Durch die Nicht-Assoziierung bei Horizon verlieren Schweizer Unis an Einfluss darauf, in welche Richtung sich gesamte Forschungsfelder bewegen.

Schweizer Hochschulen ringen um den Anschluss an Europa

Hochschulpolitik — Die Folgen des Ausschlusses bei EU-Programmen sind für Studis und Forschende in der Schweiz gravierend. Während die Politik stagniert, versuchen sich die Unis selbst zu helfen – doch ihre Möglichkeiten sind begrenzt.

Leonie Traber (Text) und Anna Niederer (Illustration)
26. März 2023

Mitte März hat sich Aussenminister Ignazio Cassis mit dem für die Schweiz zuständigen EU-Kommissionsvertreter Maros Sefcovic getroffen. Erstmals seit langem wurde wieder ein Zeithorizont definiert, um die Verhandlungen zwischen der EU und der Schweiz abzuschliessen. Den Sommer 2024, nach den nationalen Wahlen in der Schweiz, sieht Sefcovic dafür als günstige Gelegenheit, weil dann die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen noch im Amt sein wird. Ob der Optimismus von Sefcovic die Schweiz dazu bewegen kann, Kompromisse einzugehen? Fakt ist, dass besonders die Schweizer Hochschulen seit der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative und spätestens seit dem Scheitern des Rahmenabkommens stark unter den angespannten Beziehungen der Schweiz zur EU leiden – trotz der Teilnahme an neuen europäischen Allianzen.

Statusverlust für den Forschungsstandort Schweiz

Die Folgen spüren Schweizer Hochschulen in der Forschung sowie in der Lehre. Besonders schmerzhaft sei, dass Projekte aus dem wichtigsten EU-Forschungsprogramm Horizon Europe von Schweizer Forschenden nicht mehr koordiniert würden. Dadurch würden sowohl die ETH als auch die Uni Zürich darauf Einflussnahme  verlieren, in welche Richtung sich gesamte Forschungsfelder bewegen. So ist etwa die Führungsrolle der ETH in der Erdbebenforschung und Klimamodellierung nach Spanien abgewandert. Für die ETH ist klar: «Je länger die Schweiz nicht voll an Horizon teilnehmen kann, desto schwerwiegender sind die Folgen für die Forschung, Lehre und Wirtschaft hierzulande». Zum selben Schluss kommt auch die Uni Zürich: «Wenn wir in diesem grössten Wettbewerb um Exzellenz nicht mitmachen können, wird uns langfristig die Innovation wegbrechen», so Mediensprecher Beat Müller. 

Zudem seien nach wie vor besonders junge Forschende, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen, gänzlich ausgeschlossen, so die Medienstelle der ETH. Durch die ersatzlose Streichung der Einzelförderungen, welche von Horizon für junge Talente in der Akademie zur Verfügung gestellt werden, überlegen sich solche Wissenschaftler*innen, anstelle der Schweiz ein anderes Land der EU oder einen assoziierten Drittstaat für ihre Projekte zu wählen. Ausserdem seien Forschende in der Schweiz besonders bei Themen ausgeschlossen, die als «strategisch relevant» eingestuft würden, schreibt die ETH weiter. Ein Beispiel ist die Quantenforschung, an der bisher ETH-Forschende am europäischen Quanten-Flaggschiffprojekt «Open-Super-Q» beteiligt waren. Für die nächste Phase des Projekts wurden keine Anträge von Forschenden aus der Schweiz mehr akzeptiert.

Uni sieht «gravierende Nachteile» für Studierende   

Die Mobilität der Studierenden hingegen sei von den eingefrorenen Beziehungen und dem Wegfall vom Erasmus-Programm zwischen der Schweiz und der EU weniger stark betroffen, findet die Medienstelle der ETH. «Durch das Swiss-European Mobility Programme (SEMP) können Austausche weiterhin angeboten werden. Allerdings hinkt dieses Programm bei neu entwickelten Mobilitätsformen wie Kurzaufenthalten oder hybriden Austauschen hinterher.» Die Uni Zürich widerspricht. Laut Müller zieht der Ausschluss aus Erasmus Plus «gravierende Nachteile» für die Studierenden nach sich. Das SEMP sei ungenügend. Nicht nur das bedeutend kleinere Budget sei ein Problem, sondern auch die fehlende Digitalisierung, die innerhalb von Erasmus immer zentraler werde. Luzian Franzini, Co-Generalsekretär des Verbands der Schweizer Studierendenschaften (VSS) ergänzt: «Der administrative Aufwand für Austauschprogramme in der Schweiz ist riesig. Das schlägt sich direkt in den Zahlen nieder. Es werden hierzulande deutlich weniger Austausche gemacht als in anderen vergleichbaren EU-Ländern». 

