchte man anderweitig mit Teilen aus seiner Kollektion spielen, müssen leidenschaftliche Flipperfans nach Killwangen ausweichen. Der «Silverball Flipperclub», einer der letzten aktiven im Kanton Zürich, beherbergt rund die Hälfte von Vasellas Flippern. Dort kann gegen eine einmalige Gebühr oder mit einer Jahresmitgliedschaft geflippert werden.

Das sei zwar schön, sagt Vasella, doch er träume weiterhin von einem öffentlichen Flippermuseum, in dem der historische und kulturelle Wert seiner Sammlung zur Geltung kommen könnte. Dafür hat er bereits viel Unterstützung gefunden, unter anderem von Bekannten sowie Automatensammler*innen und händler*innen. Es fehlen aber noch geeignete Räumlichkeiten und Sponsor*innen, die einmalig 150’000 Franken aufbringen. Jährlich würde das Museum etwa 100’000 Franken kosten.

Das farbige und auffällige Design der Flipper sticht mir sofort ins Auge. Es ist nicht nur eindrucksvoll, sondern macht die Spielautomaten zu exzellenten Zeitzeugen der Popkultur der letzten Jahrzehnte. Um ein möglichst breites Publikum anzuziehen, wurden meistens Blockbuster oder Fernsehserien in leicht überspitzter Weise auf den Flippern abgebildet. Flipper von heute stellen Charaktere oder Szenen aus Serien wie etwa «The Walking Dead» oder «Game Of Thrones» dar. Auf manchen sind politische Botschaften zu sehen, beispielsweise eine Comicfigur, die ein Shirt mit dem Aufdruck «Say No To Drugs» trägt. Es imitiert die amerikanische Anti-Drogen-Kampagne «Just Say No» aus den 1980er-Jahren.

Monroe, Gorbatschow und Dracula

Auch auf gesellschaftliche Überzeugungen weist das Design hin: Da das Zielpublikum hauptsächlich aus jungen Männern bestand, arbeitete die ästhetische Gestaltung mit Stereotypen, die diese ansprechen sollten. Zum Beispiel Frauen mit enormer Oberweite oder muskelbepackte Machohelden. Sogar zeitgenössische Flipper spielen weiter mit diesen Bildern. Ein Automat, der die Filmreihe «Avengers» zeigt, inszeniert zwar einzelne Frauen als starke Hauptdarstellerinnen – doch diese sind immer noch knapp bekleidet und hypersexualisiert.

Oft ist das Design aber auch witzig, wie auf dem Flipper «Taxi». In diesem Spiel muss ein Taxifahrer fünf Personen herumkutschieren. Die ausgewählten fünf Personen sind eine reichlich absurde Kombination: Marilyn Monroe, Michail Gorbatschow, Dracula, der Weihnachtsmann und Pin-Bot, der selbst ein Flipperkasten ist. Schwierigkeiten mit Lizenzen und Urheberrechten führten zudem oft zu semi-originellen Designs. Der Flipper «Beat Time» stellt eine bekannte Band aus den 1960er-Jahren dar. Weil diese jedoch nicht auf dem Kasten zu sehen sein wollte, wurde ihnen prompt ein neuer Name verpasst: «The Bootles».