Selbst in den Pärchen-Ferien ist es immer dabei: Psycholog*innen raten Studierenden, ihr Handy öfter wegzulegen.

Wie viel Handy ist zu viel?

Studierende sind überproportional von problematischem Smartphonekonsum betroffen. Wie wir Warnsignale erkennen und Alternativen finden können.

Leah Süss (Text) und Lucie Reisinger (Bild)
6. März 2023

Als die Studentin Zoë* vor dem Interview ihre Bildschirmzeit betrachtet, erschrickt sie: Letzte Woche verbrachte sie über zehn Stunden auf Youtube. Sie entscheidet, vor dem Einschlafen ein paar Minuten in sich zu gehen und den Tag zu reflektieren, anstatt sich Kurzvideos reinzuziehen. «Damit lenke ich mich nur von meinen Gefühlen ab», denkt sie. Doch das Vorhaben ist schwieriger als gedacht: «Ich habe es gerade mal zwei Tage lang geschafft, dann war die Verlockung von Youtube wieder zu gross», sagt sie.

Smartphones sind heute Normalität und unverzichtbare Stützen im Alltag. Doch wenn der Handykonsum ausser Kontrolle gerät, kann es zu folgenschweren Leistungsabfällen bei der Ausbildung oder Arbeit kommen. Auch soziale Beziehungen leiden oft darunter. In der Psychologie spricht man von «problematischer Smartphone-Nutzung», «Internetsucht» oder «Handysucht». Laut Studien begünstigt sie Depressionen, Angstzustände, Stress und Schlafstörungen und kann Nackenhaltung, Augen und Handfunktionen beeinträchtigen.

Im Durchschnitt checken wir 88 Mal pro Tag unser Handy. Gemäss den Daten der Schweizerischen Gesundheitsbefragung 2017 sind rund 4 Prozent der hiesigen Bevölkerung ab 15 Jahren, also rund 270'000 Menschen, von einer problematischen Internetnutzung betroffen. Junge Menschen bis 24 Jahre sind mit gut 11 Prozent die Tabellenführenden. Frauen werden dabei in der Regel mehr von sozialen Medien und Messenger-Apps eingenommen, während sich Männer vermehrt Games, Glücksspielen oder Pornos zuwenden. 

Diese Zahlen haben sich laut der Medienpsychologin Isabel Willemse bis heute nicht stark verändert. Sie erklärt: «Für eine Suchtdiagnose ist die Dauer des Handykonsums nicht entscheidend.» Viel eher gelte es zu schauen, ob es zu negativen Konsequenzen komme. Neben ihrer Forschung zur Onlinesucht betreut Willemse Studierende bei der
Beratungsstelle der Fachhochschule. 

«Das Erste bei Stress ist der Griff zum Handy», so die Expertin. «Daher sind gute Stressbewältigungsmechanismen zentral.» Gerade im Studium, wo anstrengende Phasen vorprogrammiert seien, würden diese Strategien helfen, übermässigem Handykonsum zu widerstehen. Daneben schützten eine gute Impulskontrolle, stabile psychische Gesundheit sowie ein unterstützendes soziales Umfeld. Damit es zur Handysucht komme, brauche es immer mehrere Komponenten.

Laut Willemse befinden sich wohl bis zu 20 Prozent der Studierenden auf einem Spektrum des problematischen Handykonsums. «Viele kriegen es noch hin, denn sie haben es bis zum Studium geschafft und daher gelernt, mit Druck umzugehen.» Aber wenn dann etwas «on top» komme, etwa eine Trennung, könne der Konsum in Sucht umkippen. Hier lohne es sich, Vertraute oder einer Beratungsstelle aufzusuchen. 

Altes Nokia während Prüfungsphasen 

Die grosse Herausforderung bei problematischem Handykonsum sei, mit dem Craving – also dem heftigen Verlangen – umzugehen, meint die Psychologin weiter. Mit ihren Klient*innen entwickelt sie jeweils individuelle Massnahmen, die für die Personen stimmig und umsetzbar sind. Eine Studentin habe etwa ihr Smartphone während Prüfungsphasen in eine Schublade gesperrt und nur noch ein altes Nokia benutzt. Ein anderer Student habe sich entschieden, ausschliesslich Bibliothekscomputer zu nutzen, um Versuchungen zu minimieren. Generell betont Willemse jedoch: «Eine volle Abstinenz ist bei Onlinesucht nicht sinnvoll.» Denn wir alle seien heute auf die digitale Technologie angewiesen und profitierten auch in vielerlei Hinsicht davon. 

