«Hauptsache, wir werden nicht apolitisch»
Dieses Jahr feiert der VSUZH sein zehnjähriges Bestehen. Wie es zu seiner späten Gründung kam und womit er heute zu kämpfen hat.
Den VSUZH assoziieren wohl die meisten mit einem freiwilligen Haken bei der Einschreibung und Goodie-Bags am Erstitag. Vielleicht erkennt man sein Logo auch auf Partyflyern oder wundert sich alle zwei Jahre über den Aufruf, seine Ratsmitglieder zu wählen. Doch lange war eine Studierendenvertretung alles andere als selbstverständlich: Vor seiner Gründung 2013 geht der Kampf um das studentische Sprachrohr an der Uni Zürich nämlich um ein Jahrhundert zurück.
Erst 1919 entstand an der 1833 gegründeten Uni Zürich eine umfassende Form der Studierendenvertretung. Nachdem sich Studierende dafür stark gemacht hatten, bewilligte der kantonale Erziehungsrat die sogenannte «verfasste» – also öffentlich-rechtliche – Studentenschaft der Universität Zürich (SUZ). Diese profitierte von verpflichtenden Mitgliederbeiträgen aller Immatrikulierten und konnte so Angebote wie etwa Stipendien, Studiläden, die ZS und eine Wohnungsvermittlungsplattform aufbauen. Zudem wurde ihr in Verhandlungen mit der Unileitung hochschulpolitische Macht anerkannt, da sie formell alle Studierenden vertrat.
Erziehungsdirektor löste Studiverband auf
Bereits 1977 wurde die SUZ jedoch für illegal erklärt und aufgelöst: Zwei Studenten hatten Rekurs eingelegt, weil sie die Studentenschaft politisch als zu links empfanden. Dies kam dem damaligen bürgerlichen Erziehungsdirektor Alfred Gilgen zugute, der sich seit Jahren gegen die SUZ eingesetzt hatte. Tatsächlich war die Studentenschaft in ihrer letzten Dekade massgeblich durch die 68er-Bewegung dominiert. 1971 organisierte sie etwa die «Antikapitalistische und antifaschistische Aktionswoche»; der Lichthof wurde mit Fahnen geschmückt, von denen Hammer und Sichel, Marx und Engels grüssten. Das ging Gilgen zu weit, weshalb er die Uni für die ganze Woche schliessen liess. Zudem entzog er der SUZ das «allgemeinpolitische Mandat», also das Recht, sich zu allgemeinpolitischen Themen zu äussern.
Die SUZ bezog jedoch weiterhin Stellung, etwa 1975 zum Vietnamkrieg. Im Jahr des Rekurses erhielt Gilgen die Mehrheit im Kantonsrat und erklärte, der SUZ fehle die rechtliche Grundlage für ihre Beitragspflicht. Der Erziehungsdirektor blieb bis 1995 im Amt und verhinderte alle Vorhaben für eine Nachfolge der Studentenschaft. Wie er 1986 im Kantonsrat sagte, wolle er «noch vom Himmel aus dafür sorgen», dass keine Pflichtbeiträge mehr möglich seien.
Damit verloren die Studierenden der Uni Zürich für knapp 30 Jahre ihre Stimme. Der 1995 gegründete Studierendenrat (StuRa) sprang 2005 in die Bresche und übernahm offiziell die politische Vertretung der Studierendenschaft. Jedoch war er weder eine Rechtspersönlichkeit, noch finanziell unabhängig von der Uni. Daher pochte der Rat weiterhin auf eine unabhängige Studierendenvertretung inklusive Austrittsrecht und bildungspolitischem Mandat. Dafür mit freiwilliger Mitgliedschaft der Studierenden, eigenständig agierenden Fachvereinen aber ohne allgemeinpolitische Rechte. Dieses Ziel wurde am 29. August 2011 erreicht: Der Zürcher Kantonsrat stimmte mit 99 zu 72 Stimmen für die Wiedereinrichtung einer «öffentlich-rechtlichen Körperschaft» der Studierenden. Und so entstand der VSUZH, der bis heute diese Funktion innehat.
Finanzielle Unabhängigkeit als höchstes Gut
Am 28. Mai 2013 war es so weit: Dem langjährigen Verbandsmaskottchen, dem Löwen, wurde mit der konstituierenden Sitzung des ersten gewählten Rates Leben eingehaucht. In diesem Semester zählte der VSUZH bereits 11’102 Mitglieder, also knapp die Hälfte der Studierenden. Heute kostet die Mitgliedschaft zwei Franken mehr, also 14 Franken, und es zahlen jeweils zwischen 10’000 bis 15’000 Studierende pro Semester den Betrag ein.
