Streik mit Tradition: Zürcher*innen demonstrieren am 8. März 1987 auf der Uraniastrasse. Schweizerisches Sozialarchiv

Der 8. März ist aktueller denn je

In Zeiten von Krieg und Zerstörung gewinnt der internationale Feministische Kampftag noch mehr an Bedeutung. Die Geschichte seiner Initiantin führt in die Schweiz – wo Frauen bereits 1911 auf die Strasse gingen.

7. März 2023

International rücken feministische Bewegungen immer mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Der Feministische Streik 2019 in der Schweiz war mit 500'000 Teilnehmer*innen eine der grössten Protestaktionen des Landes seit dem Landesstreik von 1918. Und heute stellt die revolutionäre Bewegung im Iran, welche ganz klar von Frauen* getragen wird, die Frau* durch das Motto «Frau Leben Freiheit» politisch in den Mittelpunkt. 

Nun steht der 8. März, der internationale feministische Kampftag – ursprünglich Frauenkampftag genannt – vor der Tür. Manch ein*e Student*in ist seit Wochen im Vorbereitungsstress, während andere schon einmal tief Luft holen, um sich über Verkehrsstörungen in der Innenstadt an diesem Tag zu echauffieren. Aber was viele nicht wissen: Die Schweiz nahm von Anfang an an dieser Aktion teil, denn die Geschichte der Initiantin ist mit dem Land verwoben. 

Diese, die gebürtige Clara Josephin Eissner, später Zetkin, war die Tochter eines Lehrers und Kirchenorganisten. Ihre Familie zog 1872 von Wiederau nach Leipzig, wo Zetkin gute Bildung genoss und Volksschullehrerin wurde. Das war auch der Ort, wo sie erste Kontakte zur Frauen- und Arbeiterbewegung knüpfte. Wegen des Sozialistengesetzes, welches nicht-parlamentarische sozialistische, sozialdemokratische und kommunistische Vereine sowie Schriften und Aktivitäten verbot, musste sie erstmals ins Exil. So lebte sie unter anderem in Zürich, wo sie im «Der Sozialdemokrat», dem Parteiblatt der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands, mitwirkte – einer der damals bedeutendsten sozialistischen Zeitungen. 

Vom Frauentag zum Frauenkampftag

Später nahm sie an der zweiten Internationalen Konferenz Sozialistischer Frauen in Kopenhagen teil und schlug die Einführung eines «Internationalen Frauentags» vor. Gut ein Jahr danach, am 19. März 1911, fand dieser dann in Österreich-Ungarn, Dänemark, Deutschland und der Schweiz statt. Das Frauenstimmrecht war dabei die Grundforderung dieser ersten Protesttage, doch als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, verschob sich der Fokus hin zu einem Aktionstag gegen den Krieg. Der Frauentag war daher auch grosser Repression ausgesetzt, denn kriegskritische Veranstaltungen waren wegen der sogenannten Burgfriedenspolitik nicht mehr erwünscht. So entwickelte sich die kämpferische Konnotation des Tages. 

Die Forderung nach Frieden in Europa ist derzeit bedauerlicherweise aktueller denn je. Am 24. Februar jährt sich der Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. Wie jeder Krieg kann dieser patriarchale Strukturen massiv verstärken und bereits benachteiligte Personen besonders hart treffen. Historisch gesehen verhandelt man im Krieg zudem oft über die Köpfen von Frauen* hinweg: So nehmen sie meistens keinen Platz bei Friedensverhandlungen ein. Auch die aktuellen Friedensverhandlungen zur Ukraine haben laut Aktivist*innen mangelnde feministische Perspektive, wie fast alle Friedensverhandlungen der letzten 80 Jahre. 

Die Welt im Krieg, Frauen* im Kampf

Krieg verstärkt zudem oft totalitäre Tendenzen, die Teile der Geschichte unsichtbar machen. So wurde der kriegskritische Frauenkampftag während der Weltkriegsjahre zensiert; man solle sich auf Themen beschränken, die im Rahmen der «gegebenen Rechtszustände» zugelassenen seien, hiess es wegen der Burgfriedenspolitik des deutschen Kaiserreichs während des Ersten Weltkriegs. Die Forderungen der damaligen Frauenrechtsbewegung und deren Hintergründe wurden damals von der Illegalität für immer verschluckt.

Die Schweiz etablierte sich derweil zum Sonderfall in Bezug auf das Frauenwahlrecht und das, obwohl die Frauenbewegung hierzulande nach dem Ersten Weltkrieg an Aufschwung gewann. Kriegsbedingt mussten auch mehr Frauen «männliche» Berufe ausüben, die Gleichstellungsthematik bekam eine neue Legitimität in der Gesellschaft und führte zu einem neuen Selbstbild bei Schweizer Frauen. So wurden am Frauenkampftag 1916 an 40 Demonstrationen in der gesamten Schweiz das Stimmrecht und «Gleicher Lohn für gleiche Arbeit» eingefordert. 