Zoë fällt es in der Prüfungsphase jeweils leichter, ihren Handykonsum einzuschränken. Während der Semesterferien kann es jedoch ins Gegenteil kippen. «Einmal habe ich mein Zimmer für Tage abgedunkelt und war nur auf Youtube», berichtet sie. Dies, um sich von der Lernphase zu «erholen». Ein anderes Mal sei ihr das Handy ins Gesicht gefallen. «Da wusste ich, jetzt ist es zu viel», erzählt sie und lacht verlegen. Doch solange ihre sozialen Beziehungen, ihre Körperhygiene, die Arbeit und das Studium nicht darunter litten, habe sie noch ein Gefühl von Kontrolle. Unter Zoës Freund*innen sage man derweil oft als Witz, dass «alle handysüchtig» seien. Aber niemand würde das Thema vertiefen. Einmal sei eine Kollegin bei einer Verabredung die ganze Zeit am Smartphone gewesen. Zoë habe sich unwohl gefühlt, aber nichts gesagt. «Es fühlt sich falsch an, eine Person auf ihren Handykonsum anzusprechen. Als würde man sie erziehen wollen.» 

«Ich bin immer übermüdet und kann mich nicht abgrenzen.»
Studentin Daria* hält ihren eigenen Handykonsum für problematisch.

Die Psychologin Eva Unternährer empfiehlt hingegen, das eigene Onlineverhalten im Freund*innenkreis offen zu thematisieren. Dies helfe, problematische Tendenzen bei sich selbst und bei anderen zu bemerken. Sie erforscht in der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Forschungsabteilung der Universität Basel, wie sich die Handynutzung von Eltern auf die emotionale Entwicklung von Kindern auswirkt. Sie bestätigt, dass sogenanntes «Phubbing» – also die Bevorzugung des Smartphones in der Präsenz von anderen – für Kinder irritierend sei und schlimmstenfalls zu Verhaltensschwierigkeiten führen könne. Auch Studierende sollten sich abgewöhnen, vor Freund*innen am Handy zu sein. Stattdessen empfiehlt Unternährer einen bewussten Handykonsum. Statt sich auf Apps treiben zu lassen, solle man aktiv Inhalte zu bestimmten Themen suchen. So entkomme man dem endlosen «Doomscrolling». 

Wie Zoë kennt auch Daria* die Verlockung, abends auf Instagram «vor sich hin zu scrollen». Twitter und Nachrichten-Apps nutze sie bewusster, um an Informationen zu gelangen. Daneben geben ihr Dating-Apps einen Ausgleich, um sich ab und zu einen «Selbstbewusstseins-Kick» zu holen. Besonders wenn etwas auf der Welt passiert, das sie für ihre aktivistische Arbeit verfolgen müsse, nimmt ihr Handykonsum ein «fragwürdiges» Ausmass an. Ihre Bildschirmzeit trackt Daria aber nicht, und sie hat aufgegeben, diese einschränken zu wollen. «Ich bin immer übermüdet und kann mich nicht abgrenzen. Aber ich habe es akzeptiert.» 

Zwischen Gegentrend und Omnipräsenz

Die Gründe für erhöhten Handykonsum sind vielfältig. Weder mache es Sinn, eine ganze Gesellschaft zu pathologisieren noch gebe es genügend Forschung zu den Auswirkungen, sind sich die beiden Psychologinnen Willemse und Unternährer einig. Ob der überproportional problematische Handykonsum bei jungen Menschen mit der Kohorte oder dem Alter zu tun habe, werde sich erst zeigen, meint Willemse. Die Psychologische Beratungsstelle der Universität Zürich schreibt auf Anfrage, dass sich Betroffene «nur vereinzelt» melden. Man vermute jedoch eine hohe Dunkelziffer.

Für die Zukunft kann sich Willemse mehrere Szenarien vorstellen: «Vielleicht werden einige Gruppierungen einen Gegentrend à la ‹back to the roots› leben.» Hier spiele auch der Nachhaltigkeitsaspekt eine Rolle, schliesslich verbrauchten unsere Geräte zu viel Strom. «Andererseits wird unser Alltag wohl immer digitaler, man denke an Metaverse oder Smartwatches.» Dennoch bedeuteten Omnipräsenz und technische Abhängigkeit noch nicht Sucht: «Der springende Punkt ist: Bin ich auch in Gedanken ständig online und kann an nichts anderes mehr denken? Kann ich trotz Smartphone gut leben?»

*Namen von der Redaktion geändert.