Robert Toller (l.) mit Fröntler Rolf Henne an einem 1.-Mai-Umzug. Schweizerisches Sozialarchiv

Sie wollten die Demokratie abschaffen

In den 1930er-Jahren wurde die ZS zum Kampfblatt der Zürcher Faschisten.

31. März 2023

Es ist mit Abstand das dunkelste Kapitel in der hundertjährigen Geschichte dieser Zeitung. Umso wichtiger ist es, ein Licht darauf zu werfen: Zu Beginn der 1930er-Jahre war der «Zürcher Student», der Vorgänger der «Zürcher Studierendenzeitung», durchzogen von nationalistischem Gedankengut.

Texte über das völkische Leben, die «Judenfrage» oder die Abschaffung der Demokratie wurden gedruckt, Wörter wie «Volk», «Rasse» und «Nation» waren omnipräsent. Mit dem italienischen Faschismus wurde geliebäugelt, Ideen des deutschen Nationalsozialismus lobgepriesen. Verantwortlich dafür waren vor allem die zwei Redaktoren Hans Vonwyl und Robert Tobler. Sie haben nicht nur darüber entschieden, was im «Zürcher Student» erschien, sondern politisierten auch am rechten Rand. Von 1929 bis 1933 färbten sie das Blatt mit ihrer radikalen Gesinnung.

Die Uni als Hort des Zürcher Faschismus

Die Verschiebung der politischen Ausrichtung der Zeitung kam nicht von ungefähr. Die Weltwirtschaftskrise wirkte sich Ende  der 1920er-Jahre auch auf die Schweiz aus, die Arbeitslosigkeit schoss in die Höhe. Gleichzeitig installierten sich in den Nachbarländern neue Diktaturen, die an der Stabilität der Schweiz rüttelten. Diese Unsicherheit zeigte sich auch im «Zürcher Student»: Oft war von Revolution die Rede und von politischer Erneuerung, grosse Systemfragen wurden diskutiert. «Wir bedürfen nicht eine Serie von Reförmchen, sondern eine geistige Revolution», heisst es in einem Text von 1930, der unter der Ägide von Hans Vonwyl erschien. Im selben Jahr gründete Vonwyl die frontistische Bewegung «Nationale Front», die sich mit ihrer völkischen Ideologie mit der Zeit zur stärksten rechtsradikalen Partei in der Schweiz entwickelte. 1931 wurde er als «Schriftleiter» von Robert Tobler abgelöst, der die faschistische «Neue Front» ins Leben rief. Wie auch Vonwyl wurde er vom grossen Studentenrat in die Position berufen, weswegen anzunehmen ist, dass auch dort Sympathisant*innen der Frontenbewegung sassen.

Vonwyl und Tobler haben die Zeitung stark für ihre Zwecke instrumentalisiert, kostenlos konnten sie ihre politische Gesinnung unter den Akademiker*innen verbreiten. Texte, die deutlich von ihrer Meinung abwichen, veröffentlichten sie nur selten und wenn, dann blieben diese nicht unkommentiert. So druckten sie zum Beispiel die Forderungen von marxistischen Studierenden, machten sich aber auch lustig darüber und ermutigten die Leser*innen, in der nächsten Ausgabe zahlreich dazu Stellung zu nehmen.

Offen antisemitisch und antidemokratisch

Der Elitarismus verschärfte sich mit der Zeit, der Ruf nach einem starken Führer wurde wiederholt geäussert. Es waren Lobreden auf Mussolini und positive Anspielungen auf Hitler zu lesen: «Dass sich aber die Schweiz wirklich erneuere, bedarf es eines Mannes, der ein Künstler, erfüllt von Treue, gegenüber alter eidgenössischer Tradition, aber auch voll Strenge gegen sich und das Volk, die Macht ergreift und tut, was nötig ist», schrieb P. Herzog 1931. Der Staat sei ein «Unstaat», da er zu schwächlich sei, «Volksverseucher aus unserem Vaterland hinauszufegen». Auch Antisemitismus wurde offen vertreten. Vom «alles zurückdrängenden Internationalismus des Judentums» ist in einem Text die Rede, in einem anderen geht es um die «Judenfrage», die eine Frage «an den Juden» sei: «Willst du zu uns gehören oder ein Fremdling bleiben?»

Und auch die Demokratie attackierte man gezielt. Ernst Wolfer fragte sich in einem Artikel, ob die Staatsform ins Museum gehöre. Die meisten stimmberechtigten Bürger seien «intellektuell unter dem Durchschnitt begabt» und deswegen «unwürdig» zu wählen. Wolfer plädierte für eine Reform der Staatsform, was an Hitler erinnert, der von sich sagte, er sei kein Diktator, er habe die Demokratie nur vereinfacht. Texte in dieser Art waren im «Zürcher Student» bis 1933 zu lesen, dann gab Robert Tobler die Leitung aufgrund seiner politischen Tätigkeit ab. Im gleichen Jahr verschmolz nämlich die «Neue Front» mit der «Nationalen Front» zu einer Partei, Tobler wurde Gemeinderat, Kantonsrat und dann der erste und einzige frontistische Nationalrat, bis sich die Partei 1940 auflöste. Unter Max Eisenring, dem Nachfolger Toblers, mässigte sich die politische Ausrichtung des «Zürcher Student» glücklicherweise wieder. Die braunen Spuren der Zeitung sind heute nur noch Geschichte. Eine Geschichte, die nicht vergessen werden darf.

Übrigens: Im Sumpf der rechtsradikalen Artikel wurden im «Zürcher Student» die Texte von zwei Namen abgedruckt, die heute jeder kennt: Max Frisch und Annemarie Schwarzenbach. «Was bin ich?» hiess der Titel von Frischs Essay, der vom Studienabbruch handelt. Schwarzenbach schrieb «Ein Lob der Freiheit» – ein Text über Humanität und Toleranz.

Folge 2: 100 Jahre ZS

In sechs Folgen erzählen wir 100 Jahre ZS-Geschichte.