«Gerade im Wahljahr sind europapolitische Themen ein heisses Eisen.»
Luzian Franzini, Co-Generalsekretär des VSS

Uni und ETH sowie auch der VSS streben eine möglichst rasche Vollassoziierung bei den EU-Programmen an. Die Vorschläge, wie das erreicht werden soll, gehen jedoch auseinander. Eine Allianz verschiedener Organisationen, darunter auch der VSS, hat die Europainitiative ins Leben gerufen, die den Bundesrat zur Klärung institutioneller Fragen mit der EU verpflichten will. Sie fordert unter anderem eine Vollassoziierung bei den Bildungsprogrammen. Franzini sieht die Initiative als mögliches Druckmittel auf den Bundesrat. Zuerst hatte der Verband auf den parlamentarischen Weg gehofft. Doch das Parlament zeige allerdings absolut keinen Willen, sich in irgendeine Richtung zu bewegen, so Franzini. «Gerade im Wahljahr sind europapolitische Themen ein heisses Eisen.» Der VSS geht deshalb nicht davon aus, dass er sich für eine Verbesserung der Beziehungen vom Parlament aus verlassen kann. Die Uni Zürich hofft hingegen weiterhin auf Verbesserungen durch Gespräche des Bundes mit der EU. Der Frage, ob sie die Europainitiative unterstützen wollen, weichen die beiden Zürcher Hochschulen sowie  Swissuniversities, die Dachorganisation der Schweizer Hochschulen, aus.  

Neue Allianzen sind keine echten Alternativen

Um die Zeit bis zur erhofften Vollassoziierung der Schweizer Universitäten an die EU-Programme zu überbrücken – oder sich gar langfristig mit Alternativen zu diesen abzufinden – beteiligen sich die Zürcher Hochschulen an unterschiedlichen Forschungsallianzen. So ist die ETH zum Ende des letzten Jahres der Allianz «ENHANCE» beigetreten, welche neue Formen der Zusammenarbeit in der Lehre und im internationalen Austausch stärkt. «Wir signalisieren, dass wir für die europäische Zusammenarbeit offen sind». Die Universität Zürich hat sich «Una Europa» angeschlossen, «um den Anschluss an die Entwicklungen im europäischen Hochschulraum nicht zu verlieren». 

Nicht nur in Zürich will man durch die Teilnahme an Forschungsallianzen die Beziehungen zu anderen Universitäten aufrechterhalten. Die Uni Bern etwa erhofft sich von ihrem Beitritt bei «ENLIGHT», dem Bündnis von Universitäten aus zehn europäischen Ländern, eine neue Dynamik, wie sie auf Anfrage mitteilt. In erster Linie soll die Uni auf internationaler Ebene sichtbar bleiben – dies ermögliche die «ENLIGHT»-Zusammenarbeit. Dennoch sei die Hochschule, wie es auch die Uni Zürich und die ETH schildern, seit der Nicht-Assoziierung bei Horizon und Erasmus von der Landkarte der EU-Partner verschwunden. Es bedinge viel Aufwand, die Zahl der Austauschverträge zu halten.

Es ist unwahrscheinlich, dass es den Schweizer Hochschulen gelingt, anhand von vereinzelten Abkommen eigenhändig den Ruf des Forschungs- und Lehrstandorts Schweiz zu retten. Kurzfristig können nur die grössten Löcher im Flickenteppich der bilateralen Beziehungen gestopft werden. Klar ist: Will die Schweiz wieder vollwertiges Mitglied der europäischen Hochschulgemeinschaft werden, muss sie sich aussenpolitisch kompromissbereit zeigen – und zwar so schnell wie möglich.