«Schriftstellerinnen schreiben ja in erster Linie über sich selbst»

In ihrem Essayband «Enjoy Schatz» demaskiert Jovana Reisinger Klischees, indem sie sich mit ihnen schmückt.

Marie Weber (Text und Bild)
9. März 2023

Wenn Emotionen und Intellekt zusammen gedacht werden, kann Grosses entstehen. Eine Denkweise, die bereits die amerikanische Kunst- und Literaturikone des 20. Jahrhunderts, Susan Sontag, kultivierte und damit ihrer Zeit weit voraus war. Der Durst nach Sensation und Wissen gehörte zu ihrer Tagesordnung. Geistreich und liebevoll auffallend, galant provokant, einschüchternd und frei: Die Essayistin, Romanautorin und engagierte Intellektuelle war all das auf einmal. Auf ebendiese Vielschichtigkeit in ihren Texten folgte ein langer Nachhall, der bis heute anhält. Sich in Männer wie Frauen gleichermassen verlieben, das nicht verheimlichen. Mit möglichst vielen attraktiven Menschen verkehren – bitte nur kein Stillstand. Eine Frau, die sich gezeigt hat.

So ähnlich tritt auch Jovana Reisinger auf. Die in München lebende Autorin und Filmemacherin war vor zwei Wochen mit ihrem neuen Essayband «Enjoy Schatz» gleich an zwei Orten in Zürich zu Gast. Die Buchvernissage fand im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen dem Literaturhaus und dem Theater Neumarkt statt. Moderiert wurde die Lesung von den beiden Intendantinnen des Theaters. Es ist Reisingers drittes Buch, ein essayistischer Roman, der mit seinen Texten zu Kunst, Klassismus und dem Patriarchat brilliert.

Ihre «Fiktionalisierung der Gegenwart» kommt gut an. Mit ihren Alltagsbeschreibungen vom Leben mit Ehemann und Liebhaber oder dem Begehren zum unbekannten Buchhändler bringt sie das Publikum immer wieder zum Lachen. Besonders gelungen ist Reisingers Kritik an der verzerrten Wahrnehmung von schreibenden Frauen. «Denn schliesslich bin ich Schriftstellerin und die schreiben in erster Linie ja über sich selbst», liest Reisinger amüsiert vor und verweist damit auf die vermeintliche Selbstverständlichkeit, Frauen würden in ihren Büchern stets über sich selbst schreiben, selbst wenn es sich um reine Fiktion handelt. Und dann natürlich nur feministische Literatur verfassen. Mit diesen Annahmen spielt Reisinger im vorliegenden Text. Etwa indem sie stellenweise zwischen den Erzählperspektiven hin und her wechselt. Dann ist die Rede von der Schriftstellerin, die mit dem Buchhändler chattet. Die so viele Sachen sagen will und sich dabei ständig selbst unterbricht. Die süchtig nach dem Beginn ist. Dem Rausch des Verliebens.

Hierzu erläutert sie ihre Selbstdarstellung als erotische, «sich hergebende Frau». Es gilt die Vermutung: «Jede sexy Interaktion über ein Medium, das Beweise schafft, muss wohlüberlegt sein.» Dann der Versuch, die Gefahr einzuschränken, indem sie sich vorher bereits selbst so stilisierte. Folglich würde «eine Veröffentlichung ihrer privat fotografierten, niedergeschriebenen Lust weniger schwer ins Gewicht fallen». 

Mit dieser Selbstdarstellung korreliert Reisingers Erscheinung auf der Bühne: extravagante Kleiderwahl, neonpinke Fingernägel passend zum Buchcover. Als Erfrischung dient ein Cosmopolitan. Ein Bild wie aus der Kultserie «Sex and the City».  Der Versuch, die eigenen Unsicherheiten zu adressieren und dechiffrieren, bevor es den anderen gelingt, ist Selbstschutz und Selbstoffenbarung zugleich. Und funktioniert.

Reisinger schreibt, wie sie spricht: fluid, intelligent und prägnant. Ein Dreigespann aus Energie, Erotik und Ernst mit viel Gefühl ohne zu viel Gefülltes. Ihre Betrachtungen zeugen von einer seltenen Klarheit, mit der sie sich und dem Publikum deutlich nahekommt. Es sind Szenen eines Lebens, für jene sie die passende Sprache hat und sie geschickt einsetzt.

«Frauen, die hübsch sind und schlau, das ist zu viel. Ich will ihm zu viel sein. Und dann nicht genug», liest Reisinger ihre letzten Zeilen. Susan Sontag würde an dieser Stelle vielleicht eine ihrer vielen Listen mit uns teilen, mit Aufzählungen davon, was sie genauso noch machen, sein und nicht sein möchte.