Studierende verzweifeln bei der Wohnungssuche
Die Leerwohnungsziffer der Stadt Zürich liegt bei 0,07 Prozent, die Warteliste beim Juwo wird immer länger. Einige Studis müssen vorübergehend ins Hotel ziehen.
Leben in einer WG: Man ist selbstständig, mobil, die günstige Unterkunft ist vielleicht schon etwas verlottert, aber alles ist unkompliziert. So einfach ist es meistens nicht. Wer derzeit eine Wohnung sucht, braucht viel Geduld und Glück. Hohe Mieten, hunderte von Absagen und lange Wartelisten treiben Studierende in die Verzweiflung. Besonders in der Studierendenstadt Zürich herrscht eine Wohnungsnot, welche die Politik und Wohnungssuchende vor grosse Schwierigkeiten stellt.
Wie mühsam die Wohnungssuche als Studi sein kann, weiss Tim* nur allzu gut. Der ETH-Student ist für seinen Bachelor von Hamburg nach Zürich gezogen und musste monatelang nach einem WG-Zimmer suchen. «Nach etwa vierzig Bewerbungen habe ich fast nur Absagen bekommen, oft wurde ich gar nicht erst an Besichtigungen eingeladen», erzählt er. Anfangs hatte er noch Glück und konnte bei einer Bekannten wohnen, doch als er zu Semesterbeginn immer noch keine Unterkunft hatte, zog er in ein Hotel etwas ausserhalb der Stadt. Dort lebte Tim für zwei Monate. «Ich hatte keine Wahl», erzählt er, «ich war nicht einmal der einzige Student dort.»
Dreimal so viele Studis wie vor 30 Jahren
Es gibt drei Hauptgründe für die Wohnungsknappheit in der Schweiz: Mehr Einwanderung, mehr Leute, die alleine wohnen sowie eine stetige Abnahme an Neubauten. Die Zahl der Baubewilligungen nahm zwischen 2016 und 2022 etwa um 25 Prozent ab, was unter anderem mit dem neuen Raumplanungsgesetz, dem Heimat- und Lärmschutz sowie aufwändig gestalteten Prozessen zusammenhängt. Zugleich steigt die Zahl der Einsprachen von Privaten.
Bezüglich Wohnungsknappheit belegt Zürich in der Schweiz einen Spitzenplatz: Die Anzahl an freien Wohnungen sank im Vergleich zum Vorjahr um mehr als die Hälfte, die Leerwohnungsziffer liegt bei 0,07 Prozent. Das Wohnungsangebot ist damit so tief wie zuletzt im Jahr 2011. Dennoch geht der Mangel an Wohnraum in Zürich Jahrzehnte zurück: Schon Anfang der 1980er-Jahre litten junge Leute unter dem knappen Wohnungsangebot. Die Notlage gipfelte damals in Protesten und Hausbesetzungen. «Natürlich waren das noch andere Zeiten, aber bezüglich der Wohnungsnotlage gibt es doch Parallelen zu heute», sagt Patrik Suter, Geschäftsführer vom Jugendwohnnetz (Juwo). Die gemeinnützige Zürcher Organisation wurde vor 40 Jahren als Antwort auf die Jugendproteste gegründet und bietet günstige Wohnungen für junge Menschen in Ausbildung an.
In den letzten Jahren sei die Anzahl der Studierenden stark angestiegen, erklärt Christina Stücheli, Sprecherin des Zürcher Stadtrats. In der Schweiz habe sich die Zahl in den letzten 30 Jahren mehr als verdreifacht, was sich auf die Nachfrage nach günstigem Wohnraum auswirke. Diese zeigt sich auch beim Juwo, wo laut Suter neben den rund 3’500 Personen, die bereits in Juwo-Wohnungen leben, weitere 2’000 auf der Warteliste stünden, was eher hoch ist.
