Dürfen Frauen studieren und ihre Männer teilen?
Darüber wurde in der ZS vor hundert Jahren gestritten.
Was böse Zungen über die gegenwärtige Redaktion behaupten mögen, trifft für die ersten beiden ZS-Redaktoren zu: Sie hätten niemals für die «Studentenzeitung» geschrieben, wären sie nicht wiederholt von den grossen Tageszeitungen abgewiesen worden. Die 1919 gegründete «Studentenschaft der Universität» brauchte ein Sprachrohr und suchte dafür Platz auf etablierten Zeitungsseiten. Weil ihr keine Zeitung diesen Seitenplatz gewähren wollte, gründete sie notgedrungen ihr eigenes Organ, den «Zürcher Student» kurz «ZS». Deren unabhängige Version mit geschlechtsneutralem Namen haltet ihr hundert Jahre später in den Händen.
Lange, polemische Texte
Von der Leitung der Studentenschaft erhält der «Zürcher Student» «eine Aufnahme, die im Vergleich zur nüchternen Denkweise dieser Kreise als begeistert bezeichnet werden darf», wie die Redaktoren Hermann Witzthum und Max Schreiber in der ersten Ausgabe bemerken. Diese Nüchternheit macht sich auch in den Texten bemerkbar – die Autor*innen schreiben über politische Themen, als hätten sie feinstes Teegedeck vor sich, das sie nicht mit zu vehement vorgetragenen Meinungen beschädigen wollten.
Im Januar 1924, ein Jahr nachdem die Männer des Kantons Zürich gegen das Frauenwahlrecht gestimmt haben, schreibt die Jura-Studentin Lilly Zoller im ZS, der Kampf um Gleichberechtigung sei «zugunsten der Frauen entschieden», räumt aber ein, dass «die nähere Ausgestaltung noch nicht abgeschlossen» sei. Gegner*innen des Frauenstudiums beschwichtigt sie damit, dass dieses weder Kochtalent noch äussere Erscheinung in Mitleidenschaft ziehen würde. Nach zwei Antwortartikeln von Männern (der eine fürchtet um die weibliche Unschuld, der andere nervt sich an «Modestudentinnen») erklärt die Redaktion das Thema Frauenstudium für erledigt.
Die Zurückhaltung scheint die Leser*-innen jedoch nicht ganz begeistern zu können: 1926 will die Redaktion Schluss machen mit «lamentablen Disputationen über einen Sturm im Wasserglas» und öffnet die Bühne stattdessen längeren und polemischeren Texten. Im Juni verteidigt eine Studentin das Militär und das Privileg eines «heiligen Opfertods», im Juli sehnt sich ein österreichischer Adliger und späteres NSDAP-Mitglied nach einem vereinigten Europa unter einem nationalistischen Führer und im November erhofft sich ein Student den Sozialismus in den (ehemaligen) Kolonien.
Doch keines dieser Manifeste scheint die Gemüter so sehr zum Kochen zu bringen wie ein Artikel unter dem simplen Titel «Polygamie». Darin plädiert die Autorin mit weiblichem Pseudonym für einfachere Scheidungen, und dafür, dass offen gelebt werde, was versteckt sowieso schon zur Tagesordnung gehöre: Ehemänner sollen zu ihren Affären stehen, Ehefrauen diese akzeptieren und die meist jüngeren Geliebten Vergnügen bieten, ohne Sicherheit zu erwarten. Nötig sei das auch, weil nach dem Krieg die Männer fehlten.
Sie sollen ihre Triebe beherrschen
Diesen Vorschlag wollen die (männlichen) Leser nicht auf sich sitzen lassen. Dutzende Zuschriften gehen ein und werden nach Studienrichtung zitiert: «Der Philosoph» fragt, ob sich die Verfasserin als indische Gattin und somit Ware sehen wolle, «der Mediziner» sorgt sich um die von Eifersucht zerfressenen Frauen und «der Theologe» mahnt zur Triebbeherrschung. Einzig die Juristen fehlten. In einer Anmerkung spekuliert die Redaktion, ob ihr Schweigen Einverständnis bedeuten würde – insbesondere mit der für den
Berufsstand einträglichen Scheidung.
Robert Tobler, ein führendes Mitglied der Studentenschaft, ist unzufrieden mit dem «Zürcher Student» der späten 1920er-Jahre. Er beklagt zu viel Interesse für «sittenstürzende Neuerungen» und zu wenig universitätspolitisches Engagement. Über das Verbot der Mensur, der traditionelle Degenkampf beim Eintritt in eine Studentenverbindung, habe die Studentenschaft genauso geschwiegen wie über die Ungleichbehandlung der Frauen. Toblers Kritik klingt ausgesprochen modern, geradezu zeitgenössisch. Schade nur, dass er 1930 zusammen mit dem späteren Redaktor Eduard Fueter die faschistische Bewegung «Neue Front» gründet – und der ZS ihm in dieselbe Richtung folgt.