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde 1918 das Frauenwahlrecht in Deutschland eingeführt. Da die Grundforderung der Frauenbewegung rund um den 8. März zu diesem Zeitpunkt durchgesetzt worden waren, gewannen am Protesttag neue Forderungen an Relevanz, darunter Arbeitszeitverkürzungen ohne Lohnabschläge, eine Senkung der Lebensmittelpreise und der legale Schwangerschaftsabbruch. Heute, in Zeiten von kriegsinduzierter Inflation und wachsendem Rechtspopulismus, der etwa das Selbstbestimmungsrecht von Frauen* einschneidet wie es bei «Roe vs. Wade» im Supreme Court der USA der Fall war, lassen sich klare Verbindungen zur Zwischenkriegszeit ziehen. 

Faschismus macht Kampftag zum Muttertag

Während des Zweiten Weltkrieges war der Frauenkampftag dann wegen des patriarchalen und antisozialistischen Systems verboten. Stattdessen feierte man den Muttertag, was dem damaligen Frauenideal entsprach. Die Frauenrechtsbewegung fand fortan im Geheimen statt. 

Auch nach den Weltkriegen blieb die Bedeutung dieses Tages eine Art Spielzeug der Hegemonie. In der sowjetischen Besatzungszone wurde er wieder eingeführt. Und zu DDR-Zeiten wurde der sozialistische Ursprung des Frauenkampftags zwar ausgeschlachtet, doch dessen ursprünglich politischer Charakter wich immer mehr einer Art sozialistischen Muttertags mit Blumen und Schokolade. Fokus war oft die Emanzipation in der Arbeitswelt, wobei bezweifelt werden darf, ob die Forderungen von der Frauenbewegung mitbestimmt und der Tag mitgestaltet werden konnten. 

Im Gegensatz zur DDR, wo man wenigstens den Ursprung dieses politischen Tages nicht vergessen hatte, wurde die Bedeutung des Frauenkampftages in Westdeutschland komplett verwässert. Meist wurde der Tag nicht einmal am 8. März gefeiert, sondern irgendwann zwischen Februar und Mai. Der kollektive Charakter ging verloren, die Aktion entwickelte sich zu einer Art Selbstvorführung bürgerlicher und pazifistischer Verbände und Parteien, bis die neue Frauenbewegung in den 60er-Jahren den Tag wieder populärer und kritischer machte. 

Aufarbeitung nötig

Die historische Entwicklung des 8. März ist gezeichnet von Überstilisierung und Verbot. Das ist nicht nur in deutschsprachigen Ländern der Fall, sondern lässt sich weltweit beobachten. Im Iran etwa wurde der Frauenkampftag erstmals 1921 eingeführt, später zugunsten der patriarchalen und antikommunistischen Weltanschauung des Schahs wieder verboten und durch den Muttertag ersetzt. Als Khomeini 1979 an die Macht kam, wurde der Geburtstag der Prophetentochter Fatima zum neuen «Frauentag» ernannt, auch dieser wird wie eine Art Muttertag gefeiert – politisch sinnentleert, propagandistisch missbraucht. 

Frauen* haben jedoch immer Wege gefunden, um ihr Unbehagen kundzutun. Sei es nun durch das «Auslüften» roter Tücher am 8. März zu Zeiten des Nationalsozialismus in Deutschland oder durch erste Grossdemonstrationen gegen die Politik Khomeinis am 8. März 1979 im Iran, als Frauen massenhaft auf die Strasse gingen, um gegen die totalitären Tendenzen dieser Revolution anzukämpfen. 

Die öffentliche Wahrnehmung wird der Geschichte des feministischen Kampftages - trotz dessen turbulenter Entwicklung - heute kaum gerecht. Zahlreiche Verbote, Überstilisierung und Verwässerung haben dazu geführt, dass die Aufarbeitung des Tages oft verfärbt und mangelhaft ist, oder in gewissen Fällen, beispielsweise im Iran, ganz aus der Geschichte verschwunden ist. So hat man heute kaum Verständnis für die Verkehrsstörungen in der Innenstadt am 8. März, oder für die schnippischen Omas, die schon seit Jahrzehnten für gerechten Lohn und Wahlrecht auf die Strasse gehen. Doch braucht es mehr Verständnis für die Geschichte des feministischen Kampftages und die Organisation der feministischen Bewegungen weltweit. Es fehlt die Perspektive der Frauen*, der Hälfte der Welt. Frauen*geschichte sichtbar zu machen, heisst, Frauen* in der Geschichte sichtbar zu machen.