Ein langer Weg zum Recht
Sachbuch — Hochgerechnet haben 800’000 Frauen in der Schweiz sexualisierte Gewalt erlebt, aber nur acht Prozent von ihnen haben Anzeige erstattet, sich medizinisch untersuchen lassen, stundenlang vor der Polizei ausgesagt und mehrere Jahre auf ein Urteil gewartet – in vier von fünf Fällen ein Freispruch des oder der Angeklagten.
In «Hast du Nein gesagt?» lassen die Autorinnen Miriam Suter und Natalia Widla sowohl die Opfer sexualisierter Gewalt zu Wort kommen wie auch diejenigen, die sie auf dem Weg bis zum Gericht begleiten. Zwei ehemalige Polizistinnen erklären, dass es Glückssache sei, ob eine polizeiliche Fachkraft die Anzeige aufnimmt oder Beamte, die glauben, sich wieder «diese Lügengeschichten» anhören zu müssen. Bettina Steinbach, die 29 Jahre bei einer Zürcher Opferhilfstelle gearbeitet hat, meint, dass auch die Rechtslage einen Einfluss auf die erste Polizeieinvernahme hat: Durch die «Nein heisst nein»-Regelung müsse das Opfer beweisen, dass es sich gewehrt habe und deshalb Fragen beantworten, die anklagend wirkten: «Warum haben Sie ihn mit nach Hause genommen?» oder «Haben Sie Alkohol getrunken?» Für das Opfer sei Alkoholkonsum häufig ein juristischer Nachteil, erklärt Steinbach, weil es sich betrunken weniger wehren könne. Ein*e Täter*in könne hingegen auf alkoholbedingten Kontrollverlust plädieren.
Durch die unterschiedlichen Formate (Erfahrungsberichte, Interviews und kurze Erklärungen) liest sich das Buch leichter, als sich das Thema verarbeiten lässt. Dafür kontrastieren die Autorinnen die entmutigende Lage immer wieder mit der noch schlechteren Lage von vor ein paar Jahren und schaffen so Hoffnung auf weitere Veränderungen. Wie diese genau aussehen sollten, wird im Buch unterschiedlich stark vertieft: Dass die Polizei nicht nur mit einem Gesinungs- sondern auch mit einem Personalmangelproblem zu kämpfen hat, wird lediglich angedeutet. Und auch vom Gericht hätte man gerne mehr erfahren. Dass man weiterlesen will, spricht allerdings für die gekonnte Darstellung. Eine gute Einstiegslektüre also, vor allem für diejenigen, die sich noch nicht mit dem Thema beschäftigen mussten.