Im Jahr 2013 zeigte sich Gründungsmitglied Hernani Marques gegenüber der ZS «enttäuscht» von der Mitgliederquote. Der VSUZH-Projektleiter Konrad Albrecht hoffte derweil, dass bis 2015 rund 80 Prozent der Studierenden die Beiträge zahlen würden. Auch wenn dies bis heute nicht der Fall ist, verfügt der VSUZH mit den relativ stabil bleibenden Einzahlungen über ein Budget von bis zu 210’000 Franken. Hinzu kommt teilweise der Gewinn grosser Veranstaltungen. Das erlaubt der Studivertretung, unabhängig von Uni und Dritten zu agieren.
Der 70-köpfige VSUZH-Rat ist die Legislative der Studierendenvertretung. Er wählt den Vorstand und die Kommissionen, die dann als Exekutivorgane agieren. Den Rat wählen dürfen alle Studierenden, gewählt werden hingegen nur Mitglieder des VSUZH, also diejenigen, die die Mitgliederbeiträge von 14 Franken bei der Einschreibung zahlen. Die Fraktionen im Rat bestehen etwa aus aus Standort-Vertreter*innen, Fachvereinen sowie aus politischen Fraktionen. Eine Legislaturperiode dauert zwei Jahre.
Nach der ersten Wahl des Rates kündigte Projektleiter Albrecht an: «Der StuRa wurde an gewissen Stellen nicht ernst genommen. Jetzt werden sich alle damit anfreunden müssen, dass wir vermehrt miteinbezogen werden wollen.» Währenddessen klagte Marques damals über ein «allgemeines Desinteresse an unipolitischen Themen» unter Studierenden. Daher solle die Körperschaft Haltung einnehmen: «Hauptsache, wir werden nicht so apolitisch wie der VSETH», plädierte er.
Dem Rat fehlt die Disziplin
Auch heute ist laut Co-Präsidentin Laura Galli teilweise ein gewisses Desinteresse gegenüber Hochschulpolitik spürbar: «Für viele ist der Hauptjob das Studium, gerade wenn man es innerhalb der Regelzeit abschliessen will. Für freiwilliges Engagement bleibt da wenig Zeit.» Es gebe aber diverse Formen, sich einzubringen, etwa Streiks oder Kollektive wie das Studierendenplenum. «Ich würde generell nicht von Desinteresse sprechen, eher von anderen Interessen.» Der VSUZH versuche, das Beste aus den existierenden Strukturen zu machen. «Immerhin sind wir in allen wichtigen Gremien vertreten.»
Ab und zu sorgte der Verband in seiner Geschichte jedoch auch für Stirnrunzeln, beispielsweise mit der auffällig hohen Absenzenliste bei Ratssitzungen: «Die VSUZH-Ratsmitglieder schwänzen gerne Ratssitzungen – am liebsten unentschuldigt. Ein paar tauchen seit der Wahl schon gar nicht mehr auf», schrieb die ZS 2015.
Während der ersten fünf Sitzungen der Legislatur nahm das Problem zu, bis im Dezember 2015 jedes fünfte Mitglied unentschuldigt und insgesamt ein Drittel der Gewählten dem Rat fernblieb. Dies ist insofern problematisch, als die Ratsmitglieder demokratisch gewählt wurden, um die Interessen der Studierenden zu vertreten. Dazu verlieren die Fraktionen so an Stimmkraft.
Der VSUZH ist in der Holschuld
Laut Galli nimmt noch heute die Teilnahmedisziplin im Rat gegen Ende der Legislaturen ab, was die Beschlussfähigkeit gefährdet. Als grosses Sammelbecken von freiwillig Engagierten sei der VSUZH-Rat aber wahrscheinlich nicht überproportional von Absenzen betroffen. Nun stehen im April die Wahlen für die neue Legislatur an. 2021 hatte lediglich jede*r siebte Studi abgestimmt.
Inhaltlich hat der VSUZH in den letzten Jahren, etwa mit seiner Beschwerde gegen die Disziplinarverordnung und einer Umfrage zur Onlinelehre, Wellen geschlagen. Weiter setzt er in Kommissionen Akzente bezüglich Chancengleichheit und Barrierefreiheit. Und er verfügt über die Möglichkeit, studentische Anliegen bis in die Sitzungszimmer der Unileitung zu tragen. Auch wenn er nicht in allen Kommissionen das gewünschte Mitspracherecht erhält: «Wir sind sehr oft in der Holschuld von Informationen. Das ist auf Dauer extrem anstrengend. Es wäre schön, so viel Macht zugesprochen zu bekommen, dass uns zentrale Informationen automatisch mitgeteilt werden», sagt Galli.
Trotz gewissen Baustellen wird mit Blick auf die Geschichte klar: Die Position des VSUZH wurde hart erkämpft. Dadurch kann er sich für die Anliegen von Studierenden einsetzen – und versuchen, die Uni aktiv mitzugestalten.