Es fehlt an Methodenvielfalt und Interdisziplinarität

Kommentar — Zwei VWL-Studenten antworten auf die Kritik ihres Prodekans Nick Netzer.

6. März 2023

Professor Nick Netzer wollte in seinem NZZ-Gastbeitrag vom 25. Januar mit ein paar «Missverständnissen» aufräumen und die Frage «Wozu Volkswirtschaftslehre?» klären. Dabei bezieht er sich direkt auf einen in der ZS erschienenen Artikel und nennt ihn exemplarisch für eine
öffentliche Wahrnehmung der VWL, die veraltet und falsch sei. Dass diese aber aus einer Befragung von Studierenden an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät resultierte (die ZS  berichtete), bleibt unerwähnt. Scheinbar müssen auch wir als VWL-Studierende der Uni Zürich mit ein paar «Missverständnissen» aufräumen.

Wir werfen unserem Departement hier ausdrücklich nicht vor, durch Ideologen wie Milton Friedman dominiert zu sein: Neoklassische Ansätze werden heute genutzt, um für SVP- bis SP-nahe Lösungsvorschläge zu argumentieren. Aber: Wir können keine rein empirischen evidenzbasierten Vorschläge an die Politik, Gesellschaft oder Wirtschaft liefern. Und zwar, weil es nicht möglich ist, so trennscharf zwischen Sein und Sollen, zwischen Theorie und Empirie, Forschung und Forschenden zu unterscheiden, wie Netzer in seinem Beitrag suggeriert. Empirische Befunde – und mit ihnen politische Vorschläge – bauen immer auf konzeptionellen und moralischen Vorannahmen, also «Denkschulen» , auf.

Die Neoklassik dominiert nach wie vor

Es wäre daher zentral, dass wir unser Studium nicht mit einer einjährigen Einführung in die neoklassischen Nachkriegsmodelle der Mikro- und Makroökonomik beginnen. Wichtiger wäre es aus unserer Sicht als Studierende, eine disziplinäre Einordnung des Fachs und seiner Geschichte sowie einen Überblick der unterschiedlichen theoretischen Strömungen und den darin zur Anwendung kommenden Methoden zu erhalten. 

Netzer nennt in seinem Beitrag vier Module und will damit die Pluralität der Lehre aufzeigen. Eine kleine gezielte Auswahl aus dem Vorlesungsverzeichnis vermag die NZZ-Leser*innen vielleicht zu überzeugen, jedoch nicht die Studierenden. Denn die gelebte Realität in diesen Kursen sieht anders aus. Selbst die von Netzer erwähnte Vorlesung «Ideengeschichte und Wissenschaftstheorie» orientiert sich nach wie vor an den Perioden der «Klassik», «Neoklassik 1» und «Neoklassik 2». Ein breiteres Angebot an Lehrveranstaltungen innerhalb der Fakultät, welches sich nicht nur Themen-pluralistisch, sondern eben auch Theorien- und Methoden-pluralistisch versteht, wäre von zentraler Bedeutung. Dazu braucht es Professor*innen, die mit unterschiedlichen Theorien forschen, diese lehren und aus Differenzen zwischen «Denkschulen» lernen wollen – statt solche zu verneinen.

Profs sollen von Differenzen zwischen Denkschulen lernen, statt sie zu verneinen.

Die VWL definiert sich «mittlerweile eher über Methoden als über Themen, wobei Mathematik und Statistik eine dominierende Rolle während des Studiums spielen»: So formulierte es unser ehemaliger Departementsleiter Ralph Ossa treffend in der «Finanz und Wirtschaft». Wir lernen heute, eine Vielfalt an Themen mit einer vordefinierten methodischen Brille zu untersuchen und suchen nicht nach geeigneten Mitteln, um ein Problem zu lösen. Die Werkzeuge, die uns Studierenden gegeben werden, sind überwiegend formale Gleichgewichtsmodelle und Methoden der quantitativen Datenanalyse.

Wir verneinen keineswegs die Nützlichkeit dieser Methoden. Es ist jedoch unbestritten, dass komplexen sozialen Systemen sowie kulturellen Gegebenheiten und Werten mit quantitativen Analysen nicht gebührend Rechnung getragen werden kann. Sollten wir uns also nicht besser aller Werkzeuge bedienen, die sich zur Untersuchung und Lösung wirtschaftlicher Fragestellungen anbieten? Die Arbeit mit qualitativen Methoden ist daher von enormer Bedeutung. Diese werden an der Uni in der VWL aber kaum gelehrt.

Direkter Dialog statt Meinungsartikel

Das Rad müssten wir dazu nicht einmal neu erfinden. In den Geistes- und Sozialwissenschaften werden wirtschaftliche Phänomene seit jeher mit qualitativen Methoden untersucht. Das Problem: Der Zugang zu solchen Lehrveranstaltungen wird uns VWL-Studierenden aktiv verwehrt. Einerseits sind die angebotenen ausserfakultären Nebenfächer in ihrer Anzahl und ihrem Umfang eher spärlich. Andererseits werden Vorlesungen anderer Fakultäten, in denen mittels qualitativer Methoden wirtschaftliche Fragestellungen untersucht werden, nicht in den Modulkatalog aufgenommen. Die Soziologievorlesungen «Wirtschaft und Gesellschaft» oder das Modul «Vertiefung Wirtschaftsgeographie» würden «zu wenig VWL» beinhalten – so die Begründung des Departements. Ob dies zu Netzers postulierter Interdisziplinarität passt, darf man bezweifeln.

Wozu also VWL? Worüber soll sich das Fach definieren und was soll es leisten? Wir meinen: Definition über das Kerngeschäft statt über die eigenen spezifischen Methoden. Geht es um die Zukunft und Wahrnehmung der Volkswirtschaftlehre, scheint uns ein direkter Dialog mit den Studierenden passender als ein Meinungsartikel in der NZZ.

Zu den Autoren:

Diego Gehrig und Nicolas Bauer studieren VWL an der Universität Zürich und gehören dem Studierenden­verein Plurale Ökonomik Zürich an.