Zusammenstösse gehören dazu: Die Spieler*innen von «Zürich City Roller Derby». Franz Vogel

Auf Rollen gegen Genderrollen

Selbstorganisiert, feministisch und Voll­kontakt: Bei Roller Derby dürfen alle mitspielen.

6. März 2023

«Rollschuh-Disco ist gar kein schlechtes Training, weil man in dem Umfeld weniger Hemmungen hat», schmunzelt Pinot Punk. Seit einem Jahr spielt sie bei «Zürich City Roller Derby». Wer sich schon mal in die Rollschuh-Disco getraut hat, weiss, dass es gar nicht so leicht ist, sich auf den Dingern lange aufrecht zu halten, geschweige denn zu tanzen. Umso turbulenter muss wohl Roller Derby sein, ein Vollkontaktsport auf Rollschuhen, der seit kurzem wieder an Beliebtheit gewinnt. Seit Pinot in den USA zum ersten Mal davon gehört habe, habe sie dieser Sport verfolgt.

Vollkontaktsport aus Chicago

Als Pinot im Musikvideo «Wenn ich ein Junge wäre» vom Zürcher Duo Steiner und Madlaina Roller Derby wiederentdeckte, meldete sie sich kurzerhand für die Probetrainings, die «Try Outs», an. «Was ist das denn für ein geiler Sport? Selbstorganisiert, feministisch und Vollkontakt auf Rollschuhen!» Natürlich sei alles viel komplizierter, das Regelwerk umfasse gut 80 Seiten. Im Training kurven etwa 20 Spieler*innen durch die Halle, alle mit Helm, Gelenkschonern und Zahnschutz ausgestattet. Die kreativen Derby-Namen wie AntiGone Bad, Quing Killjoy oder Sailer Doom auf ihren Trikots erinnern an jene von Drag-Performer*innen. Und auch beim Roller Derby wird mit Geschlechterstereotypen gebrochen. «Hier sind alle verschieden und werden so akzeptiert, wie sie sind», betont Harley Hot Roll, die seit gut sechs Jahren dabei ist. Dann geht das Spiel los.

«Wichtig ist, wie man den Körper am besten einsetzt, nicht wie er aussieht.»
Pinot Punk, Spielerin bei «Zürich City Roller Derby»

Zwei Teams mit jeweils fünf Spieler*innen treten auf einer ovalen Bahn, dem Track, gegeneinander an. Pro Team gibt es eine Jammer*in, die Punkte erzielt, indem sie während eines Jams die Gegner*innen überrundet. Die vier Blocker*innen jedes Teams versuchen, die gegnerische Jammer*in daran zu hindern und gleichzeitig den eigenen den Weg freizuhalten. Bevor Punkte geholt werden können, müssen die Jammer*innen ein erstes Mal an den anderen vorbeikommen. Die Jammer*in, die zuerst durchkommt, hat den Jam Lead. Das bedeutet, dass sie den Jam auch vor Ablauf von maximal zwei Minuten beenden kann. Pinot, die Blocken und Jammen gleichermassen drauf hat, erklärt: «Wichtig ist, wie man den Körper am besten einsetzt, nicht wie er aussieht.»

Der feministische Aspekt kommt beim Roller Derby nicht von ungefähr. Von Beginn an flitzten Frauen und Männer gleich und gemeinsam über den Track. Roller Derby entstand während der «Great Depression» in den 30er-Jahren, als ein Event Promoter in Chicago ein aufregendes, aber erschwingliches Sportspektakel anbieten wollte. Das erste «Transcontinental Derby» war ein mehrwöchiger Marathon, bei dem zwei Teams über 50’000 Runden drehten. Doch es fehlte an Action. Da heftige Zusammenstösse das Publikum am meisten begeisterten, entwickelte sich Roller Derby zum Vollkontaktsport. In Phasen des Hypes wurden Spieler*innen zu Stars, doch in den 70ern wäre der Sport beinahe ganz verschwunden.

Blaue Flecken sind cool

2001 brachte eine Frauengruppe aus Texas Roller Derby zurück und verpasste ihm ein entschieden feministisches Makeover. Das zeigt auch das Gender Statement der internationalen Women’s Flat Track Derby Association. Es dürfen alle mitspielen, egal ob trans oder intergeschlechtlich, cis oder non-binär. Wer Roller Derby spielen will, braucht vor allem Mut. Blaue Flecken gehören dazu und werden liebevoll als «Derby Kisses» bezeichnet. Doch wer Lust auf einen intensiven, starken, aber nicht weniger taktischen Sport hat, ist wohl an der richtigen Adresse. Die nächsten Try Outs stehen jedenfalls diesen Frühling an.