Nach dem Studium bleibt es schwierig
Doch nicht nur für Studierende, sondern auch für junge Leute im Berufseinstieg gestaltet sich die Wohnungssuche schwer: «Ausserhalb gemeinnütziger Organisationen wie dem Juwo eine Wohnung zu finden, ist nicht einfach», sagt der 26-jährige Alex*. Nach seinem Masterabschluss im Ausland hat er in Zürich ein Praktikum angetreten. Mit seinem Lohn verdient Alex mehr als das vom Juwo festgelegte Höchsteinkommen von 30’000 Franken im Jahr. «Aber natürlich reicht das nicht, um mir jedes beliebige WG-Zimmer leisten zu können», sagt er.
«Ich denke generell, dass man günstigen Wohnraum in Zürich am ehesten über Bekannte findet», meint er. Bis er ein passendes WG-Zimmer gefunden hat, wohnt Alex nun wieder bei seinen Eltern in Winterthur. Auch Tim fand schliesslich über Freund*innen einen Platz in der «Student Village» der ETH, ein Projekt, das studentisches Wohnen fördert und Studios und WGs zu bezahlbaren Preisen vermietet.
«Trotz vieler Anstrengungen ist es weiterhin eine grosse Herausforderung, den Anteil an gemeinnützigen Wohnungen halten oder ausbauen zu können», sagt Stücheli. Um Mietzinserhöhungen zu umgehen, würden städtische Wohnungen dauerhaft dem Markt entzogen. Ausserdem betreibe die Stadt für verschiedene Bevölkerungsgruppen Stiftungen mit bezahlbaren Wohnungen – etwa für Senior*innen oder kinderreiche Familien. «Wir arbeiten auch mit Organisa-tionen wie dem Juwo eng zusammen und fördern Zwischennutzungen von leerstehenden Gebäuden», betont Stücheli. Trotzdem bleibe die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum weit höher als das Angebot, sodass die Mieten «automatisch» ansteigen könnten, denn «generelle Eingriffe in die Mietpreispolitik sind auf kommunaler Ebene nicht möglich», so die Sprecherin des Stadtrats.
Auch beim Juwo wirkt sich das aus: Der Grossteil der insgesamt 1’500 Wohnungen ist angemietet. Erhöhen die Eigentümer*innen die Mieten, werden auch Juwo-Wohnungen teurer, und im Moment sieht es ganz danach aus: «Ich erwarte, dass die Mieten beim Juwo in den nächsten zwei Jahren um bestimmt zehn Prozent steigen werden, je nach Energiekosten vielleicht auch um mehr», verkündet Suter.
Juwo expandiert in die Agglomeration
Grund für das knappe Wohnungsangebot sieht er auch bei den Mieter*innen: «Seit 1960 ist der Flächenverbrauch pro Person um 50 Prozent gestiegen. Das ist auch eine Ursache der jetzigen Notsituation.» In Juwo-Wohnungen werde daher grundsätzlich jedes abschliessbare Zimmer belegt, um den Platz maximal zu nutzen.
Die jungen Mieter*innen erlebe Suter in diesem Zusammenhang als sehr anpassungsfähig. Auch Tim sagt von sich selbst, er habe keine grossen Ansprüche an eine WG: «Ich brauche kein besonders grosses Zimmer, das Wichtigste ist für mich eine zentrale Lage.» Auch für Alex ist die Lage entscheidend. Diese Haltung sieht Suter allerdings kritisch. Wohnungen in Dübendorf oder Dietikon seien weniger gefragt, erzählt er, «aber das Juwo wird in Zukunft in die Agglomeration expandieren müssen, da im Zentrum schlicht kein Platz mehr ist».
Es gibt viele Gründe für den aktuellen Mangel an bezahlbaren Wohnungen in Zürich. Alex findet, die Wohnungspolitik müsse sich grundlegend verändern: «Ich finde es absurd, dass aus dem Grundbedürfnis nach Wohnen so viel Profit gemacht wird», sagt er. In der Politik ist man sich einig, dass ein Wohnungsproblem besteht, doch bei den Lösungsansätzen bleiben viele offene Fragen. Fest steht: Wenn sich die Wohnungsknappheit weiterhin so zuspitzt, könnte es bald noch enger werden.
*Namen von der Redaktion geändert